| # taz.de -- FDP, CSU, AfD und Linke im Fernsehclinch: Prima Klima? Nein, danke! | |
| > Im „Quartell“ der kleineren Parteien ging es kräftig zur Sache. Zumeist | |
| > stand Linkenkandidatin Janine Wissler gegen alle anderen. | |
| Bild: Schenkten sich nichts: Wissler, Lindner, Dobrindt und Weidel im Quartell … | |
| Berlin taz | Endlich mal nicht Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena | |
| Baerbock! Dass der Wahlkampf zu stark auf die drei Parteien fokussiert ist, | |
| die – mehr oder weniger aussichtsreich – einen oder eine | |
| Kanzlerkandidat:in aufgestellt haben, ließ sich am Montagabend | |
| anschaulich beobachten. Denn da trafen Vertreter:innen jener Parteien | |
| aufeinander, die damit rechnen können, zusammen rund ein Drittel der | |
| Stimmen bei der kommenden Bundestagswahl zu erhalten, denen aber weit | |
| weniger mediale Aufmerksamkeit beschieden ist. | |
| Während [1][das „Triell“ von Scholz, Laschet und Baerbock] am Sonntag | |
| gemeinsam von ARD und ZDF auf dem populärsten Sendeplatz ausgestrahlt und | |
| regelrecht zelebriert wurde, erschien der Umgang mit den „Kleineren“ dann | |
| doch eher etwas stiefmütterlich. Nicht einmal die gleiche Sendezeit wie den | |
| „Großen“ wurde ihnen zugebilligt: Statt 90 Minuten bot ihnen das ZDF | |
| gerademal eine Stunde an, die ARD anschließend wenigstens 75 Minuten. | |
| Auch auf einen gemeinsamen Begriff für das Zusammentreffen von Linkspartei, | |
| FDP, AfD und CSU konnten sich ARD und ZDF nicht verständigen. „Quartell“ | |
| hätte eigentlich nahegelegen. Stattdessen nannte es der eine Sender den | |
| „Vierkampf nach dem Triell“, und zwar „der Parteien, die gute Chancen | |
| haben, in den neuen Bundestag einzuziehen“, wie es WDR-Chefredakteurin | |
| Ellen Ehni formulierte, die gemeinsam mit ihrem bayrischen Pendant | |
| Christian Nitsche das Event in der ARD moderierte. | |
| Beim ZDF hieß es „Schlagabtausch“, und zwar „der anderen im Bundestag | |
| vertretenen Parteien, die keinen eigenen Kanzlerkandidaten stellen“, so | |
| ZDF-Alleinmoderator Matthias Fornoff, Leiter der Hauptredaktion „Politik | |
| und Zeitgeschehen“. Was wäre wohl gewesen, wenn sich die Union auf Markus | |
| Söder als Kanzlerkandidaten geeinigt hätte? Ob dann der CDU auch nur diese | |
| Trostrunde geblieben wäre? | |
| ## Der ARD-Vierkampf: plakativer und aufschlussreicher | |
| Aber immerhin bot das öffentlich-rechtliche Fernsehen schon wesentlich | |
| mehr, als die private Konkurrenz zu bieten bereit ist. Denn da beschränkt | |
| man sich gleich nur auf das Triell – obwohl es das deutlich langweiligere, | |
| weil weniger kontroverse Format ist. Wobei auch das Triell ja schon ein | |
| Fortschritt ist, weil sich diesmal wenigstens nicht nur zwei | |
| Koalitionspartner:innen miteinander unterhalten, wie noch beim | |
| letzten Mal Angela Merkel mit Martin Schulz. | |
| Dafür fehlten allerdings leider die Grünen bei den TV-Events am Montag. Es | |
| wäre nicht nur spannend gewesen, wie sich Baerbock oder Robert Habeck in | |
| den zwei Diskussionen geschlagen hätten, sondern hätte möglicherweise auch | |
| zu Klärungsprozessen geführt. Denn es war schon bemerkenswert, in wie | |
| vielen Fragen die Linkspartei-Spitzenkandidatin Janine Wissler alleine | |
| gegen den Rest stand. Wie sich hier wohl die Grünen-Spitzenkandidat:innen | |
| verortet hätten? | |
| Prominenter besetzt war die ARD: Neben Linken-Spitzenkandidatin Janine | |
| Wissler und der AfDlerin Alice Weidel, die ihre Parteien in beiden | |
| Sendungen vertraten, kamen für die FDP ihr Vorsitzender Christian Lindner | |
