# taz.de -- Neue Parteiführung und Ministerposten: Wer wird was bei den Grüne… | |
> Postenpoker bei den Grünen: Omid Nouripour und Ricarda Lang werden als | |
> neue ParteichefInnen gehandelt. Ein Promi könnte leer ausgehen. | |
Bild: Gelten im Kabinett als gesetzt: die bisherigen Parteichefs Annalena Baerb… | |
Berlin taz Omid Nouripours Mailbox ist immer einen Anruf wert. Wenn der | |
Grünen-Außenpolitiker mal nicht an sein Telefon geht, ertönt ein | |
schmissiger Rap. Dann, wenn man denkt, man habe aus Versehen die falsche | |
Nummer erwischt, kommt Nouripours Ansage, erst auf Deutsch, dann auf | |
Englisch. „Please leave a message after the beep.“ | |
Vielleicht ändert Nouripour seine anarchistische Mailbox-Ansage bald, ihm | |
könnte ein Karriersprung bevorstehen. Nouripour, Realo aus Hessen, seit | |
2006 Mitglied des Bundestages, wird als neuer Grünen-Vorsitzender | |
gehandelt. Das ist nicht die einzige interessante Personalie bei den | |
Grünen. In den nächsten Wochen fallen in der Ökopartei die Entscheidungen, | |
wer welchen Job bekommt. Wer wichtiger wird und ins Kabinett oder die | |
Fraktions- und Parteispitze aufrückt – und wer das Nachsehen hat. | |
Die Grünen werden seit 16 Jahren wieder in der Regierung sein. Deshalb gibt | |
es mehr wichtige Ämter zu vergeben als in der Opposition. Dennoch: Es ist | |
wie bei dem Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“. Es gibt mehr | |
InteressentInnen, die sich zu Höherem berufen fühlen, als Jobs, die zu | |
besetzen sind. Und es gilt die Regel: Alles sortiert sich von oben herab. | |
Das neue Machtzentrum der Grünen werden die MinisterInnen bilden. | |
Die Grünen rechnen im Kabinett mit vier, höchstens fünf Ministerien. Robert | |
Habeck und Annalena Baerbock sind gesetzt. [1][Er liebäugelt mit dem | |
wichtigen Finanzministerium] – und würde, so eine interne Vereinbarung, | |
zusätzlich den Posten des Vizekanzlers übernehmen. Baerbock werden | |
Ambitionen für ein großes Klimaschutzministerium nachgesagt, das die Grünen | |
im Wahlkampf gefordert hatten. Aber auch das Auswärtige Amt käme infrage. | |
## Wird Habeck Innenminister? | |
Falls die Grünen das Finanzministerium der FDP überlassen, müsste Habeck | |
sich neu orientieren. Er soll wenig Lust verspüren, ein klassisches | |
Grünen-Ressort im Ökobereich zu übernehmen, heißt es. [2][Dazu passt das | |
Gerücht, dass er alternativ Interesse am Innenministerium haben soll.] Der | |
erste Grüne überhaupt in diesem Amt, Verfassungsminister und zuständig für | |
den Schutz der Demokratie, der Heimat ganz neu denkt: Diese Jobbeschreibung | |
fände Habeck sicher attraktiv. | |
Den dritten Zugriff auf ein Ministeramt hat der Parteilinke Anton | |
Hofreiter, im Moment noch Fraktionschef. Hofreiters Präferenz ist das | |
Verkehrsministerium. Der promovierte Biologe war bis 2013 Vorsitzender des | |
Verkehrsausschusses im Bundestag und kann aus dem Stegreif minutenlange | |
Vorträge über Bahnstrecken halten, die kein Mensch außer ihm kennt. Aber er | |
ist im Ökobereich flexibel – und könnte etwa auch Landwirtschaft oder | |
Umwelt und Naturschutz. | |
Das vierte Ministerium müsste in der Grünen-Logik an eine linke Frau gehen. | |
