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# taz.de -- Abgesang auf Julian Reichelt: Hausgemachter „Bild“-Skandal
> „Bild“-Chef Julian Reichelt ist freigestellt, nachdem die „New York
> Times“ dessen Machtmissbrauch aufdeckte. Macht strömte ihm aus jeder
> Pore.
Bild: Abgesetzt: Julian Reichelt ist nicht mehr Chefredakteur der „Bild“-Ze…
„Ich bin so sehr Bild, dass ich niemandem hinterher weine, der sich
entscheidet, nicht mehr bei Bild zu sein. Das muss jeder selber wissen.“
Der Mensch, von dem dieser Satz stammt, [1][ist seit Montag auch nicht mehr
bei Bild]. Doch Julian Reichelt verlässt das
Immer-noch-Springer-Flaggschiff nicht aus eigener Entscheidung. Sein
hausgemachter Skandal hat ihn eingeholt. Es geht um Sex, Beförderungen und
Beziehungen. Um Macht auf dem Boulevard, um – aus Reichelts Sicht – Verrat
und Rache. Großes Kino für Bild, wenn es nicht blöderweise den Mann an der
Spitze träfe.
Selten hatte das Blatt einen Chefredakteur, der so polarisierte. Zur
gediegenen Springer-Kultur passte der 41-Jährige, der sich auch schon mal
als Brachialproll inszenierte, selbst auf den dritten Blick so gar nicht.
Genau das war aber Reichelts großer Vorteil, mit dem ihm ein kometenhafter
Aufstieg genau da gelang, wo seine Vorgänger*innen das Bild vom bösen
Boulevard aufzuweichen versucht hatten. Unter dem
[2][Langzeit-Chefredakteur und taz-Genossen Kai Diekmann] wurde Bild für
Springer-Verhältnisse geradezu spontihaft und fast ein bisschen links.
Diekmanns Nachfolgerin Tanit Koch ging diesen Weg auf dem Boulevard der
Versöhnung konsequent weiter. Reichelt dagegen hatte von Tag eins an die
Lizenz zum Ätzen. Unter seiner Führung wurde Bild zumindest gefühlt wieder
die alte Kampfschleuder aus den 1980ern.
## Reichelt ist ein Bild-Eigengewächs
Reichelts Durchmarsch und die Inthronisierung seiner Buddys auf den
Schaltstellen der Redaktion führte zur Abwanderung oder inneren Emigration
vieler gestandener Bild-Kräfte. Selbst das früher gefürchtete
Investigativressort des Blattes zerbröselte. „Es ist doch gut, klar zu sein
und zu sagen: An diesen Punkten passen wir nicht mehr zu einander. Dann
trennt man sich – und es kommt etwas Neues. Leistungsträger haben wir durch
neue Leistungsträger ersetzt“, [3][kommentierte Reichelt die Entwicklung
trocken vor gut einem Jahr im Fachdienst kressPro].
Macht strömt Reichelt dabei aus jeder Pore, er gefällt sich zwischendurch
auch immer mal in der Rolle des enfant terrible. Wohl niemand raucht so
demonstrativ und marktschreierisch im heute eher nikotinfreien
Journalismus. Was Reichelt zugute zu halten ist: Er sorgte auf seine Weise
für Durchlässigkeit im verkrusteten Springer-Reich. Die Anekdote, wie er
einen jungen Nachtportier aus einem Freiburger Hotel, der für Bild brannte,
mal eben zum Reporter machte und bald nach Beirut schickte, gab er gern zum
Besten.
Spektakuläre Auslandseinsätze sind ohnehin ganz nach Reichelts Geschmack,
schließlich ist das Bild-Eigengewächs so selbst ganz nach oben gekommen.
Reichelt kennt Bild und sonst fast nix. Zuerst machte er ein Volontariat
bei Bild, dann besuchte er die hauseigene Axel-Springer-Akademie.
## „Ich liebe Bild“
Es folgten Einsätze in Afghanistan, Georgien, Thailand und vielen Kriegs-
und Krisengebieten mehr. 2007 war er schon Chefreporter. Ab 2014 durfte er
dann als Chef von bild.de einen Vorgeschmack darauf geben, was passieren
würde, wenn er ganz oben ankommt. 2017 war es dann soweit. Dass Tanit Koch
vor allem wegen Reichelt ging, ist ein offenes Geheimnis.
Genau wie der Umstand, dass Reichelt seine unangefochtene Position vor
allem dem Mann verdankt, der bei Springer längst in die Rolle des Verlegers
geschlüpft ist. Dass Mathias Döpfner in Reichelt so etwas wie ein alter ego
sieht, ist dabei nur auf den ersten Blick ein Widerspruch.
„Bei uns kann sich jeder bewerben. Die Voraussetzung ist, dass man sagt:
Ich liebe Bild“ – noch so ein Reichelt-Satz. Diese inbrünstige Begeisterung
fürs eigene Tun und das eigene Reich ist auch Döpfner zu eigen. Nur dass
sich das beim Vorstandschef naturgemäß intellektueller und feingeistiger
Bahn bricht als beim ehemaligen Bild-Chef. Insgeheim dürfte Döpfner
Reichelt aber vermutlich um seine Lizenz zum Rüpeln und seine
Hemingwayesken Attitüden beneidet haben.
## Döpfner lobt Reichelt zum Abschied
Das spricht auch aus den verhältnismäßig warmen Worten, mit denen sich der
Springer-Chef in der Pressemeldung zu Reicherts Abgang zitieren lässt:
„Julian Reichelt hat Bild journalistisch hervorragend entwickelt und mit
BILD LIVE die Marke zukunftsfähig gemacht. Wir hätten den mit der Redaktion
und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei Bild
gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr
möglich.“ Da schwingt mehr als nur ein „leider“ mit.
Döpfner hatte Reichelt ja auch im Sommer 2020 rausgehauen. Da hatte der
sich mit dem Virologen Christian Drosten angelegt und dessen
Forschungsergebnisse mit windigen Gegenexperten madig machen wollen. Die
Beichte nahm der Verlagschef seinem Chefredakteur im gemeinsamen Podcast
ab. Reichelt gelobte Besserung, wie auch im aktuellen Fall.
„Von meinem Vater, der auch Journalist ist, habe ich da einen prägenden
Satz mitbekommen. Der sagte bei allem, was er hörte, zuerst einmal: ‚Wenn
das mal stimmt‘“, hat Reichelt im schon erwähnten Interview gesagt. Auch
wenn Springer mit konkreten Details knausert: Es hat gestimmt.
Dass der Konzern überhaupt das Risiko einging, [4][Reichelt wenn auch im
Stadium des betreuten Chefseins wieder an die Spitze der Bild-Familie zu
lassen], hat diesen Sommer viele erstaunt. Falls die von der New York Times
zitierte Aussage von Döpfner stimmt, Reichelt sei „der letzte und einzige
Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-autoritären
Staat rebelliert“, spricht das Bände. Und macht einem Angst – um Springer.
Transparenzhinweis: Der Autor hat das erwähnte Interview mit Julian
Reichelt für kressPro selbst geführt.
19 Oct 2021
## LINKS
[1] /Springer-stellt-Bild-Chef-Reichelt-frei/!5805560
[2] /Bild-Chef-Diekmann-ueber-taz-Geburtstag/!5044079
[3] https://kress.de/news/detail/beitrag/145984-sind-sie-beratungsresistent-her…
[4] /Bild-Chef-Reichelt-nach-Freistellung/!5761445
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## TAGS
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