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# taz.de -- Heroes-Projekt für Jugendliche: Wann ist ein Mann ein Mann?
> Das Heroes-Projekt will patriarchale Denkmuster bei Jugendlichen mit
> Migrationshintergrund aufknacken. Junge Männer touren durch Schulen.
Bild: Die Duisburger Gruppe des Heroes-Projekts – mit Leiter Burak Yilmaz (2.…
Muhammed Saat quetscht sich als letzter in den Stuhlkreis. Die Gartenstühle
aus Plastik sind sperrig, und auch er möchte wegen der Hitze noch ein
bisschen Schatten unter dem Efeu abgreifen. Bei schönem Wetter wie heute
treffen sich Saat und seine Mitstreiter in dem Fleckchen Garten neben dem
Jugendzentrum in Duisburg. Seine Mitstreiter sind, wie er, junge Männer mit
Migrationshintergrund, die einst mit ihren Wertvorstellungen gebrochen
haben.
Auch Burak Yilmaz sitzt in dem Stuhlkreis, er war Saats Ausbilder, ist 27,
angehender Lehrer. Er wendet sich seinem Nebenmann zu und fragt: „Hast du
von Ahmad gehört?“ „Ja, Alter, hör auf“, antwortet Oguz-Han Uzun, 29,
Student der Sozialpädagogik. Das blaue Hemd spannt an seinen Muskeln. „Was
meinst du, willst du nicht drüber sprechen?“, fragt Yilmaz. „Nein Mann“,
flüstert Uzun, „das geht doch nicht.“ Seine Stimme wird noch leiser:
„Alter, der ist schwul.“ Seine Hand fliegt von der Stirn auf den Schoß,
immer wieder, als ob er das ausdrücken will, was Worte allein nicht mehr
vermögen. Yilmaz guckt irritiert: „Na und?“ Uzun guckt irritierter: „Alt…
wir waren mit dem duschen. Der hat mir doch bestimmt auf den Arsch geglotzt
und irgendwelche Fantasien gehabt“.
Er schaut Yilmaz eindringlich ein, als wäre diese Erkenntnis doch wohl die
klarste der Welt. Doch der schüttelt den Kopf: „Ach was. Er ist unser
Freund, und wir müssen ihn jetzt unterstützen. Du kennst doch seinen
Vater“. Yilmaz’ Blick harrt auf seinem Freund aus, der von Uzun löst sich
dagegen aus der Konfrontation. Kaum merklich, aber dennoch. Dann lächeln
beide verlegen: Ihre Unterhaltung war nicht echt, sondern ein Rollenspiel.
Rollenspiele dieser Art sind Teil der Workshops, die Yilmaz, Uzun und ihre
Mitstreiter vom Heroes-Projekt an Schulen geben. Dessen Idee ist,
Jugendliche, deren Vorfahren aus einem muslimisch geprägten Land kommen,
ihre traditionell-konservativen Wertevorstellungen hinterfragen zu lassen –
hin zu mehr Offenheit gegenüber Homosexuellen und einer gestärkten Rolle
von Frauen. Das Heroes-Projekt wurde 2007 in Berlin gegründet, unter
anderem von dem arabischen Autor und Psychologen Ahmad Mansour. Sieben
weitere Städte zogen nach: zunächst Duisburg, dann auch München, Augsburg,
Köln, Nürnberg, Schweinfurt und Offenbach.
## Vorbilder, Anstoßgeber
Die Heroes sind junge Männer wie Muhammed Saat, die aus einem ähnlichen
kulturellen und sozialen Kontext stammen wie die, die sie zum Nachdenken
bewegen möchten. Ausgebildet wurde Saat, der 21-jährige
Medizinphysikstudent, von Yilmaz und Uzun, mittlerweile geht er seit zwei
Jahren selbst in Schulen. Er übernimmt jetzt eine Vorbildrolle und regt an,
dass vor allem junge Männer (aber auch Frauen) mit ihren restriktiven
Vorstellungen von Ehre, Sexualität und Dominanz brechen. Patriarchale
Strukturen sollen hinterfragt, Diskussionen angestoßen, Perspektiven
geändert werden. Für viele Jugendliche, auf die die Heroes treffen, ist das
Patriarchat ein sinnstiftendes Element. Wer das angreift, greift immer auch
ein Stück ihrer Identität an.
Gerade das lassen viele nicht zu und beschimpfen die Heroes als „unechte
Muslime“ – weshalb diese lange auf die Schulbesuche und mögliche
Konfrontationen vorbereitet werden. Anleiter wie Yilmaz und Uzun sprechen
während der Ausbildung wöchentlich mit den angehenden Helden über Themen
wie Gleichberechtigung, Homophobie und Antisemitismus, gemeinsam fahren sie
nach Auschwitz. Wenn sie nach etwa anderthalb Jahren – oder wie lange es
eben dauert – bereit sind, gehen sie in Schulen, Jugendzentren, neuerdings
auch in Flüchtlingsunterkünfte. Dann präsentieren sie die in ihrem Training
erarbeiteten Workshops, zu denen zum Beispiel die Rollenspiele gehören.
Susanne Reitemeier-Lohaus hat das Projekt in Duisburg initiiert. In einem
Kinder-Duden wäre ihr Bild neben dem Begriff der Sozialarbeiterin
abgedruckt. Beine und Arme sind tätowiert, auf ihrem T-Shirt zeigt sie
deutlich, was sie von Nazis hält. An ihren Fingern sitzen breite Ringe,
zwischen ihnen eine Zigarette. Natürlich kennt auch sie die Debatten, ob
der Islam zu Deutschland gehöre, dass er Frauen unterdrücke, Ehrenmorde
verursache. Sie sagt: „Das ist nicht der Islam. Aber es hat etwas mit dem
Islam zu tun, wenn Muslime sagen, dass Ehrenmorde richtig sind.“
Trotzdem ist Religion bei den Heroes nicht mehr als ein Nebenschauplatz.