| und für die CSU Bundestagslandesgruppenchef Alexander Dobrindt, das ZDF | |
| musste mit FDP-Vize Wolfgang Kubicki und CSU-Generalsekretär Markus Blume | |
| vorliebnehmen. | |
| Ganz gleich aber, ob im ZDF oder der ARD: Es ging munter zur Sache. Die | |
| Differenzen zwischen den Parteien traten wesentlich deutlicher zutage als | |
| beim Triell am Tag zuvor. Und es ging auch mitunter giftiger zu. | |
| ## „Finanzpolitischer Voodoo“ | |
| Ein Beispiel: Als Wissler im ZDF Wolfgang Kubicki vorhält, die von der FDP | |
| in ihrem Wahlprogramm geforderten Steuerentlastungen in Höhe von 90 | |
| Milliarden Euro seien „finanzpolitischer Voodoo“, und sie dann auch noch | |
| die legendäre Mövenpick-Steuersenkung erwähnt, verliert der sonst so gerne | |
| gelassen und locker wirkende Liberale kurz die Contenance. | |
| „Wenn Sie so viel von Wirtschaft verstehen würden, wäre die DDR nicht | |
| untergegangen“, giftet Kubicki die 1981 im hessischen Langen geborenen | |
| Wissler an. Die kontert kurze Zeit und zahlreiche Unterbrechungen später: | |
| „Herr Kubicki, vielleicht könnten Sie aufhören, mir dauernd | |
| dazwischenzublubbern.“ | |
| Aufschlussreich: Bei der ARD flochten die Moderator:innen Ellen Ehni | |
| und Christian Nitsche zur Überleitung in die verschiedenen Themenblöcke | |
| immer wieder Fragerunden ein, die die vier Kontrahent:innen nur mit dem | |
| Daumen zu beantworten hatten: rauf oder runter? | |
| Brauchen wir ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen? Wollen Sie | |
| Inlandsflüge in Deutschland verbieten? Soll bis 2030 ein Verbot von | |
| Verbrennungsmotoren kommen? Wollen Sie höhere Steuern für Reiche einführen? | |
| Wollen Sie die private Krankenversicherung abschaffen? Soll die Nato | |
| abgeschafft werden? Bei all diesen Fragen stets das gleiche Bild: Wisslers | |
| Daumen geht nach oben, die Daumen von Lindner, Dobrindt und Weidel nach | |
| unten. | |
| ## Streit um die richtige Klimapolitik | |
| Bei der Frage, ob der Mindestlohn angehoben werden soll, reckt sich bei der | |
| Linksparteilerin wieder der Daumen nach oben und bei der AfDlerin nach | |
| unten – während der FDPler und der CSUler pfuschen. Denn mit Verweis auf | |
| die Mindestlohnkommission tun sie so, als könnten sie sich nicht festlegen. | |
| „Sie haben nicht richtig darauf geantwortet“, hält ihnen Ehni vor. | |
| In erstaunlich vielen Fragen stehen FDP, CSU und AfD auf der einen und die | |
| Linkspartei auf der anderen Seite. Aber es gibt Ausnahmen. So zeigen alle | |
| vier ihre Ablehnung einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen sowie | |
| einer Anhebung des Rentenalters. Wobei auch hier Lindner etwas flunkert, | |
| weil die FDP das Renteneintrittsalter flexibilisieren will. Und zwar nicht | |
| nur nach unten. | |
| Und dann gibt es da noch die Klimafrage. Müssen die Ziele des Pariser | |
| Abkommens eingehalten werden? Nur Weidels Daumen senkt sich. Doch die | |
| Eintracht, mit der die Daumen von Wissler, Dobrindt und Lindner nach oben | |
| gehen, täuscht, wie die anschließende Diskussion zeigt. Wissler drängt auf | |
| Tempo beim Klimaschutz und propagiert einen „sozial-ökologischen Umbau“. | |
| Sie fordert, „raus aus der Kohle, und zwar schneller als 2038, nämlich | |
| 2030“. Auch müsse damit aufgehört werden, Wälder für Autobahnen, Kohle- | |
| oder Kiesabbau abzuholzen. Und sie sagt: „Wir brauchen Alternativen zum | |
| Automobilverkehr.“ | |
| ## Alice Weidel macht auf FDP | |
| Nicht nur bei Weidel, sondern auch bei Lindner und Dobrindt erntet sie | |
| dafür verständnisloses Kopfschütteln, Grinsen und Lachen. „Wir werden den | |
