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# taz.de -- Jahrestag der Angriffe in Hoyerswerda: Die Stadt und das Pogrom
> Dieser Tage erinnert Hoyerswerda an die rassistischen Ausschreitungen vor
> 30 Jahren. Ein Gedenken, mit dem sich die Stadt seit jeher schwertut.
Bild: Nach dem Pogrom: Polizeieinsatz gegen Antirassist*innen in Hoyerswerda am…
Hoyerswerda taz | Für Khabat Ibo steht fest: Man sollte so viel wie möglich
über seine Stadt und ihre Geschichte wissen. In Hoyerswerda heißt das
auch: sich mit den rassistischen Ausschreitungen vom Herbst 1991 zu
beschäftigen. Deshalb hat der Verein Immigrants Network Hoyerswerda, dessen
Vorsitzender Khabat Ibo ist, Geflüchtete und Migrant:innen in das
Bürgerzentrum in der Braugasse eingeladen – wenige Tage bevor der 30.
Jahrestag des Pogroms ansteht.
Im Bürgerzentrum, gleich am Markt in der Altstadt von Hoyerswerda, füllt
sich allmählich der Saal im ersten Stock. Etwa ein Dutzend Leute sind
gekommen, man kennt sich, grüßt einander herzlich auf Arabisch, Kurdisch,
Deutsch.
Es fühlt sich ein bisschen nach Schule an, als alle bei Filterkaffee und
belegten Brötchen an den weit auseinandergeschobenen Einzeltischen sitzen.
Doch die Gesichter sind ernst, fast jede:r hier hat schon rassistische
Sprüche oder Angriffe erlebt. Ob sich so etwas wie 1991 wiederholen kann?
Klar. Die Verhältnisse haben sich geändert, aber die Meinungen sind noch
da, sagt ein Teilnehmer.
Und trotzdem: Viele in der Runde fühlen sich in Hoyerswerda zu Hause. Auch
Khabat Ibo, der schon seit 2014 in der Stadt lebt. In Syrien hatte er
gerade angefangen, französische Literatur zu studieren, als seine
Universität in Aleppo ausgebombt wurde. Schließlich landete er in
Hoyerswerda und gehörte damit zu den [1][ersten Geflüchteten, die nach
1991] in der Stadt untergebracht wurden. Kommendes Jahr schließt er seine
Ausbildung zum Bürokaufmann bei der AWO Lausitz ab.
## Synonym für rassistische Gewalt
In den sieben Jahren seit seiner Ankunft habe sich viel getan, erzählt Ibo:
„Am Anfang hatten wir Angst. Das Heim wurde damals mit Molotowcocktails
beworfen, die Leute wurden bedroht. Aber nach und nach ist Hoyerswerda
bunter und vielfältiger geworden, und ich fühle mich heute wohler in der
Stadt.“
Genau deshalb müsse man an das Pogrom erinnern und dabei alle einbeziehen –
auch die, die neu hier sind. Denn viele von ihnen wüssten nicht, was damals
geschehen ist, im Herbst 1991: als ein rassistischer Mob tagelang Wohnheime
für DDR-Vertragsarbeiter:innen und Flüchtlinge belagerte, sie mit Steinen
und Brandsätzen bewarf, unbehelligt von einer überforderten Polizei;
als Hunderte Schaulustige klatschten und johlten; als die Politik
kapitulierte, die Heime räumen ließ und die Vertragsarbeiter:innen
abgeschoben, die Flüchtlinge umgesiedelt wurden; als Hoyerswerda, in der
[2][DDR bekannt als lebenswerte Arbeiterstadt], zum Synonym für die
rassistische Gewalt der 1990er Jahre wurde.
