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# taz.de -- Corona-Berichterstattung der „Bild“: Das Auditorium schlägt zu…
> Ungewohnt deutlich kritisieren wissenschaftliche Institutionen die
> „Bild“. Die Zeitung berichte schon lange einseitig über Wissenschaft.
Bild: Die Physikerin Viola Priesemann bei Anne Will
Aus der Wissenschaft kommt in der [1][vierten Welle] ungewohnt scharfe
Kritik in Richtung Journalismus. Genauer, in Richtung eines Mediums: Bild.
Die Berliner Humboldt-Universität (HU) etwa hat am Montag beim Presserat
Beschwerde gegen Bild eingereicht. Zuvor war HU-Physikprofessor Dirk
Brockmann neben anderen Forscher*innen am Wochenende unter der
Bild-Schlagzeile „Die Lockdown-Macher“ aufgeführt worden.
Bild schreibt dort: „Der neue Winter-Lockdown – bereits am vergangenen
Wochenende wurden die Knallhart-Maßnahmen von Experten ausgetüftelt!“, und
nennt neben Brockmann die Physiker*innen Michael Meyer-Hermann und
Viola Priesemann: „Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest“. Das
HU-Präsidium schreibt, Bild suggeriere, Wissenschaftler*innen seien
verantwortlich für Entscheidungen der Politik.
Ebenfalls am Montag erschien eine öffentliche Stellungnahme der Allianz der
Wissenschaftsorganisationen, und die geht in Sachen Bild-Kritik noch viel
weiter. Bild setze mit dem „Lockdown-Macher“-Artikel „ihre im vergangenen
Jahr begonnene einseitige Berichterstattung gegen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler fort“. Das widerspreche „den Grundregeln einer freien und
offenen Gesellschaft sowie den Grundprinzipien unserer Demokratie“. Diese
Kritik am Axel-Springer-Medium Bild seitens der sonst mit Wertung eher
zurückhaltenden Forschungsorganisationen sticht heraus.
Zur Allianz der Wissenschaftsorganisationen gehören unter anderem die
Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die
Hochschulrektorenkonferenz, die Max-Planck-Gesellschaft und die Leopoldina.
## Auch andere Themenfelder
Christina Beck, Sprecherin der Max-Planck-Gesellschaft, konkretisiert
gegenüber der taz: Neben dem Beitrag vom Wochenende sei die
Auseinandersetzung mit dem Virologen Christian Drosten das prominenteste
Beispiel. „Auch hier unterstellte die Bild dem Wissenschaftler eine
‚versteckte Agenda‘“, sagt Beck. Bild hatte im Mai 2020 über eine Studie
Drostens zur Infektiosität von Kindern berichtet. Die Zeitung hatte
Anspruch und Schlussfolgerungen der Studie ungenau wiedergegeben und
Drosten vor Veröffentlichung nur wenige Stunden Zeit gelassen, sich zu
äußern. Die anschließende wissenschaftliche Auseinandersetzung über die
Studie hatte Bild [2][zum Kampf stilisiert].
Beck nennt neben der Pandemie noch andere Themenfelder, bei denen die
Bild-Medien ein fragwürdiges Wissenschaftsverständnis aufwiesen. Etwa bei
Vorwürfen gegenüber den TV-Meteorologen Özden Terli und Karsten Schwanke im
Juni dieses Jahres.
In dem Beitrag unterstellte Bild den [3][„Wetterfröschen“], Wahlkampf für
die Grünen zu machen. Und zwar indem sie Fakten zum Klimawandel in ihre
Wetterberichte einbauten. Bild ließ den Chef des
Meinungsforschungsinstituts INSA, Hermann Binkert, in dem Artikel den
suggestiven Satz sagen: „Je stärker das Thema Klimaschutz im Bewusstsein
der Bevölkerung ist, desto eher werden die Grünen von der Kompetenz, die
man ihnen hier zuspricht, profitieren.“ [4][INSA und Binkert gelten als
AfD-nah], das Institut veröffentlicht regelmäßig Meinungsumfragen im
Auftrag von Bild.
„Neben der Corona-Pandemie gehören Klimawandel und Migration zu jenen
Themen, bei denen mit unlauteren Mitteln um die Deutungshoheit gerungen
wird“, sagt Christina Beck weiter. „Durch die Diskreditierung von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, durch die Negierung des
wissenschaftlichen Konsenses wie beim Klimawandel, oder durch den Einsatz
von Pseudoexperten wie in der [5][Feinstaubdebatte].“
## Springer-Verlag versteht Kritik
Eine solche von Schlagzeilen getriebene Berichterstattung, sagt Beck, finde
man sicher nicht nur, aber „insbesondere“ bei Bild. Sie trage nicht zu
einer Versachlichung des Diskurses bei. „Genau das ist aber angesichts der
Tragweite und Komplexität der Herausforderungen, vor denen wir stehen,
dringend geboten.“
Derweil nennt die Helmholtz-Gemeinschaft der taz als Beispiel für
Einseitigkeit einen Bild-Artikel vom April, der behauptet, der Epidemiologe
Gérard Krause sei von seinem Arbeitgeber, dem Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung in Braunschweig, daran gehindert worden, einen Brief zu
unterzeichnen, in dem Forscher*innen den Inzidenzwert als Maßstab
kritisierten.
[6][Krause dementierte umgehend]: Er habe selbstständig entschieden, seine
Haltung anderweitig zu äußern. Der Bild-Beitrag wurde nicht korrigiert.
Auch stört sich die Helmholtz-Gemeinschaft an Bild-Beiträgen aus dem
Frühjahr 2021, in denen die Virologin Melanie Brinkmann als „Aktivistin“
sowie als „radikalste Stimme in Merkels Team“ betitelt wird.
Der Springer-Verlag entgegnet, man könne die Kritik verstehen und nehme sie
ernst. „Wissenschaftler verdienen unseren Respekt“, sagt ein Sprecher der
taz. „Kritik an Wissenschaftlern und ihren Vorschlägen muss möglich sein,
aber immer angemessen geübt werden.“ Ähnlich hatte sich schon der neue
Bild-Chefredakteur Johannes Boie [7][am Sonntag geäußert], allerdings ohne
einen Anlass zu nennen. Der Verlagssprecher betonte auch, bei Bild kämen
viele Wissenschaftler*innen „mit verschiedenen Erkenntnissen und
Positionen zur Coronapandemie“ zu Wort.
7 Dec 2021
## LINKS
[1] /Der-Umgang-mit-der-vierten-Welle/!5814340
[2] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/corona-krise-professor-ke…
[3] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/sachliche-aufklaerung-ode…
[4] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-01/insa-consulere-hermann-bink…
[5] /Falsche-Angaben-zu-Stickoxid/!5572843
[6] https://twitter.com/Helmholtz_HZI/status/1384900481957441543?s=20
[7] https://www.bild.de/politik/kolumnen/kolumne/kommentar-von-bild-chefredakte…
## AUTOREN
Peter Weissenburger
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