| Klimawandel doch nicht alleine in Deutschland aufhalten“, entgegnet ihr | |
| Lindner. | |
| Stattdessen setzt der FDP-Mann seine Hoffnung auf den technologischen | |
| Fortschritt: „Was wir tun müssen, ist den Anspruch zu haben, | |
| Technologieweltmeister zu sein.“ Und ansonsten will er synthetische | |
| Kraftstoffe aus Chile und Strom aus Italien importieren. Worauf Weidel | |
| setzt, bleibt auch trotz mehrmaligen Nachfragens unklar. Sie beschränkt | |
| sich darauf, jegliche Klimaschutzaktivitäten in Deutschland als „völlig | |
| falsch“ abzulehnen, weil die der deutschen Wirtschaft schadeten. | |
| Bemerkenswert ist, dass Alice Weidel sich in beiden Debatten große Mühe | |
| gibt, nicht das wohlverdiente Image der AfD als radikal rechter Partei zu | |
| bedienen. Sie verzichtet auf die sonst in ihren Kreisen – und auch bei ihr | |
| – übliche Hetze gegen Menschen, die anders denken, glauben, leben oder | |
| aussehen. Vielmehr präsentiert sie sich als Hardcore-Wirtschaftsliberale, | |
| als eine Art marktradikalere Variante der FDP. | |
| Offensiv wirbt die AfD-Vorsitzende um die Klientel der Besserverdienenden. | |
| Selbstverständlich lehnt sie wie die FDP die Wiedereinsetzung der | |
| Vermögensteuer ab und fordert ebenso die Abschaffung des | |
| Solidaritätszuschlags für Wohlhabende. Darüber hinaus will sie noch die | |
| Einkommensteuer senken und die Erbschaftssteuer, die Grundsteuer sowie die | |
| Grunderwerbssteuer völlig abschaffen. | |
| ## Gewollte und ungewollte Koalitionsoptionen | |
| Olaf Scholz und Armin Laschet dürften bei den Quartells genau zugehört | |
| haben. Denn da nach dem derzeitigen Stand alles dafür spricht, dass es nach | |
| der Bundestagswahl weder für Schwarz-Grün noch für Rot-Grün reichen wird, | |
| müssen erweiterte Farbkombinationen ausgelotet werden. Beide würden am | |
| liebsten die FDP hinzunehmen. Doch das ist und bleibt besonders für den | |
| SPD-Kanzlerkandidaten ein äußerst ungewisses Unterfangen. | |
| FDP-Chef Lindner gibt sich jedenfalls weiter sibyllinisch. Einerseits | |
| betonte er zwar am Montag die unbestreitbar größeren Gemeinsamkeiten mit | |
| der CDU und der CSU. Aber er fügte anderseits hinzu, dass „leider die Union | |
| überraschend geschwächt ist“. Da komme „der FDP eine besondere | |
| Verantwortung zu, eine Politik in der Mitte zu organisieren“. Öffnete der | |
| freidemokratische Vortänzer damit den Weg zur Ampel? | |
| Nun ja, gleichwohl bekundete Lindner, ihm fehle „die Phantasie, welches | |
| Angebot Rot-Grün der FDP machen könnte“. Höhere Steuern und ein Aufweichen | |
| der Schuldenbremse schließe er schon mal aus. | |
| CSU-Mann Alexander Dobrindt bot der SPD eine Alternative an: die | |
| „Deutschlandkoalition“. Wobei er sich selbstverständlich eine solche | |
| Koalition unter Führung der Union vorstellt. Das dürfte keine besonders | |
| attraktive Aussicht für die SPD sein. | |
| Was bleibt da noch? Tja, möglicherweise das eigentlich Naheliegende, was | |
| jedoch ganz weit weg erscheint, weil es [2][weder die SPD noch die Grünen | |
| wollen]: Rot-Grün-Rot. Die Linksparteilerin Wissler indes betonte die | |
| Gemeinsamkeiten: von einem höheren gesetzlichen Mindestlohn über | |
| bezahlbares Wohnen, eine gute Rente bis zum Klimaschutz. Mit ihrer Partei | |
| wäre das machbar. Wenn es am 26. September für SPD, Grüne und Linkspartei | |
| eine rechnerische Mehrheit gebe, „dann sollten wir sehr ernsthaft darüber | |
| reden, wie wir einen Politikwechsel gestalten können“. | |
| 14 Sep 2021 | |
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| Pascal Beucker | |
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