Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Erfahrungen aus der Jugendpädagogik: „Das ist auch meine Geschic…
> Antisemitismus im Jugendzentrum: Burak Yilmaz versucht Teenager über
> NS-Geschichte und Judenhass aufzuklären. Darüber hat er ein Buch
> geschrieben.
Bild: Solidarität mit Israel, Kundgebung im Mai in Berlin
[1][Herr Yilmaz], Sie arbeiten in Duisburg als selbstständiger Pädagoge,
sind Initiator des Projektes Junge Muslime in Auschwitz, 2018 erhielten Sie
das Bundesverdienstkreuz für Ihr Engagement gegen Antisemitismus und für
eine inklusive Erinnerungskultur. Was treibt Sie an?
Burak Yilmaz: Ich möchte Bildungsangebote für Jugendliche auf die Beine
stellen, vor allem für jene, die benachteiligt sind. Gerade in Stadtteilen
wie Duisburg-Obermarxloh, wo ich seit über 10 Jahren aktiv bin, ist
deutlich, wie ungleich verteilt der Zugang zu Bildung ist. Genau an solchen
Orten möchte ich wirken. Es gibt dort enorm viele Talente.
Wie kam es zu Ihrem Schwerpunkt Antisemitismus?
Bei meiner Arbeit im Jugendzentrum merkte ich schnell, wie gängig dort
antisemitische Sprüche und rassistische Beleidigungen sind. Auf jeden
Interventionsversuch reagierten die Jugendlichen mit Unverständnis. Ein
Schlüsselereignis war 2009: Als Jugendliche nach einer Anti-Israel-Demo im
Jugendzentrum den Hitler-Gruß zeigten und „Heil Hitler“ riefen. Dass
Muslime so etwas machen, empfand ich damals als Verrat – und bewog mich
dazu, diesen Vorfall mit ihnen tiefgreifend aufzuarbeiten. Ein paar Jahre
später wurde ein Schüler von einer Gedenkstättenfahrt ausgeschlossen mit
der Begründung, dass er als Muslim sich dort ohnehin antisemitisch
verhalten würde. Das veranlasste mich, mit Jugendlichen einfach selbst
hinzufahren.
Bekamen Sie dafür auch Gegenwind?
Gerade aus meiner eigenen Community gab es viele Anfeindungen. Anfänglich
wurde ich als Zionist oder Jude beschimpft und mir und meiner Familie mit
Rufmord gedroht. Die teilnehmenden Jugendlichen machten ähnliche
Erfahrungen, wurden allerdings auch von nicht muslimischen Mitschülern
beleidigt. Die Anfeindungen sind inzwischen allerdings deutlich weniger
geworden – weil den meisten klar ist, wie wichtig diese Arbeit ist.
Was haben die Anfeindungen mit Ihnen gemacht?
Die lasse ich an mir abprallen. Viel weniger komme ich aber auf die
Ignoranz der Duisburger Politik klar. Menschen wie ich müssen uns immer
wieder anhören, dass wir uns integrieren sollen. Aber wenn wir dann
selbstbewusst auftreten, Bildungskonzepte in der Tasche haben oder
Forderungen aufstellen, dann werden wir ignoriert.
Wie erklären Sie sich das?
Die Probleme vor Ort werden geleugnet, wenn nicht sogar aktiv verstärkt.
Durch eigenen Antiziganismus etwa oder die Kooperation mit türkischen
Nationalisten.
Erreichen Sie aus dem Milieu der Grauen Wölfe, immerhin eine der größten
rechtsextremen Bewegungen in Deutschland, ebenfalls Anfeindungen?
Nicht dass ich wüsste. In der Arbeit gegen Rassismus müssen wir natürlich
auch den häufig sehr problematischen Umgang mit Minderheiten innerhalb der
Community in den Blick nehmen. Wir haben zwar nicht die Ressourcen wie die
Mehrheitsgesellschaft, aber dennoch müssen wir mehrdimensional denken –
erst recht in einer Stadt wie Duisburg, in der türkischstämmige Menschen
einen erheblichen Teil der Bevölkerung ausmachen.
Was sind die Kernprinzipien Ihrer Arbeit gegen Antisemitismus?
