# taz.de -- Flüchtlinge in Hoyerswerda: Immer die Chaoten | |
> Eine Initiative versucht, die Flüchtlinge in Hoyerswerda zu unterstützen. | |
> Wären da nicht die Anschläge. Diese Stadt scheint nichts gelernt zu | |
> haben. | |
Bild: „Hoyerwerda vergisst nicht – wir erinnern“: Das Mahnmal soll an die… | |
HOYERSWERDA taz | Eine ehemalige Turnhalle am Rande einer | |
Plattenbausiedlung: ein langer Bau mit kleinen Fenstern und braunen Mauern. | |
„Kein Bock“, hat jemand daraufgeschrieben, wahrscheinlich schon vor langer | |
Zeit. 26 Flüchtlinge wohnen jetzt darin. Es ist eine der zwei neuen | |
Flüchtlingsunterkünfte in der Stadt. | |
Die Sonne prallt auf die Plattenbauten, daneben pritschen Jugendliche ein | |
Beachvolleyballturnier aus. Halbstarke hängen mit mächtigen Hunden vor dem | |
Lausitz-Center ab. In der Musikschule trompeten sie „Yesterday“ von den | |
Beatles. | |
Ein Montagnachmittag im sächsischen Hoyerswerda. Normales | |
Kleinstadtrauschen – und dazwischen die Passanten, die verstörende | |
Antworten auf die Frage geben, was sie denn nun halten von den etwa 150 | |
Flüchtlingen, die seit fast eineinhalb Jahren wieder zum Stadtbild gehören. | |
„Alle an ’ne Wand stellen“, sagt ein Mann mit breiten Schultern und | |
Stoppeln auf dem Kopf, der im Lausitz-Center einkauft. „Ich kauf die | |
Patronen.“ Frau und Kind stehen hinter ihm. | |
„Ich hab nichts gegen die Familien, aber die Männer kommen doch bloß, um | |
sich gesundzustoßen“, sagt eine Frau. Silvia, sagt sie, ohne Nachnamen, sie | |
ist 46 Jahre alt, trägt eine weiße Hose und blondierte, kurze Haare. | |
Seit 1991 ein Mob aus Nazis und frustrierten Bürgern Flüchtlinge und | |
Gastarbeiter aus der Stadt gejagt hat, hat Hoyerswerda diesen Klang. Nennt | |
man den Namen der Stadt, denkt man an Fremdenhass. Und auch wenn viele | |
Bürger dagegen kämpfen, sie werden den Klang nicht los. | |
Anfang 2014 wurden nach über 20 Jahren wieder Flüchtlinge in Hoyerswerda | |
untergebracht. Es ist ein Experiment für die Stadt, und es scheint nicht | |
besonders gut zu laufen bisher. | |
Erst wurden Flüchtlinge auf offener Straße geschlagen, dann droschen | |
Vermummte mit einem Hammer auf die Sicherheitsscheiben im Asylbewerberheim | |
ein. Und jetzt, Anfang Juni, gab es wieder einen Brandanschlag. | |
Der Molotow-Cocktail sollte die Turnhalle treffen, die neben der ehemaligen | |
Förderschule seit ein paar Monaten als Flüchtlingsunterkunft dient. Nur | |
durch Zufall wurde niemand verletzt. Solche Sachen passieren gerade in ganz | |
Deutschland, seit den Pegida-Demonstrationen häufen sich die Vorfälle. Im | |
sächsischen Freital demonstrierten diese Woche jeden Abend die Gegner eines | |
Flüchtlingsheims. Hoyerswerda liegt 80 Kilometer nordöstlich. | |
## „Everybody smiles in the same language“ | |
Nicht weit vom Lausitz-Center entfernt raucht Grit Maroske die letzten Züge | |
ihrer Zigarette, dann bittet sie ins Büro. Maroske, 46, hat weiche | |
Gesichtszüge und trägt eine Sonnenbrille für Radfahrer. Auf ihrer Bluse | |
steht: „Everybody smiles in the same language“. Sie hat das Bürgerbündnis | |
„Hoyerswerda hilft mit Herz“ gegründet. Seitdem ist sie für die Flüchtli… | |
Pressesprecherin, Lobbyistin und Organisatorin. | |
Wie steht es um Ihre Stadt, Frau Maroske? | |
Sie überlegt nicht lange. „Die Leute haben sich an die Asylbewerber | |
