# taz.de -- Umfragedaten zur Bundestagswahl: Über die Lager hinweg | |
> Woher kommen die Wähler*innen der SPD, was wählen die Jungen und was | |
> war mit dem Klima? Sechs Fakten zur Wahl und was dahinterstecken könnte. | |
Bild: Der Bundestag: Wer kam rein – und wer nicht? | |
## 1. Die Linke verliert ihr Alleinstellungsmerkmal | |
Das [1][desaströse Ergebnis der Linkspartei] kommt nicht von ungefähr. | |
Verloren hat sie ausnahmslos in alle Richtungen – vor allem aber an die | |
SPD. Diese Abwanderung könnte dafür sprechen, dass die | |
Sozialdemokrat*innen fast zwanzig Jahre nach der Einführung von | |
Hartz IV Vertrauen in Sachen Sozialer Gerechtigkeit zurückgewonnen haben, | |
und das ausgerechnet mit dem Agenda-Politiker Scholz als Spitzenkandidat. | |
Vielleicht hat die Zeit einige Wunden geheilt. Außerdem hat die SPD mit | |
ihrem neuen Sozialstaatskonzept aus dem Jahr 2019 aktive Reue geleistet. Im | |
Wahlkampf hat sie einen Mindestlohn von 12 Euro gefordert, nur ein Euro | |
weniger als die Linke. Laut Infratest Dimap schreiben die Befragten den | |
Sozialdemokrat*innen in diesem Bereich eine deutlich höhere | |
Kompetenz zu. Wenn die inhaltlichen Unterschiede schwinden, die | |
Wähler*innen die Umsetzung aber der SPD viel eher zutrauen als der | |
Linken, stellt sich für Letzere in Zukunft eine existenzielle Frage: Wozu | |
überhaupt noch eine Partei links von der Sozialdemokratie? | |
## 2. Das AfD-Potential ist beschränkt | |
Bei Bundestags- und Landtagswahlen der vergangenen Jahre hatte häufig die | |
AfD vom Anstieg der Wahlbeteiligung profitiert. Sie schaffte es, Menschen | |
zu mobilisieren, die zuvor aus Frust nicht oder nicht mehr zu Wahlen | |
gegangen waren. Dieser Trend [2][ist vorbei.] Die Wahlbeteiligung ist im | |
Vergleich zu 2017 zwar erneut leicht gestiegen, das Ergebnis der AfD hat | |
sich allerdings verschlechtert. Stimmen verloren haben die Rechtspopulisten | |
netto an alle Parteien außer der Linken – und erstmals auch wieder in | |
großer Zahl ins Nichtwählerlager. | |
Das maximale Potential der Partei, zumindest unter aktuellen Umständen, war | |
2017 offenbar erreicht, steigt nicht weiter an und konnte auch nicht wieder | |
voll mobilisiert werden. Heißt umgekehrt aber auch: Verschwinden wird die | |
AfD so schnell nicht mehr. Regional hat sie sich sogar als stärkste Kraft | |
etabliert, holte zum Beispiel in Sachsen und Thüringen viele Direktmandate | |
und im Osten insgesamt über 20 Prozent. | |
## 3. Mitte-Links ist das neue Mitte-Rechts | |
Wer profitiert von den großen Verlusten der Union? Die Stimmen der Union | |
wanderten zum größten Teil nicht innerhalb des Mitte-Rechts-Lagers zu FDP | |
oder Freien Wählern (und darüber hinaus auch nicht zur AfD), sondern | |
lagerübergreifend an SPD und Grüne. Allein an den niedrigen | |
Zustimmungswerten von Armin Laschet beziehungsweise den hohen von Olaf | |
Scholz kann das kaum liegen. | |
Ist die Verschiebung stattdessen auch Ausdruck eines in den vergangenen | |
Jahren veränderten Zeitgeistes? Selbst konservative Ökonom*innen zeigen | |
sich mittlerweile offen für kreditfinanzierte Investitionen. Die | |
Coronakrise hat die Notwendigkeit einer belastbaren staatlichen | |
Infrastruktur aufgezeigt. Und sehr wahrscheinlich zahlt auch die gestiegene | |
Bedeutung der Klimapolitik stärker links der Mitte ein als rechts von ihr. | |
## 4. Klimawahl mit Handbremse | |
Die Stimmverteilung gibt es zwar nicht eins zu eins wieder, eine Klimawahl | |
war diese Bundestagswahl aber durchaus. Der Forschungsgruppe Wahlen zufolge | |
bezeichneten 46 Prozent der befragten Wähler*innen Klimaschutz und | |
