# taz.de -- Schicksal einer Ortskraft in Afghanistan: „Warum haben sie uns ve… | |
> Masoud Azami war Ortskraft in Afghanistan. Seit Wochen versteckt er sich | |
> in Kabul, hat Angst um sich und seine Kinder. Wie konnte das passieren? | |
Bild: 6. Oktober 2021: Afghanen drängeln sich vor dem Passamt in Kabul | |
Selten hat sich Masoud Azami seiner Rettung so nah und gleichzeitig so | |
fern gefühlt wie am 26. August. Es ist der letzte Tag, an dem deutsche | |
Flugzeuge Menschen aus Kabul ausfliegen. Für Azami ist es einer von | |
vielen, an denen er dafür kämpft, sein Land zu verlassen. | |
Er sei früh aufgestanden, um mit seiner Familie zum Flughafen zu fahren, | |
erzählt Azami heute. „Tausende Menschen haben sich da gedrängelt. Es war | |
unerträglich heiß, es hat gestunken, alle haben geschrien und gerufen.“ | |
Auch er habe mit seinen Papieren in der Luft gewedelt: ein Arbeitsvertrag | |
von der Bundeswehr, Dienstzeugnisse, unterschrieben von deutschen Soldaten. | |
„Ich bin Ortskraft der Bundeswehr“, habe er immer wieder gerufen. Aber es | |
sei zu laut gewesen, niemand habe ihn gehört. Gegen 14 Uhr hätten sie | |
aufgegeben und seien zurück in ihr Versteck gefahren. Vier Stunden später | |
sprengte sich vor dem Flughafen ein Selbstmordattentäter in die Luft. 170 | |
Menschen sterben. | |
Masoud Azami hatte Glück und war trotzdem niedergeschlagen. Traurig sei | |
nicht nur, dass er es nicht in einen deutschen Flieger geschafft hat. „Ich | |
habe mit deutschen Soldaten wie denen am Flughafen acht Jahre meines Lebens | |
verbracht“, erzählt er und stockt. „Wir haben im gleichen Camp geschlafen, | |
waren zusammen unterwegs, haben Witze gemacht. Es hat sich angefühlt, als | |
wären wir uns nah. Aber an diesem Tag am Flughafen war eine riesige Distanz | |
zwischen uns.“ | |
Masoud Azami, 52 Jahre alt, Dreitagebart, sitzt in einem Hinterhof irgendwo | |
in Kabul und erzählt seine Geschichte. Wir videotelefonieren über Whatsapp. | |
Azami sieht müde aus. Von den Wänden blättert der Putz, über ihm wächst | |
Wein. Ein Hahn kräht, von der Straßen schallt eine Männerstimme, Azami | |
übersetzt es ins Deutsche: „Sofas, Fernseher, Sessel, wir kaufen alles, was | |
ihr loswerden wollt.“ | |
## Deutschlands „verdammte Pflicht“ | |
Der Hinterhof gehört zu Azamis Versteck. Seit Anfang September lebt er mit | |
seiner Frau und seinen drei Kindern in einer Wohnung in Kabul, versteckt | |
vor den Taliban. Von 2007 bis 2015 hat er für die Bundeswehr in | |
Masar-i-Scharif übersetzt. Für die Taliban macht ihn das zum Feind. Er ist | |
eine jener Ortskräfte, über die die CDU-Verteidigungsministerin Annegret | |
Kramp-Karrenbauer gesagt hat, es gebe das „ganz klare Commitment, dass die | |
rauskommen“. Außenminister Heiko Maas von der SPD bezeichnete es als | |
Deutschlands „verdammte Pflicht“. | |
Es ist still geworden um die Ortskräfte. Die Bilder vom Kabuler Flughafen | |
sind weit weg. Aber die Menschen, die in Afghanistan zurückgelassen wurden, | |
warten weiter auf ihre Rettung. | |
Etwa 5.000 Afghan*innen konnte die Bundeswehr im August aus Kabul | |
rausfliegen. Seitdem sie endgültig abgezogen ist, sind rund 850 weitere | |
Menschen aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Nicht alle von ihnen | |
sind Ortskräfte. Wie viele Ortskräfte noch in Afghanistan festsitzen, | |
ermittelt die Bundesregierung derzeit. Die Hilfsorganisation | |
Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte geht von Tausenden aus. | |
Während die Taliban ihre Macht immer brutaler demonstrieren, versucht | |
Masoud Azami alles, um Afghanistan zu verlassen. Seine Geschichte wirft die | |
Frage auf, wie ernst es Deutschland nimmt mit seiner Verantwortung für | |
jene, die geholfen haben, die deutsche Sicherheit am Hindukusch zu | |
verteidigen. | |
Azami hat seine Dokumente an alle denkbaren Stellen geschickt. Er hat die | |
Bundeswehr kontaktiert, das Verteidigungsministerium, das Auswärtige Amt. | |
Er hat automatisierte Mails zurückbekommen, in denen stand, man werde sich | |
melden, sobald sein Antrag bearbeitet wurde. Doch er hat bis heute keine | |
SMS, keine Mail und keinen Anruf bekommen. Er weiß nicht, ob er auf einer | |
Evakuierungsliste steht. Er hat keine Aufnahmezusage der Bundesrepublik. | |
Ohne Aufnahmezusage bekommt er kein Visum, ohne Visum keine Ausreise, ohne | |
Ausreise keinen Schutz vor den Taliban. | |
Ende August hat die taz [1][zum ersten Mal über Masoud Azami berichtet]. | |
Seitdem halten wir Kontakt. Fast täglich schreiben wir uns, telefonieren | |
mehrmals die Woche mit Video. Azami dokumentiert seinen Alltag mit Fotos | |
und Videos. Sie zeigen die Isolation und die Unsicherheit, mit der er seit | |
Wochen lebt. Nicht alles, was er über sein Leben erzählt, lässt sich | |
überprüfen. Doch spricht man mit Menschen, die ihn gut kennen, mit seiner | |
Familie, Freunden und deutschen Soldaten, ergibt sich ein Bild. | |
Masoud Azami fängt 2007 an, für die Bundeswehr zu arbeiten, als | |
Deutsch-Dari-Übersetzer. „Sprachmittler im Zuständigkeitsbereich des DEU | |
EinsKtgt ISAF Camp Marmal“ heißt das in seinem Arbeitsvertrag, | |
unterschrieben von einem Major der Bundeswehr. | |
## Das Bundeswehrvokabular perfekt drauf | |
Azami hat als Kind in Kabul eine deutsche Schule besucht. Sein Vater, ein | |
Lehrer, mochte die deutsche Sprache, sagt er. Von 1997 bis 2005 hat er in | |
Deutschland gelebt. Er habe Asyl bekommen, weil er vor den Taliban | |
geflüchtet sei. Mit seiner Schwester und seiner Mutter lebte er in Hamburg, | |
seine Schwester ist noch heute dort. 2005 endete Azamis Asyl, er kehrte | |
freiwillig zurück. „Ich wollte mithelfen, die Demokratie in Afghanistan | |
aufzubauen.“ | |
Azamis Deutsch ist gut. Das s spricht er weich, sucht manchmal nach einem | |
Wort. Was er aber perfekt draufhat, ist das Bundeswehrvokabular: | |
Feldjägerausbildungskompanie, Einsatzwehrverwaltung, Objektschutzregiment. | |
Mit den deutschen Soldaten in Masar-i-Scharif war er viel unterwegs. Er hat | |
für die Feldjäger gearbeitet, hat die Ausbildung von afghanischen | |
Polizisten begleitet, ist mit auf Patrouille gefahren, rund um das Camp der | |
Bundeswehr. Ein Foto von damals zeigt ihn in Camouflage in einem | |
Bundeswehr-Helikopter, ein anderes in der Wüste Afghanistans vor einem | |
gepanzerten Fahrzeug mit der Aufschrift „ISAF“. | |
Stolz zeigt Azami seine Urkunden in die Kamera. Er hat sie bei seiner | |
Flucht in eine Klarsichthülle gepackt und mitgenommen: „Dank und | |
Anerkennung für die gezeigten sehr guten Leistungen im 6. | |
Feldjägerausbildungskommando“ steht da. Auf einem Dienstzeugnis steht | |
„Führung: gut, Leistungsvermögen: gut, Übersetzung: gut“, „Sowohl sein | |
Sprachschatz als auch seine interkulturelle Kompetenz sind außergewöhnlich | |
gut ausgeprägt“. | |
Von den Taliban bekommt er 2014 eine Morddrohung. Auch die trägt er noch | |