Zunächst die Biografie-Arbeit: also eine intensive, selbstreflexive
Auseinandersetzung mit Erfahrungen und Erlebnissen in Bezug auf
Antisemitismus und Jüd*innen im eigenen Umfeld. Dazu kommen die
Gedenkstättenfahrten. Wichtig ist auch mein Theaterprojekt, in dem die
Jugendlichen in Rollen schlüpfen und innere Widerstände über einen längeren
Zeitraum reflektieren. Sie bringen dabei regelmäßig Geschichten aus ihrem
eigenen Leben ein, etwa das eigene Schweigen bei antisemitischem Verhalten
von Mitschüler*innen. Wir spielen dann alternative Handlungsmöglichkeiten
für solche Situationen. Außerdem arbeite ich mit den Jugendlichen viel zu
lokaler NS-Geschichte.
Was sind für Sie die zentralen Defizite der [2][deutschen
NS-Erinnerungskultur]?
Sie ist auf die Mehrheitsgesellschaft zugeschnitten. Selbstverständlich ist
diese Perspektive wichtig, aber in einer pluralen Gesellschaft muss sie
ergänzt werden durch weitere Zugänge. Auch in den Institutionen braucht es
einen Wandel. In Museen oder Gedenkstätten sollten nicht nur Angehörige der
Mehrheitsgesellschaft arbeiten. Es geht um die Möglichkeit, Geschichte
mitzugestalten. Wer das Gefühl hat, dass genau das möglich ist oder sogar
schon passiert, ist eher bereit zu sagen: Das ist auch meine Geschichte.
Häufig aber wird Jugendlichen das Gefühl gegeben, keine richtigen Deutschen
zu sein, obwohl sie hier geboren sind, den deutschen Pass haben und sich
auch als Deutsche verstehen.
Ich versuche den Jugendlichen zu vermitteln, dass wir solche
Fremdzuschreibungen nicht zu Selbstzuschreibungen machen müssen. Die Arbeit
mit lokaler Geschichte ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig. Denn
die Jugendlichen haben in der Regel eine starke Verbindung zu ihrer
Heimatstadt oder ihrem Stadtteil. Sie merken dann, dass der
Nationalsozialismus auch direkt vor ihrer eigenen Haustür stattgefunden hat
– und dadurch auch sie betrifft.
Sie erwähnten die Notwendigkeit einer Pluralisierung der Perspektiven in
der NS-Erinnerungskultur. In den hiesigen Feuilletons tobt hierzu seit
Längerem eine Auseinandersetzung. Verfolgen Sie die Debatte?
Eher weniger. Denn das alles hat nicht so viel mit meinen Erlebnissen in
der Praxis zu tun, wo ich ganz andere Aufgaben und Fragestellungen finde.
Mir ist es wichtig, an der Basis zu arbeiten. Damit bin ich genug
beschäftigt.
Eine in der Debatte vertretene Position behauptet die Existenz eines
„Katechismus der Deutschen“, der sich durch eine angeblich bedingungslose
Unterstützung Israels sowie einen umfassenden Philosemitismus auszeichne.
Bemerken Sie davon auch etwas in Ihrer Arbeit?
Ich merke eher, dass beim Thema Antisemitismus ein großes Schweigen
herrscht. Die Leute sind damit sehr häufig total überfordert. Allein schon
das Wort „Jude“ zu sagen, löst bei vielen schon eine eigenartige Reaktion
aus. Das erlebe ich auch bei Fortbildungen etwa für die Polizei oder
Lehrkräfte. An dieses Schweigen, an diese inneren Widerstände möchte ich
als Pädagoge ran. Auch Lehrende sollten sich dabei als Teil des Prozesses
sehen. Einer meiner Geschichtslehrer hat seine eigene Familienbiografie
inklusive der Verstrickungen in den Nationalsozialismus zum Thema gemacht.
Diese Offenheit, auch so persönlich mit dem Thema umzugehen, hat mich
fasziniert. Sie ist aber leider eine absolute Ausnahme.
2016 waren Sie das erste Mal in Israel. Wie war das für Sie?
Ich war aufgeregt und hatte auch Angst. Denn ich bin mit einem stereotypen
Bild von Israel aufgewachsen: So als wären dort überall nur israelische
Panzer und drumherum Steine werfende palästinensische Jugendliche. Dass ich
dann in einem Café in Jerusalem sitze, in dem Juden, Muslime und Drusen
kollegial zusammenarbeiten, hat bei mir Denkprozesse in Gang gebracht.