Mit der Erinnerung an diese Woche im September hat sich Hoyerswerda immer
schwergetan, zu sehr fühlte sich die Stadt als Opfer negativer
Berichterstattung, die die existenziellen Probleme der schrumpfenden Stadt
noch verschärfte, erinnert sich Sabine Proksch von der Initiative
Zivilcourage: „Nie hat jemand gefragt: Was ist denn mit den eigentlichen
Opfern? Hat sich jemand um die gekümmert? Wir sind nicht die Opfer. Wir
leben hier gut.“
## Ein Umdenken
Dieses Mal, zum 30. Jahrestag, hat die Initiative, ein Bündnis von
engagierten Bürger:innen aus der Stadt, gemeinsam mit der
Stadtverwaltung, dem Stadtmuseum und der Volkshochschule ein vielseitiges
Programm auf die Beine gestellt. Auch zu den ehemaligen Vertragsarbeitern
in Mosambik wurde wieder Kontakt aufgenommen. Viele von ihnen warten bis
heute auf einen Teil ihrer Löhne und Renten.
Es scheint also, als tue sich was in Hoyerswerda. Warum erst jetzt? Sabine
Proksch meint, es habe ein Umdenken stattgefunden. Manche, die wie sie fast
ihr ganzes Leben in der Stadt verbracht haben, blickten nun, älter
geworden, auch mal zurück. „Wir hatten lange ein gespaltenes Verhältnis zu
Hoyerswerda, aber jetzt wollen wir alles darüber wissen.“
Unterstützung komme aus dem Rathaus: Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh,
seit knapp einem Jahr im Amt, bringe eine neue Dynamik ins Gedenken,
erzählt Proksch, auch weil er eine größere Distanz zu dem Thema habe als
sein Vorgänger.
Das bekräftigt der SPD-Politiker bei einem Treffen frühmorgens in seinem
Büro: „Mich erschreckt das nicht. Ich finde es gut, dass man jetzt frei
über 1991 redet“, sagt Ruban-Zeh. Er selbst stammt aus Dresden, ist
Unternehmer und, nach eigener Aussage, viel herumgekommen: Halle, Moskau,
Hoyerswerda. Zur Wende und in den Jahren danach war er nicht in der Stadt.
## Im Griff: Industrieabbau, Abwanderung, Neonazis
Wenn man diese Zeit hier erlebt habe, sei man emotionaler dabei, da sei was
dran. Kein Wunder, schließlich habe Hoyerswerda mächtig gelitten. Doch
Schweigen helfe da nicht. Man müsse miteinander sprechen. Und sich dann
auch nach außen präsentieren. „Marketing ist alles“, ruft er und klingt w…
der Unternehmer, der er bis vor einem Jahr war: „Die Stadt hat vergessen,
über sich zu reden, und dadurch weiß niemand, wie schön es in Hoyerswerda
ist, und das bei einem Mietschnitt von um die fünf Euro pro Quadratmeter.“
Außerdem habe man viele der großen Probleme der 1990er und 2000er Jahre –
Industrieabbau, Abwanderung, Neonazis – in den Griff bekommen und könne
deshalb mit Stolz erzählen, dass man aus Hoyerswerda kommt. „Aber
dementsprechend offen sollten wir mit unserer Geschichte umgehen“, fügt er
hinzu.
Das heißt für den Oberbürgermeister auch: Versöhnung. Dafür wollte er auch
Täter:innen von damals zum Gedenkwochenende einladen. Gemeldet hat sich
niemand, trotz Aufrufen in der Zeitung. Auch das wohl ein Zeichen, wie
gespalten die Stadt noch immer bei der Vergangenheitsbewältigung ist.
Entmutigen lässt sich Ruban-Zeh davon nicht, immer wieder erwähnt er, wie
gut es mit den neuen Flüchtlingen klappe: „Da sieht man auch, wie sich die
Gesellschaft entwickelt hat.“
Das ist mindestens optimistisch, berichten die Geflüchteten beim Workshop.
Eine, die Kopftuch trägt, wurde von einem Radfahrer geschlagen. Einer, der
ein schickes Fahrrad hat, wird ständig von der Polizei angehalten: Wo er
das denn herhabe? Bei den letzten Wahlen, auf Landes- wie auf Bundesebene,
erreichte die AfD hier über 30 Prozent und gewann beide Direktmandate.