mit sich herum und zeigt sie der taz. Handgeschrieben steht dort: „Masoud | |
Azami, du bist ein Spion für die ausländischen Truppen. Wir werden dich | |
töten“ Darunter prangt der Stempel von einem Kommandanten der Taliban. Ein | |
Oberfeldwebel der Bundeswehr hat schriftlich bestätigt, dass es sich um ein | |
Originaldokument handelt. | |
Masoud Azami kann nicht verstehen, wieso Deutschland, das Land, für das er | |
sein Leben riskiert hat, ihn hängen lässt. „Deutschland hat versprochen, | |
uns zu helfen. Aber nichts passiert. Warum haben sie uns vergessen?“, fragt | |
er in die Kamera. | |
## Durchgerutscht | |
Die Frage quält ihn. Die Antwort ist kompliziert. Versucht man | |
herauszufinden, warum er noch nicht nach Deutschland kann, stößt man auf | |
ein bürokratisches Durcheinander und auf Ministerien, die die Verantwortung | |
hin- und herschieben. | |
Die Bundesregierung hat Afghan*innen, die von den Taliban bedroht werden, | |
in zwei Gruppen eingeteilt: Die einen sind Ortskräfte, die für die | |
Bundeswehr oder das Entwicklungsministerium gearbeitet haben. Die trägt das | |
Verteidigungsministerium zusammen und übergibt sie an das Innenministerium. | |
Wenn das sein Okay gibt, landen die Ortskräfte auf der sogenannten | |
Masterliste des Auswärtigen Amts. Die zweite Gruppe umfasst NGOs, | |
Journalistinnen, Frauenrechtlerinnen. Sie stehen auf der | |
Menschenrechtsliste des Auswärtigen Amts. Wer auf den Listen steht, darf | |
nach Deutschland kommen. | |
Anfang September steht Masoud Azami auf keiner der beiden Listen. „Wir | |
können uns das nicht erklären“, sagt Quais Nekzai, Mitarbeiter des | |
Patenschaftsnetzwerks. Er betreut von Deutschland aus über 500 Ortskräfte, | |
die nach Deutschland wollen. Viele hätten bis heute keine Aufnahmezusage | |
erhalten, sagt er. | |
Das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und das Innenministerium | |
äußern sich auf taz-Nachfrage nicht offiziell zu Azami. Aus Kreisen des | |
Verteidigungsministeriums heißt es, die Zeiten, in denen die Liste erstellt | |
worden sind, seien chaotisch gewesen. Es könne schon sein, dass da mal ein | |
Name durchgerutscht ist. | |
Prinzipiell erkennt das Verteidigungsministerium alle Ortskräfte, die über | |
das Jahr 2013 hinaus für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet haben, | |
als gefährdet an. Azami hat bis 2015 für die Bundeswehr gearbeitet. Das | |
Innenministerium führt dann eine Sicherheitsprüfung für die Personen durch, | |
man will keine Terroristen nach Deutschland holen. | |
Ihrer Heimatstadt Masar-i-Scharif haben Azami und seine Familie Anfang | |
August den Rücken gekehrt. Er habe im Fernsehen verfolgt, wie die Taliban | |
immer näher kamen. „Dann rief ein Freund an. Er hat gesagt, wir sollten | |
Masar-i-Scharif sofort verlassen, die Taliban stünden bald an der | |
Stadtgrenze.“ In Kabul kommt Azami zunächst in einem Safe House unter, das | |
das Patenschaftsnetzwerk für die Ortskräfte organisiert hatte. Von dort | |
versucht er auf vielen Wegen, nach Deutschland zu kommen. Er schreibt Mails | |
an Abgeordnete der Grünen, ist in Kontakt mit Ehrenamtlichen aus | |
Nordrhein-Westfalen, die sich bei CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak für ihn | |
eingesetzt haben. | |
Kurz bevor die Taliban Mitte August Kabul erobern, bekommt Azami einen | |
zweiten Anruf: Ihre Bleibe sei nicht mehr sicher. Bald würden die Taliban | |