gewöhnt, sie glotzen nicht mehr, sondern grüßen auch mal freundlich, die | |
Neugierde ist groß, es gibt viele Spenden und Hilfsangebote“, sagt sie. | |
Pegida und Hoygida, so heißt der Ableger hier, hätten alte Vorurteile | |
wieder aufgewärmt. Die meisten Leute in Hoyerswerda haben allerdings andere | |
Probleme, als sich mit Flüchtlingen zu beschäftigen. „Aber alles in allem | |
läuft es gut.“ | |
Aber warum kommt es dann immer wieder zu Anschlägen? | |
Bei einigen in Hoyerswerda ist die Bereitschaft zur Veränderung schon | |
aufgebraucht, erzählt sie. Wende, Marktwirtschaft, Niedergang der Stadt – | |
alles nicht einfach. „Wenn es dann einen Sündenbock gibt, geht es | |
einfacher.“ Und natürlich werde ein Zwischenfall in Hoyerswerda ganz anders | |
wahrgenommen als in anderen Städten. | |
Maroske schätzt, dass je ein Drittel der Bürger positiv, negativ oder | |
neutral gegenüber den Flüchtlingen eingestellt sei. „Einige engagieren | |
sich, andere machen an denen ihre Ängste fest“, sagt sie. „Insofern ist es | |
eigentlich überall wie in Hoyerswerda.“ | |
## Die grölenden Deutschen | |
Maroske hat schon 1991 in Hoyerswerda gelebt, als der Mob durch die Straßen | |
tobte. „Ich habe damals verstanden wie Faschismus funktioniert“, sagt sie. | |
Auch ihr damaliger Mann war auf der Straße, unter den grölenden Deutschen. | |
War das Ihre Motivation? | |
„Das ist privat“, sagt sie. | |
Aber was treibt Sie an? | |
Sie zuckt ein wenig mit den Schultern. | |
„Ich will nicht, dass sich die Geschichte wiederholt. Und irgendjemand muss | |
es ja machen.“ | |
Maroske ließ sich scheiden. Heute ist sie wieder verheiratet und hat fünf | |
Kinder. Für die Flüchtlinge arbeitet sie ehrenamtlich. Wenn nachts jemand | |
abgeschoben werden soll, springt sie aus dem Bett und eilt zum Heim. Wenn | |
auf der Facebook-Seite des Bündnisses eine Diskussion ausbricht – Maroske | |
antwortet geduldig auf jeden noch so absurden Post. | |
„Mein Mann verdient das Geld und ich rette die Welt“, sagt sie, aber | |
spurlos geht die Arbeit trotzdem nicht an ihr vorbei. Sie bekommt | |
regelmäßig Drohungen, freundet sich an mit Flüchtlingen, die dann | |
abgeschoben werden. Neulich lag sie vier Wochen flach, ausgebrannt, weil | |
alles schiefging auf der Arbeit. „Gesund ist das nicht für die Seele“, sagt | |
sie. Irgendwann stand sie wieder auf und machte weiter. | |
Heute will sie mit Dora und Wolfram Gebauer die Wohnungseinrichtung für | |
einen Flüchtling organisieren. Die Gebauers, ein pensioniertes | |
Lehrerehepaar, schon über achtzig, gehören zu den etwa 120 Mitstreitern im | |
Bündnis. Sie vermitteln die Flüchtlinge an Sportvereine, helfen bei | |
Behördengängen und unterrichten Deutsch. | |
## Betten in den ehemaligen Klassenräumen | |
Nachdem die Gebauers mit Grit Maroske die Liste mit den benötigten Sachen | |
durchgegangen sind, machen sie sich auf den Weg zum Asylbewerberheim. Es | |
liegt nicht weit von Maroskes Büro entfernt, ein Zaun trennt die ehemalige | |
Förderschule von der Hauptstraße. Drinnen führen weite Gänge durch das | |
Gebäude, die Klassenräume haben sie zu Mehrbettzimmern umgebaut. | |
Im Keller bewahrt das Bündnis die Spenden der Hoyerswerdaer Bürger auf. Auf | |
dem Linoleumboden reihen sich Kleiderstangen und Kisten aneinander. Es | |
sieht aus wie in einem alten, noch nicht vorsortierten Second-Hand-Laden. | |