Das ergibt sich aus der Notwendigkeit der Quotierung – und den | |
Begehrlichkeiten der Flügel. Baerbock und Habeck sind beide Realos. Neben | |
Hofreiter müsse deshalb noch eine Parteilinke Ministerin werden, heißt es | |
im linken Grünen-Glügel. | |
Als Kandidatinnen werden die Bundestagsabgeordneten [3][Agnieszka Brugger] | |
und Katharina Dröge genannt. Die eine ist in der Fraktion für | |
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zuständig, die andere für | |
Wirtschaftspolitik. Für Brugger käme etwa das Entwicklungsministerium | |
infrage, für Dröge ein Haus im wirtschaftspolitischen Bereich. | |
## Landesministerin Anne Spiegel wird gehandelt | |
Auch Claudia Roths Name fällt bei den internen Spekulationen über | |
MinisterInnenämter. Sie fühlt sich allerdings im Amt der | |
Bundestagsvizepräsidentin recht wohl, ob sie wechseln würde, ist offen. | |
Außerdem gibt es noch die Variante, eine regierungserfahrene Frau aus einem | |
Bundesland nach Berlin zu holen. Hier wird Anne Spiegel gehandelt. Spiegel | |
ist seit Mai Vize-Ministerpräsidentin und Ministerin für Klimaschutz, | |
Umwelt, Energie und Mobilität in Rheinland-Pfalz. Davor war sie im Kabinett | |
von Malu Dreyer (SPD) fünf Jahre lang für das Ressort Familie, Frauen, | |
Jugend, Integration und Verbraucherschutz zuständig. | |
Die Grünen sind immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, eine | |
Besserverdiener-Partei zu sein, die sich nicht groß um soziale Belange | |
kümmere. Um dem vorzubauen, sympathisieren sie mit der Idee, auch ein | |
Ministerium aus diesem Bereich zu beanspruchen. Eine Familienministerin | |
Spiegel würde dazu passen. | |
Bekämen die Grünen ein fünftes Ministerium, dürften sich Katrin | |
Göring-Eckardt und Cem Özdemir ins Spiel bringen. Beide gehören dem | |
Realo-Flügel an, beide fühlen sich für Höheres berufen. Göring-Eckardt, | |
Christin, versöhnlich im Tonfall und auch bei Konservativen beliebt, | |
liebäugelt zwar mit dem Amt der Bundespräsidentin. Aber die kleine | |
Sensation, die eine Frau im Schloss Bellevue bedeuten würde, ist | |
unwahrscheinlich, da die Sozialdemokraten Amtsinhaber Frank-Walter | |
Steinmeier opfern müssten, der bereits Interesse an einer zweiten Amtszeit | |
signalisiert hat. | |
Cem Özdemirs Lust auf mehr Verantwortung ist nicht zu übersehen, er likt | |
fleißig jeden lobenden Tweet, der ihn als Minister vorschlägt. Sein Job als | |
Verkehrsausschuss-Chef und einfacher Parlamentarier unterforderte ihn in | |
den vergangenen vier Jahren sichtlich, immer wieder meldete er sich mit | |
außenpolitischen Aufschlägen zu Wort. Özdemir, Sohn türkischer | |
Gastarbeiter, würde das Kabinett vielfältiger machen. Außerdem ist er einer | |
der besten Redner der Partei und hat seinen Wahlkreis in Stuttgart mit 40 | |
Prozent direkt gewonnen. Wenn er bei der grünen Reise nach Jerusalem leer | |
ausginge, läge darin eine gewisse Tragik. Der Fall ist aber nicht | |
unwahrscheinlich. | |
## 27 Jahre alt, klug, gut vernetzt | |
Durch das Aufrücken von Habeck und Baerbock in Ministerämter wird ein | |
Wechsel an der Parteispitze notwendig. Vorstandsmitglieder dürfen nicht | |
gleichzeitig MinisterInnen sein – laut Satzung ist nur eine Übergangsfrist | |