die Häuser durchkämmen. Azami und die anderen Familien sollen sich eigene | |
Verstecke suchen. Anfang September wechselt Masoud Azami schließlich das | |
Versteck in Kabul. Die Taliban hätten in der Nacht zuvor das Nachbarhaus | |
gestürmt und zwei Männer festgenommen, schreibt er in einer | |
Whatsapp-Nachricht. | |
Seit fünf Wochen nun leben sie im Haus eines Bekannten. Viele Möbel stehen | |
nicht in der Wohnung, der Boden ist mit dicken Teppichen belegt. Wenn sie | |
zu laut sprechen, hallt es. An den Wänden haben die Kinder selbstgemalte | |
Bilder aufgehängt. | |
## Angst, den Sohn an die Terrorosten zu verlieren | |
Der 11-jährigen Tochter und dem 7-jährigen Sohn fehlt die Schule. Masoud | |
Azami will nicht, dass ihre Namen in der Zeitung stehen. Die Tochter winkt | |
fröhlich in die Kamera: „Hallo“ sagt sie und beginnt, auf Deutsch zu | |
zählen. Während der Zeit im Safe House hat Azami seinen Kindern | |
Deutschunterricht gegeben, er will sie vorbereiten auf ihr Leben in | |
Deutschland. | |
Der Sohn zeigt seinen blauen Spiderman-Schulranzen. Den Superhelden mag er, | |
weil der so gelenkig ist. Der Junge turnt gern, übt mit Youtube-Videos. | |
Stolz führt er vor der Kamera vor, was er gelernt hat: nimmt Anlauf, macht | |
einen Salto und landet auf beiden Füßen. Sein Vater klatscht Applaus. Als | |
sein Sohn nicht mehr in der Nähe ist, erzählt Azami, dass er Angst hat, ihn | |
an die Terroristen zu verlieren, wenn sie in Afghanistan bleiben müssen. | |
„Wenn er nichts hat, keine Bildung, keine Perspektive, dann werde ich es | |
kaum verhindern können.“ | |
Masoud Azami geht nur noch selten raus. Die beiden älteren Kinder gehen | |
einkaufen für die Familie. „Kinder sind unverdächtig, die Taliban | |
interessieren sich noch nicht für sie“, sagt er. Trotzdem hat er Angst um | |
sie. Seine Tochter verhüllt ihr Haar mit einem Kopftuch, sie hasst das, | |
erzählt sie in die Handykamera. „In etwa einem Jahr müsste sie anfangen, | |
Burka zu tragen, so wollen es die Taliban“, sagt ihr Vater. Eine Träne | |
läuft über seine Wange, als er davon erzählt. | |
Das Leben draußen verfolgt er über sein Handy. Er ist in einer | |
Whatsapp-Gruppe mit rund siebzig anderen Ortskräften. Dort schicken sie | |
sich Neuigkeiten: Neulich wurde der Bruder eines Freundes festgenommen. Er | |
ist seitdem verschwunden. An einem anderen Tag schreibt ein Freund, beim | |
Freitagsgebet in der Moschee habe der Imam alle, die für Ausländer | |
gearbeitet haben, Spione genannt. An ihnen werden wir Rache nehmen, habe er | |
gesagt. Später berichtet auch der Nachrichtensender CNN darüber. | |
## Schleppende Evakuierung | |
Manchmal gibt die Whatsapp-Gruppe Masoud Azami aber auch Hoffnung: wenn | |
etwa einer schreibt, dass wieder ein Afghane erfolgreich über die Grenze | |
nach Pakistan gebracht wurde und nach Deutschland fliegen darf. | |
Es sind jetzt auch Privatleute, die Menschen aus Afghanistan rausbringen. | |
Die [2][„Luftbrücke Kabul“] fährt sie in Kleinbussen nach Pakistan. Die | |
Dresdner Initiative [3][„Mission Lifeline“] hat Spenden gesammelt, um einem | |
afghanischen Journalisten die Flucht zu finanzieren. Weil die deutsche | |
Botschaft in Kabul verwaist ist, müssen Afghan*innen bei der Botschaft | |
in Pakistans Hauptstadt Islamabad ein Visum für Deutschland beantragen. | |
Dass die Evakuierung so schleppend vorangeht, liegt auch daran, dass die | |