Der aus Sicht der Projektmacher alles entscheidende Begriff der Ehre ist
nicht im Islam verankert, es gibt ihn genauso bei koptischen Christen,
orthodoxen Juden oder eben nationalistischen Deutschen. Er ist nicht an
Religionen, sondern Traditionen gekoppelt. Und bei vielen eben an den
Glauben, dass die Ehre einer Familie zwischen den Beinen ihrer Frauen,
Töchter und Schwestern stattfindet.
## Bedienen lassen: männlich?
„Ich war keine Jungfrau mehr, aber bis ich 25 war, war mir klar, dass ich
eine Jungfrau heiraten werde“, gesteht Sam, der seinen vollständigen Namen
nicht nennen will. Wie Saat ist er einer der fertig ausgebildeten Heroes.
In sogenannten Ehren-Cafés in Duisburg hat er seine Zeit verbracht; dort,
wo sich ausschließlich Männer begegnen, um über die Ehre von anderen zu
urteilen. „Natürlich hat mir das Konzept des Patriarchats gefallen,
schließlich habe ich davon profitiert.“
Aber in der Uni lernte er Uzun kennen, der nahm ihn mit zu den Heroes, und
Sam fand Antworten auf die Fragen, die jahrelang in seinem Kopf
herumschwirrten. Früher sei es bei ihm zu Hause ein Tabu gewesen, als Mann
in der Küche zu helfen. Heute beobachte er sogar seinen Vater dabei. Weil
Sam ihm die Frage gestellt habe: Ist es nicht viel männlicher zu helfen,
als sich bedienen zu lassen?
Einst hatten sie auch alle Probleme mit Homosexuellen, früher sogar Burak
Yilmaz, der Gruppenleiter. Muhammed Saat räumt ein: „Während meiner
Ausbildung zum Hero haben zwei Jungs das Projekt verlassen, als wir bei dem
Thema ankamen.“ Yilmaz nickt und knetet immer wieder seinen Bart am Kinn
Richtung Nase, der, vielleicht auch deshalb, allmählich horizontal wächst.
„Das ist immer das schwierigste Thema.“ Es dauere zu begreifen, dass jeder
Mensch sexuelle Selbstbestimmung genießen sollte. Und am meisten schmerze
es, einzusehen, dass das bisher Gedachte, von dem man so überzeugt war, es
einfach nicht sein kann. „Es ist wie mit dem Weihnachtsmann. Es tut weh zu
erfahren, dass er nicht existiert, aber es muss sein. Und irgendwann kommt
man drüber weg“, sagt Saat.
Wenn sie in die Schulen und Jugendzentren gehen, wird keine Meinung
verurteilt, Denkverbote existieren nicht. Sie wollen nicht eine defizitäre
Kultur in eine bessere integrieren, deshalb seien die Heroes auch kein
Integrationsprojekt, sagt Reitemeier-Lohaus. Viel wichtiger sei das
gemeinsame Ergänzen und Verändern und der Austausch.
Auch, wenn sie die „Hardliner“ einer Klasse nicht sofort erreichen, so
stoßen sie mit ihren Besuchen dennoch Debatten an, die in den Köpfen
bleiben. Die sie hinaus in den öffentlichen Raum tragen. In manchen Klassen
seien gar nicht die Schüler das Problem, auch nicht die Hardliner, sondern
die Lehrer. Die, die möchten, dass die Heroes vorbeikommen und „die
Macho-Türken besser machen“, sagt Reitemeier-Lohaus. Lehrer, die
Schwierigkeiten eines Schülers nur noch mit seiner Religionszugehörigkeit
zum Islam begründen. Die Islamisierung von sozialen Problemlagen quasi.
„Früher hatten wir es vor allem mit Kulturrelativisten zu tun, die meinten,
man dürfe sich in andere Kulturen nicht einmischen. Heute begegnet uns
dagegen viel Pegida-Style.“
## Die beste Auszeichnung
Nur in Berlin ist das Heroes-Projekt über öffentliche Gelder fest
finanziert. In München wäre das Projekt kürzlich beinahe gescheitert, weil
kein Geld da war. Für die Duisburger Heroes stellt sich die Frage nach der
Finanzierung jährlich aufs Neue. Sie haben Sponsoren, unter anderem den
Duisburger Lions-Club. Eine Festfinanzierung würden sich natürlich alle
wünschen, das sei derzeit „aber undenkbar“, heißt es seitens der Stadt auf
Nachfrage. Unterstützt wird es aber dennoch von der Stadt mit
Räumlichkeiten und immerhin 10.000 Euro im Jahr.
Am Ende der Ausbildung gibt es für die Heroes, die Helden sind, weil sie
sich trauen, mit Tabus zu brechen, ein Zertifikat. Aber Muhammed Saat sagt:
„Mein bestes Zertifikat war das Vertrauen meiner Schwester. Als sie ihren
ersten Freund hatte, ist sie zu mir gekommen.“ Das ist etwas, das ihn heute
stolz macht.
9 Sep 2016
## AUTOREN
Hanna Voß
## TAGS
Schule
Jugendliche
Patriarchat
Jugendliche
Buch
Bildung
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