Herrenjacketts hängen neben Strampelanzügen für Kleinkinder und Blusen mit | |
Blumenmustern. | |
Die Chaoten schafften es immer in die Schlagzeilen, sagt Maroske, die | |
helfenden Bürger nie. Dora Gebauer greift aus einem Karton Bettdecken, | |
Kopfkissen und Bettbezüge heraus, nimmt sich einen Stofftiger für die | |
Kinder und stopft alles in zwei blaue Säcke hinein. | |
Als die Gebauers die Säcke über den Hof zu ihrem Auto tragen, grüßen sie | |
viele der Flüchtlinge wie alte Bekannte. | |
Aghil Noyuozi ist einer von Gebauers Schülern. Der 33-jährige Christ ist | |
aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet und war einer der ersten Bewohner | |
im Heim. Er ist ein schmaler Mann, mit einer langen Narbe am Unterarm, er | |
hat zu Tee und Schokolade in sein Zimmer geladen. | |
## Am Anfang war es unruhig | |
Mit fünf anderen Männern wohnt er hier. Sechs Betten, Kühlschränke, | |
Kleiderschränke – viel mehr steht nicht im Raum. Am Anfang sei es schwierig | |
gewesen, sagt Noyuozi, ja, da habe es Unruhe im Heim gegeben und am | |
Lausitz-Center haben ihn ein paar Betrunkene angegriffen. Auch die | |
Hammer-Attacke aufs Heim hat er miterlebt. „Bumm, bumm, bumm“, sagt | |
Noyuozi, er schlief damals im Nachbarzimmer. „Es ist alles besser | |
geworden“, sagt er. Nur arbeiten würde er gerne. „Fünfzehn Monate nur | |
schlafen und rumhängen ist nicht gut.“ | |
Die Notunterkunft, auf die der jüngste Anschlag verübt worden ist, ist von | |
einem Zaun umgeben. Journalisten dürfen nicht auf das Gelände. Aber | |
irgendwann kommen ein paar junge Männer aus der Stadt zurück. Deutsch | |
spricht keiner von ihnen, nur etwas Englisch. | |
„We are afraid sleeping here“, sagt er. Ein anderer wiederholt immer | |
wieder: „Catastrophe.“ Dann holen sie einen 37-jährigen Kosovaren aus der | |
Halle, der Deutsch spricht und auf seinem Handy Fotos aus dem Inneren der | |
Halle hat. Mit dünnen Platten haben sie wie in Großraumbüros Zimmer in die | |
Halle gebaut, es sieht eng aus und stickig. | |
## Jeder muss eine Chance bekommen | |
In der Nachbarschaft scheint die Notunterkunft die meisten nicht zu | |
interessieren. „Nee, Probleme gab es da noch nie“, sagt eine Frau, die | |
gerade von der Arbeit kommt und schnell in ihrem Haus verschwindet. Ein | |
paar Ecken weiter stehen fünf Teilzeittrinker vor dem „Getränke Markt | |
Hoyerswerda“. Also noch einmal die Frage: Was halten Sie von den | |
Asylbewerbern hier? | |
„Alle raus“, ruft eine Frau mit Latzhose. Sie scheint die Älteste zu sein. | |
Einem jungen Mann in der Gruppe passt das nicht: „Du kannst nicht alle über | |
einen Kamm scheren.“ Ein Mann mit schwarzem Unterhemd und Schnauzer, er ist | |
Zeitungsausträger, mischt sich ein: „Die kriegen doch genau das, was wir | |
uns nicht leisten können.“ | |
Der junge Mann: „Aber jeder von denen muss trotzdem eine Chance bekommen.“ | |
Der Zeitungsausträger: „Ich find’s in Ordnung, wenn die richtigen Leute | |
kommen.“ | |
Die Latzhosenträgerin: „Die sollen sich an unsere Regeln halten.“ | |
Eine Weile geht das so, dann steckt der junge Mann seine leere Pfandflasche | |
in den Rucksack und sagt: „Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß.“ Darauf | |
können sich alle einigen. Für heute. | |
26 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schmelzer | |
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