von acht Monaten erlaubt. Baerbock und Habeck hatten vor der Bundestagswahl | |
kein Geheimnis daraus gemacht, dass ihre Zeit an der Parteispitze nun | |
endet. Ihre Spuren sind groß. Beide haben die Grünen seit 2018 als | |
gesamtgesellschaftliche Kraft neu und erfolgreich ausgerichtet. | |
Für das Amt der Parteivorsitzenden wird seit Längerem Ricarda Lang | |
gehandelt. Die Parteilinke und ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend ist | |
im Moment Vizevorsitzende. Lang ist 27 Jahre alt, klug und gut vernetzt. In | |
Sozialen Netzwerken wird immer wieder Frauenhass über ihr ausgekübelt. | |
Lang, der auf Twitter fast 60.000 Menschen folgen, ermutigt junge Frauen | |
dazu, zu ihrem Körper zu stehen. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind | |
Feminismus und Bildungspolitik. Lang äußerte sich auf taz-Anfrage nicht zu | |
den Spekulationen. | |
Nouripour ist ein Routinier im Parlament und war in der letzten Legislatur | |
der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Wie Habeck und | |
Baerbock steht auch der 46-Jährige dafür, die Partei zu öffnen. Nouripour | |
gründete 2013 zusammen mit dem CDUler Jens Spahn eine schwarz-grüne | |
Gesprächsrunde, die Neuauflage der legendären Pizza-Connection. Er besitzt | |
einen deutschen und einen iranischen Pass, ist Muslim und Fan von Eintracht | |
Frankfurt. Auch Nouripour äußerte sich gegenüber der taz nicht zu seinen | |
Ambitionen. „Kommt Zeit, kommt Rat.“ | |
Es kann beim Parteivorsitz allerdings Gegenkandidaturen geben. Baerbock | |
musste sich 2018 bei der Chefinnen-Wahl gegen die Niedersächsin Anja Piel | |
durchsetzen, die inzwischen beim DGB arbeitet. Die Entscheidung über die | |
neuen Vorsitzenden fällt ein Parteitag, der Ende Januar 2021 geplant ist. | |
## Britta Haßelmann schweigt | |
Bleibt die Bundestagsfraktion. Wenn Hofreiter und Göring-Eckardt aufrücken, | |
wird der Fraktionsvorsitz frei. Gute Chancen für den Realo-Platz hätte | |
Britta Haßelmann, im Moment Parlamentarische Geschäftsführerin. Haßelmann | |
versieht ihr Werk kundig und uneitel. Sie ist extrem beliebt und in der | |
Lage, jede trockene Geschäftsordnungsdebatte in eine flammende Attacke auf | |
die AfD zu verwandeln. | |
Aber will sie überhaupt? Auch Haßelmann hält sich bedeckt. Sie konzentriere | |
sich gerade auf die weitere Konstituierung des Bundestages und der Fraktion | |
und auf die Koalitionsverhandlungen, sagte sie. „Über die Frage, wer was | |
macht oder machen möchte, reden und entscheiden wir zu einem späteren | |
Zeitpunkt.“ | |
An ihre Seite könnte eine der jungen Frauen aus dem linken Flügel rücken, | |
die bei den MinisterInnenämtern leer ausgehen – also Agnieszka Brugger oder | |
Katharina Dröge. Ambitionen für größere Aufgaben werden auch | |
Bundesgeschäftsführer Michael Kellner nachgesagt, der neu ins Parlament | |
gekommen ist. Die Chancen des Parteilinken stehen jedoch nicht gut, weil er | |
für das mäßige Wahlergebnis verantwortlich gemacht wird. | |
9 Nov 2021 | |
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[1] /Rot-gelb-gruene-Koalitionsverhandlungen/!5806205 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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