Bundesregierung das Thema lange ignoriert hat. Im Frühsommer dieses Jahres | |
hatte die Bundeswehr begonnen, Ortskräfte rauszufliegen. Immer wieder haben | |
Politiker*innen verschiedener Parteien versucht, ihre Aufnahme zu | |
beschleunigen. Doch die zuständigen Ministerien stritten über Visa- und | |
Sicherheitsfragen, über die Frage, wen man eigentlich retten wolle und wie | |
man verhindern könne, dass die Aufnahme von Ortskräften eine „Sogwirkung“ | |
entfalte. | |
In einem Industriegebiet im Hamburger Norden wartet Azlan Rahmani und | |
raucht. Rahmani heißt eigentlich anders. Er will sein Leben in Deutschland | |
nicht mit schlechter Presse starten, deswegen bittet er, ihn unkenntlich zu | |
machen. | |
Hinter Rahmani liegt ein betonierter Lkw-Parkplatz. Eine der ehemaligen | |
Hallen für Schiffsersatzteile wurde zu einer Notunterkunft für | |
Afghan*innen umgebaut. Wenn die Bewohner*innen sie verlassen, müssen | |
sie sich abmelden. Vor dem Eingang hängt ein AfD-Plakat an einem Baum, es | |
ist der Tag nach der Bundestagswahl. „Leben in Freiheit“, steht darauf. | |
„Ich fühle mich hier wie im Knast“, sagt Rahmani. | |
Wenn Masoud Azami es nach Deutschland schafft, landet er wahrscheinlich in | |
dieser oder einer ähnlichen Unterkunft. „Ich traue mich nicht, Masoud zu | |
sagen, wie trist das Leben hier ist“, sagt Rahmani. Er ist ein Freund von | |
ihm. Azami hatte ihm 2007 einen Job bei der Bundeswehr beschafft. | |
Rahmani hat es im August aus Kabul rausgeschafft. Er saß in der zweiten | |
Evakuierungsmaschine der Deutschen, erzählt er. Auf einer Liste habe er | |
nicht gestanden, aber ein ehemaliger deutscher Kollege habe ihn zum | |
Flughafen gelotst. Er hatte Glück, während Masoud Azami in Kabul bleiben | |
muss. Jetzt will Rahmani ihm helfen. Also ist er mit Azamis Schwester und | |
dessen Unterlagen in eine Kanzlei in der Nähe des Hamburger Hafens | |
gegangen, die sich mit Asyl- und Migrationsfragen auskennt. | |
Einige Wochen später sitzt Hont Péter Hetényi in seiner Kanzlei in einem | |
heruntergekommenen Altbau im Stadtteil St. Pauli. Der Anwalt erzählt, dass | |
er bei der Bundeswehr angerufen hat. Dort habe ihm ein Mitarbeiter gesagt, | |
Azami stehe auf der internen Liste. Er solle in seinem Versteck abwarten, | |
bis er irgendwann evakuiert werde, oder sich selbst auf den Weg in eine | |
deutsche Botschaft in den Nachbarländern machen. | |
## Die Fahrt ist gefährlich | |
„Als ich das dem Freund und der Schwester von Herrn Azami mitgeteilt habe, | |
brach der Jubel los. Sie haben sich umarmt, gelacht, geweint vor Freude und | |
Herrn Azami angerufen“, sagt Hetényi. | |
Masoud Azami ist glücklich an diesem Tag, er strahlt in die Handykamera bei | |
unserem Telefonat. Erst gestern sei ein Bekannter von ihm über die | |
afghanisch-pakistanische Grenze gefahren. Rund vier Stunden dauere die | |
Fahrt über die Berge, ein Auto könne er sich leihen. Nein, Angst habe er | |
nicht. Klar, die Fahrt sei gefährlich, aber wenn das nun mal seine einzige | |
Möglichkeit sei, rauszukommen?! | |
Während er seine Ausreise plant, verhandeln deutsche Diplomat*innen in | |
Katar mit den Taliban. Mit Katar und Pakistan wolle man an der zivilen | |
Eröffnung des Kabuler Flughafens arbeiten, sagt eine Sprecherin des | |
Auswärtigen Amts in einer Pressekonferenz. Menschenrechtsorganisationen | |
kritisieren, dass das alles viel zu lange dauere. Das Innenministerium | |