Bewegend waren Begegnungen mit Shoah-Überlebenden sowie alltägliche
Gespräche mit Gleichaltrigen. Besonders beeindruckt haben mich ihre
Reaktionen, als ich erzählt hatte, dass ich Deutscher bin: Das haben sie
einfach akzeptiert. Ohne mit der Wimper zu zucken.
Welche Inspiration für Ihre pädagogische Arbeit konnten Sie mitnehmen?
Dass während des Nationalsozialismus auch Muslime jüdische Familien
geschützt haben. In Yad Vashem etwa habe ich von der Geschichte des
ägyptisch-deutschen Arztes Mod Helmy erfahren. Klar wurde mir auch, dass
ich hier in Deutschland mit den Jugendlichen über den Konflikt sprechen
muss. Einfach weil das Thema sie bewegt und es gerade auf Social Media
allgegenwärtig ist. Die Jugendlichen sind sehr neugierig, haben meistens
allerdings sehr wenig und stereotypes Wissen. Das versuche ich
aufzubrechen.
Am 9. Oktober hat sich der antisemitische und rassistische [3][Anschlag von
Halle gejährt]. Wie blicken Sie auf den Umgang damit?
Wir haben genug Sonntagsreden gehört. Mir fehlt der politische Wille in
diesem Land, Antisemitismus wirklich auch auf allen Ebenen zu bekämpfen.
Der Anschlag von Halle, aber auch das Attentat von Hanau hat das Gefühl von
Sicherheit und Zugehörigkeit innerhalb der Communitys massiv erschüttert.
Wer schützt uns beim nächsten Anschlag? Diese Angst hat jedoch kaum
Anerkennung gefunden und wurde durch Erzählungen der Eltern und Großeltern
von früheren Anschlägen noch verstärkt. Durch die Attentate haben viele
aber auch begriffen, dass Rassismus und Antisemitismus zusammen bekämpft
werden müssen, denke ich.
17 Oct 2021
## LINKS
[1] /Heroes-Projekt-fuer-Jugendliche/!5333502
[2] /Gedenken-an-NS-Verbrechen/!5801895
[3] /Jahrestag-des-Halle-Anschlags/!5806778
## AUTOREN
Till Schmidt
## TAGS
Buch
Jugendarbeit
Sozialarbeit
Antisemitismus
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Erinnerungskultur
Graue Wölfe
Existenzrecht Israels
Schwerpunkt Syrien
Jugendarbeit
Schule
## ARTIKEL ZUM THEMA
Anthropologin über deutsche Muslime: „Die Erinnerung an den Holocaust gehör…
Muslimische Menschen stünden unter Generalverdacht, antisemitisch zu sein.
Das verschleiere den Antisemitismus weißer Deutscher, sagt Esra Özyürek.
Rechtsextreme „Graue Wölfe“: Hass aus 3.000 Kilometern
Der kurdischstämmige Politiker Civan Akbulut erhält Morddrohungen im
Internet. Er ist nur eines von vielen Opfern. Taz-Recherchen führen in die
Türkei.
Diskussion um „deutsche Staatsräson“: Schutz für Israel problematisch?
Die geplante Ampelkoalition will eine streitbare Formulierung in den
Koalitionsvertrag aufnehmen: Ein Framing, das näherer Prüfung nicht
standhält.
Graphic Novel „Der Araber von morgen“: Multikultur für Anfänger
Riad Sattouf erzählt eine Kindheit zwischen Europa und dem Nahen Osten –
mit subversivem Witz gegen Antisemitismus und das Patriarchat
Antisemitismusbewusste Jugendarbeit: Nicht mit uns
Antisemitismus zu kritisieren ist in der Jugendarbeit besonders wichtig. In
der Neuköllner Schilleria bilden sich junge Frauen zu Expertinnen aus.
Veranstaltung am Dienstag.
Heroes-Projekt für Jugendliche: Wann ist ein Mann ein Mann?
Das Heroes-Projekt will patriarchale Denkmuster bei Jugendlichen mit
Migrationshintergrund aufknacken. Junge Männer touren durch Schulen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.