## Flüchtlinge im Fußballverein
Damit ist Hoyerswerda [3][in Sachsen nicht allein]. Im Vergleich zu früher
habe sich aber viel verbessert, was die Akzeptanz von Flüchtlingen angeht –
auch beim Fußballverein, erzählt der Präsident des Hoyerswerdaer FC, Bernd
Ziemann, während er das Vereinsheim in dem kleinen gelben Flachbau neben
dem Jahn-Sportpark betritt. Der Klub am Rand der Neustadt kämpft seit
Langem mit Nachwuchsproblemen.
Trotzdem: Als Flüchtlinge im Verein spielen wollten, habe er das als ein
Wagnis empfunden, weil es Vorbehalte der anderen Spieler und der Fans gab,
erinnert sich Ziemann. Schließlich hatte der Verein lange ein massives
Problem mit rechten Hooligans, das man aber nach und nach mit Gesprächen in
den Griff bekommen habe.
Heute sind nicht mehr so viele Geflüchtete im Verein wie noch 2015 und
2016. Weggezogen seien sie oder abgeschoben worden. Beim Nachwuchs sind es
aber immer noch um die fünfzehn, erzählt Ziemann, in jeder Mannschaft ein
paar.
Bernd Ziemann ist hier geboren und hat alles miterlebt: wie die Stadt
innerhalb kürzester Zeit wuchs, auf bis zu 70.000 Einwohner:innen
Anfang der 1980er Jahre, und [4][dann rasant auf heute noch gut 30.000
schrumpfte]. Im gleichen Zeitraum stieg das Durchschnittsalter von etwa 30
auf rund 52.
## Schlimmer: Der Strukturwandel
Das habe vieles verändert, erinnert er sich: „Früher gab es in jedem
Wohnkomplex eine Kaufhalle, eine Gaststätte, einen Spielplatz. Man hat
Feste gefeiert, es war ständig Trubel und Leben. Dann ging es steil bergab,
und erst so langsam gewöhnt man sich an den Anblick, dass so vieles
dichtgemacht hat und abgerissen wurde.“
Wie es wieder bergauf gehen kann? Das hänge von der Industrie ab, die müsse
sich hier wieder ansiedeln. Das schlechte Image schade natürlich auch,
meint Ziemann und ist nicht glücklich, dass so umfangreich an 1991 erinnert
wird: „Gedenktage wie dieser ziehen immer ein bisschen runter, da frage ich
mich: Wem helfen die denn? Es ist doch völlig klar: Das ist verwerflich,
das darf sich nie wiederholen, und damit ist Schluss. Wir sollten Erfolge
viel stärker in den Vordergrund bringen als diese eine Woche, die
Hoyerswerda schon so lange anhaftet.“
Dass Hoyerswerda besser als sein Ruf ist – darauf können sich hier fast
alle einigen. Anders als in der Frage, ob das Gedenkwochenende nützt oder
schadet. Größere Sorgen bereitet vielen ohnehin [5][der Strukturwandel].
Bis 2038 sollen die verbliebenen Kohlekraftwerke in Boxberg und Schwarze
Pumpe abgeschaltet werden. Es braucht Jobs, denn wenn die nicht kommen,
bleiben nur die Rentner:innen.
Das spüren auch die Geflüchteten. Am Ende des Workshops im Bürgerzentrum
sprechen sie über ihre Wünsche für die Zukunft. Gute Arbeit finden, sagen
viele. Aber auch: heimisch werden, akzeptiert werden, den Kindern eine
Perspektive bieten – wenn das in Hoyerswerda klappt, dann gerne hier. So
wie Khabat Ibo, der nach seiner Ausbildung bei der AWO arbeiten kann.
Darüber ist er froh, denn er will in Hoyerswerda bleiben: „Ich kann mir
hier ein gutes Leben vorstellen.“
16 Sep 2021
## LINKS
[1] /Fluechtlinge-in-Hoyerswerda/!5204925
[2] /Subkultur-in-Hoyerswerda/!5560994
[3] /Reiseboykott-fuer-Ostdeutschland/!5743338
[4] https://www.deutschlandfunk.de/geboren-1989-in-hoyerswerda-aufwachsen-in-ei…
[5] /Ueber-den-Strukturwandel-in-der-Lausitz/!5790184
## AUTOREN
Hanno Fleckenstein
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