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# taz.de -- Wo Scholz die Wahl gewonnen hat: Aufbau Ost für die SPD
> Die SPD hat in Ostdeutschland viel stärker Stimmen hinzugewonnen als im
> Westen. Warum? Und: Bleibt das jetzt so?
Bild: Großplakat der SPD zur Bundestagswahl 2021: Olaf Scholz wirbt für Brief…
Berlin taz | Schon der flüchtige Blick auf die Karte der Wahlkreise zeigt:
Die SPD ist wieder da. Von Schwerin bis Magdeburg, von Rügen bis zur
Lausitz ist die Landkarte rot gefärbt. Nur in Sachsen ist die Karte blau
und die AfD als Milieupartei mit knapp 25 Prozent fest verankert.
Die SPD hat, so kann man es zugespitzt sagen, die Bundestagswahl im Osten
gewonnen. Denn im Westen hat sie im Vergleich zu 2017 ungefähr 4
Prozentpunkte zugelegt, im Osten aber um mehr als 10. In ihren Hochburgen
im Nordosten wurde sie besonders stark und bekam 12 bis 14 Prozentpunkte
mehr als 2017. [1][Aber auch in der sozialdemokratischen Diaspora], in
Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, wo sie bei Landtagswahlen zur
10-Prozent-Partei geschrumpft ist, hat sie um die zehn Prozentpunkte
gewonnen. Warum?
Aus zwei Gründen. Im September ergab eine Umfrage von infratest dimap zu
den Kompetenzwerten der Parteien einen spektakulären Wert. 43 Prozent
glauben, dass die SPD für angemessene Löhne sorgen kann. So viel Vertrauen
bringen die WählerInnen sonst nur den Grünen bei der Klimapolitik entgegen.
Gerechte und höhere Löhne sind also fest mit dem Bild der SPD verkoppelt.
Das ist neu.
Das Versprechen der SPD, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen, hatte im
Osten durchschlagende Wirkung. [2][Im Osten arbeitet ein Drittel der
ArbeiternehmerInnen im Niedriglohnsektor] – im Westen ist es nur ein
Sechstel. Der SPD-Wahlslogan, 12 Euro Mindestlohn sei „eine Gehaltserhöhung
für zehn Millionen“, war vor allem an den Osten adressiert – und zündet
dort auch. Dass die Union gegen die 12 Euro-Forderung Front machte, hat ihr
im Osten besonders geschadet. Der Mindestlohn steigt nächstes Jahr ohnehin
auf 10,45 Euro. Aber das spielte im Wahlkampf keine Rolle.
## SPD steht nun für Mindestlohn statt für Hartz IV
Die SPD hat in ganz Deutschland im Vergleich zu 2017 überdurchschnittlich
viel bei WählerInnen mit niedrigem Bildungsabschluss gewonnen – 8
Prozentpunkte. Für das Image der SPD waren die 12 Euro Mindestlohn somit
ein echter Wendepunkt – und zwar besonders im Osten, wo die Agendapolitik
als Symbol westlicher Arroganz galt und verheerende Auswirkungen hatte. Der
Mindestlohn hat für viele im Osten nun das tief eingefräste Bild der SPD
als Hartz-IV-Partei übermalt.
Olaf Scholz fordert schon seit vier Jahren 12 Euro Mindestlohn – und nicht
erst seit Beginn des Wahlkampfs. Zudem erklärte Scholz 12 Euro Mindestlohn
zur einzigen rote Linie seiner Kanzlerschaft. All das hat geholfen, die
Glaubwürdigkeitslücke der SPD in ihrem Kerngebiet soziale Gerechtigkeit zu
schließen. Die SPD-Hausse im Osten ging zu Lasten der Linkspartei, die in
den östlichen Bundesländern nur noch auf Platz vier oder fünf liegt.
Der zweite Grund heißt Olaf Scholz. Scholz wurde, so der
Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, als jemand wahrgenommen, der
„nichts Belehrendes“ hat, zudem als „verträglich und berechenbar“ gese…
wird. Und weiter: „Manche im Osten haben das Gefühl, dass aus dem Westen
dauernd Vorgaben kommen, wie sie zu leben haben.“ Scholz hingegen weckte im
Osten „keine Ressentiments“. Der SPD-Kandidat passte mit seiner nüchternen,
staatsmännischen, maßvollen Art in das mentale, staatsskeptische
Anforderungsprofil Ost.
Es gibt für den SPD-Erfolg im Osten also keine exklusiven Gründe. Aber das
Profil des Kandidaten und der Mindestlohn zusammen haben zwischen Ostsee
und Erzgebirge besonders starke Wirkungen entfaltet.
## Erfolge bleiben aber Momentaufnahmen
Bleibt das nun so? Kündigt sich damit eine Neuformierung der
Parteienlandschaft im Osten an – mit einer starken, solide im Sattel
sitzenden Sozialdemokratie, die der demokratische Konterpart der AfD im
Osten wird? Eher nicht. Die SPD, die neben den Grünen 1990 im Osten neu
gegründete wurde, war dort nie eine Volkspartei, die über Sensoren in alle
gesellschaftlichen Milieus verfügt. Und auch keine Mitgliederpartei, wie
sie es in manchen westlichen Bundesländern noch ist.
Grund zur Euphorie hat die SPD daher nur kurzfristig. Die Ostdeutschen
wählen bekanntlich volatiler und situativer als die Westdeutschen. Erfolge
sind eher Momentaufnahmen. Und viel hängt, wie der famose Sieg von Manuela
Schwesig bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zeigte, an
Personen. Auch Wolfgang Schroeder ist zurückhaltend mit optimistischen
Zukunftsprognosen. „Alle Probleme der SPD in Ostdeutschland, vor allem die
Mobilisierungsfähigkeit und die Verankerung in der Gesellschaft, bleiben
auf der Tagesordnung.“
29 Sep 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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