Umwelt als größtes Problem. Das kann erklären, warum die Grünen, denen in | |
diesem Bereich die größte Kompetenz zugeschrieben wird, merklich zugelegt | |
haben. | |
Warum es trotzdem nicht für mehr als 15 Prozent gereicht hat? Erstens ist | |
das wichtigste Thema keineswegs das einzige wichtige Thema und bei der | |
Kompetenzzuschreibung in Bereichen wie Sozialer Gerechtigkeit oder | |
Fluchtpolitik hinken die Grünen hinterher. Sie werden offenbar weiterhin zu | |
sehr als Ein-Themen-Partei wahrgenommen. Zweitens werden die schlechten | |
persönlichen Werte von Annalena Baerbock eine Rolle gespielt haben. Und | |
drittens wohl auch, dass viele Wähler*innen trotz eines grundsätzlichen | |
Problembewusstseins einen Klimaschutz bevorzugen, der ihnen kurzfristig | |
keine zu großen Belastungen abverlangt. | |
Weh tun soll es nicht. Ein SPD-Kanzler mit grünem Juniorpartner erscheint | |
da attraktiver als eine Grüne im Kanzleramt. Dazu passt, dass laut | |
Infratest dimap 51 Prozent der Befragten für maßvolle Kurskorrekturen in | |
der Politik allgemein sind und nur eine Minderheit von 40 Prozent für einen | |
grundlegenden Wandel. | |
## 5. Baerbock ohne Vorteil bei Frauen | |
Angela Merkel kam bei Frauen gut an. Seit 2009 haben durchgehend mehr | |
Frauen als Männer die Union gewählt, die Identifikation mit der weiblichen | |
Kanzlerin dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Die Grünen hatten darauf | |
gehofft, dass dieser Effekt jetzt auf sie übergeht – schließlich hatten sie | |
mit Annalena Baerbock als einzige Partei eine KanzlerkandidatIN | |
aufgestellt. Baerbocks Geschlecht hatten sie explizit als Argument für ihre | |
Nominierung genannt. | |
Ausgezahlt hat sich das eher nicht: Ohne Merkel hat die Union bei den | |
Frauen zwar erwartungsgemäß am stärksten verloren. Die Grünen aber legten | |
bei den Wählerinnen (plus 7 Prozentpunkte) nur unwesentlich stärker zu als | |
bei den Wählern (plus 6 Punkte). Die SPD gewann mit dem Mann Olaf Scholz an | |
der Spitze fast ebenso viele Frauenstimmen dazu (plus 6 Punkte). Die Linke, | |
neuerdings mit weiblicher Doppelspitze, verlor bei beiden Geschlechtern | |
gleichermaßen. Ob eine Frau vorne steht oder ein Mann, war diesmal offenbar | |
für weniger Wählerinnen entscheidend. | |
## 6. Junge wählen FDP | |
Unter jungen Wähler*innen bis 24 Jahre wurden die Grünen laut Infratest | |
Dimap mit 23 Prozent der Stimmen stärkste Partei. Das entspricht 10 Punkten | |
mehr als noch 2017. Kein Wunder, schließlich sprechen wir hier von der | |
Generation Fridays for Future. Überraschender ist der Wert der FDP: Die | |
Liberalen sind unter den Jungen ähnlichen stark wie die Grünen. 21 Prozent | |
entsprechen im Vergleich zu 2017 einem Plus von 9 Punkten. Unter | |
Erstwähler*innen war die FDP sogar stärkste Partei. | |
Mögliche Erklärungsansätze: Nach der vierjährigen Auszeit und dem | |
Wiedereinzug in den Bundestag 2017 ist die Fraktion naturgemäß verjüngt. | |
Das Durchschnittsalter war mit 45,5 Jahren zu Beginn der Legislaturperiode | |
das niedrigste aller Fraktionen. Inhaltlich setzt die FDP einen Schwerpunkt | |
auf die Digitalisierung und fordert eine liberale Drogenpolitik – für | |
solche Themen interessieren sich viele Junge. Und: Auch in der Pandemie | |
fuhr die FDP eine liberale Linie, viele Beschränkungen lehnte sie ab. Da | |
junge Menschen überdurchschnittlich viele Einschränkungen in Kauf nehmen | |
mussten, könnte sich auch das jetzt ausgezahlt haben. | |
27 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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