bremse die Evakuierung, Entscheidungen seien nicht transparent, | |
Zuständigkeiten unklar. | |
Das Entwicklungsministerium [4][schreibt auf seiner Webseite], die | |
deutschen Botschaften in den Nachbarländern würden den Ortskräften, die | |
eine Aufnahmezusage haben, unkompliziert Einreisedokumente ausstellen. | |
Allerdings: „Die individuelle Risikoabwägung, sich über den Landweg zur | |
Grenze zu begeben, muss in Abhängigkeit von den persönlichen Umständen von | |
den Betroffenen vorgenommen werden.“ | |
Anwalt Hetényi wird wütend, wenn er so etwas hört. Eine Ansage wie „Mach | |
dich allein auf den Weg, irgendwo wird dir schon geholfen“ möge nach dem | |
deutschen Recht zwar richtig sein, sei aber nicht vereinbar mit den | |
elementaren Menschenrechten. „Solange der deutsche Staat nicht alles in | |
seiner Macht Stehende tut, um die gefährdeten Ortskräfte aus Afghanistan | |
rauszuholen, finde ich es unverantwortlich, die Leute auf eigenes Risiko | |
loszuschicken.“ | |
## Kampf gegen Windmühlen | |
Auch bei Masoud Azami ist nach einigen Tagen die Euphorie verflogen. Er hat | |
mit Kollegen über die Reise nach Pakistan gesprochen. „Eine mündliche | |
Zusage aus Deutschland reicht mir nicht“, sagt er schließlich am Telefon. | |
Solange er keine offizielle Mail vom Auswärtigen Amt habe, sei ihm die | |
Flucht zu riskant. Auch braucht er jetzt ein Visum, um über die | |
pakistanische Grenze zu kommen. Die Behörden haben die Einreisebestimmungen | |
für Afghan*innen gerade erschwert. | |
Derweil liegt seine Akte vermutlich weiter zur Sicherheitsüberprüfung beim | |
Innenministerium. „Ich kann niemandem in den Kopf gucken, aber ich kann mir | |
nicht vorstellen, dass Masoud Azami gefährlich ist“, sagt Holger Steinert, | |
Stabsfeldwebel bei der Luftwaffe. Viermal war Steinert in Afghanistan, | |
zwischen 2009 und 2014. Mit Azami hat er eng zusammengearbeitet im Camp in | |
Masar-i-Scharif. Azami sei ein außergewöhnlicher Kollege gewesen, | |
verlässlich, freundlich, pragmatisch. | |
Auch Steinert hat Mails an das Auswärtige Amt geschrieben, mit der Bitte, | |
Masoud Azami auf die Masterliste aufzunehmen. „Das ist ein Kampf gegen | |
Windmühlen“, sagt er. Fünf oder sechs verschiedene Mailadressene habe er | |
bekommen, an die er sich wenden könne. Das zeige ihm, wie chaotisch das | |
Verfahren laufe. Zu seinem Status erfahre er nichts, auch nicht über den | |
kurzen Dienstweg. | |
Fragt man Masoud Azami, ob er bereut, für die Bundeswehr gearbeitet zu | |
haben, schüttelt er den Kopf. „Nein. Ich hatte eine tolle Zeit, vor allem | |
mit den Feldjägern.“ Er hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die | |
Bundeswehr ihn bald rausholt. | |
Das Innenministerium hat gerade angekündigt, in den kommenden zwei Monaten | |
jede Woche 200 Afghan*innen über Pakistan zu evakuieren. In Azamis | |
Whatsapp-Gruppe wird die Meldung euphorisch kommentiert. Doch auch bei | |
diesen Evakuierungen sollen nur Leute mitkommen, die auf den Listen der | |
Bundesregierung stehen. Masoud Azami weiß bis heute nicht, ob sein Name | |
dabei ist. | |
10 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Rettung-aus-Afghanistan/!5794135 | |
[2] https://www.kabulluftbruecke.de/ | |
[3] https://mission-lifeline.de/ | |
[4] https://www.bmz.de/de/laender/afghanistan/ortskraefte | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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