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# taz.de -- TV-Triell der KanzlerkandidatInnen: Leerstelle Klimaschutz
> Als ob günstiges Benzin ein Menschenrecht wäre: Es war traurig
> anzuschauen, wie beim TV-Triell am Großthema des 21. Jahrhunderts
> vorbeigeredet wurde.
Bild: Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet lässt sich nach dem TV-Triell von A…
Die Welt brennt, die Lage ist todernst. Wir werden Kriege um Wasser
erleben, Hungersnöte und ganz neue Flüchtlingsbewegungen. Deutschland wird
anders aussehen, als wir es jetzt kennen. Der Wald wird verdorren, ist er
jetzt schon im Harz, im Schwarzwald und anderswo. Stattdessen wird es mehr
Steppen geben. Wir werden Flutkatastrophen wie die in NRW und
Rheinland-Pfalz, bei der über 180 Menschen starben, öfter erleben, viel zu
oft.
Sind solche Sätze unsagbar? Es scheint so. Beim [1][TV-Triell, das am
Sonntagabend in ARD und ZDF ausgestrahlt wurde], hat sich keiner der drei
KandidatInnen getraut, die Tödlichkeit der Klimakrise angemessen zu
beschreiben. Weder Armin Laschet noch Olaf Scholz, und auch die Grüne
Annalena Baerbock, die dafür am ehesten in Frage gekommen wäre, hat es
nicht getan. Es war traurig anzuschauen, wie am Großthema des 21.
Jahrhunderts vorbeigeredet wurde.
Das lag auch am Versagen der beiden Moderatorinnen des Triells.
ARD-Chefredakteur Oliver Köhr und die ZDF-Journalistin Maybrit Illner
fielen sich so oft ins Wort, als hätten sie sich kurz vor der Sendung zum
ersten Mal gesehen. Köhr startete den Punkt Klimaschutzpolitik mit der
Feststellung, dass die Klimawende mindestens so teuer werde wie die
deutsche Einheit. Braucht es einen Klima-Soli? In dem Stil ging es weiter.
Wann sagen Sie den Deutschen, dass es richtig teuer wird? Wo ist die Grenze
beim Spritpreis?
Wer zuhörte, konnte auf den Gedanken kommen, dass günstiges Benzin ein in
der Verfassung verankertes Menschenrecht sei. Damit war das Framing
gesetzt: Klimaschutz ist vor allem teuer. Schöner lässt sich das Dilemma
der klimaschutzpolitischen Debatte in Deutschland kaum beschreiben. Dabei
ist es genau andersherum. Es darf nicht mehr darum gehen, wie teuer
Klimaschutz wird. Entscheidend ist, wie teuer kein Klimaschutz wird.
## Wirklich teuer ist nur kein Klimaschutz
Ein paar Fragen dazu, das hätte dem Ganzen die angemessene Ernsthaftigkeit
gegeben. Die Kosten für unterlassenes Handeln in der Klimakrise sind
immens, und sie werden steigen. Allein [2][die Flutschäden dieses Jahres
belaufen sich auf 30 Milliarden Euro]. Nach dem Dürresommer 2018 zahlte der
Bund 228 Millionen Euro staatliche Nothilfe an in ihrer Existenz bedrohte
Bauern. Die Liste ließe sich verlängern, und das ist nur der Anfang.
Die Klimakrise ist ja keine Krise, die irgendwann wieder in die alte
Normalität mündet. Sie wird immer schlimmer, und es geht nur noch darum,
das Ausmaß des Schlimmen so zu begrenzen, dass die Menschheit sich anpassen
kann. Diese dauerhafte, nicht mehr zu stoppende Eskalation wird von CDU,
CSU und SPD noch nicht ausreichend verstanden. Armin Laschets
entscheidender Satz mit Blick auf die Autoindustrie und andere Firmen war:
„Wir müssen die jetzt auch mal machen lassen.“
Darin steckt der naive Kinderglaube, dass marktgetriebene Innovation uns
alle rettet – sich der Kapitalismus also von selbst heilt und klimaneutral
macht. Wenn es nicht so traurig wäre, man müsste darüber lachen. Auch Olaf
Scholz sagte einen Schlüsselsatz vor einem Millionenpublikum, nämlich den,
dass der richtige Weg „der moderate Weg“ sei. Dieses Narrativ ist taktisch
klug, weil es ein Grundgefühl der Deutschen bedient. Bitte nicht radikal
werden, immer schön in der Mitte bleiben. Merkel verkörperte diese
Sehnsucht par excellence, Scholz empfiehlt sich erfolgreich als ihr
Erbverwalter.
Aber auch das bundesdeutsche Modell der ewigen Moderation, das Austarieren
aller Interessen auf der Suche nach einer Balance, wird der Klimakrise
nicht gerecht. Die Physik verhandelt nicht, sie funktioniert nicht wie eine
Tarifverhandlung zwischen ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften. Sie
erfordert schnelle, entschiedene Aktionen, und weder Laschet noch Scholz
scheinen dazu bereit zu sein. Der „moderate Weg“, den die Groko einschlug,
hat hinten und vorne nicht gereicht. So blieb nach diesem Triell die
ernüchternde Erkenntnis, dass das wichtigste Thema dieser Zeit mit einem
seltsamen Unernst behandelt wurde.
## Scholz und Laschet beharkten sich, Baerbock moderierte
Millionen BürgerInnen sind nicht nur nicht wirklich klüger geworden, sie
dürften erst gar nicht verstanden haben, worum es in Wirklichkeit geht.
Daran konnte auch Baerbock nichts ändern, die in der knapp bemessenen Zeit
am ehrlichsten argumentierte. Während sich die Herren von CDU und SPD
beharkten, blieb sie ruhig, antwortete präzise und übernahm dann noch den
Job der überforderten ModeratorInnen, indem sie fragte, ob Laschet und
Scholz denn früher aus der Kohle aussteigen würden. Für Antworten blieb
leider keine Zeit, denn da war schon der Mietendeckel dran.
Vielleicht muss man grundsätzlich und neu über dieses Fernsehformat
nachdenken, das zu jedem Wahlkampf gehört – und dem in der politmedialen
Öffentlichkeit eine absurde Wichtigkeit beigemessen wird. Aber ein
Parforceritt, bei dem die ModeratorInnen von Thema zu Thema hetzen, hat
kaum aufklärerischen Charakter. Nichts wird vertieft, alles bleibt an der
Oberfläche – und ZuschauerInnen, die sich selten mit Politik beschäftigen,
dürften hilflos vor dem Fernsehschirm sitzen, verloren in der
Schlagwort-Hölle.
Eine passende Fußnote zu diesem 95-minütigen Ausfall ist, dass Baerbock
später in Umfragen von ZuschauerInnen zwar als nett und sympathisch
bewertet wurde, aber als deutlich weniger kompetent als die Männer. Nun,
mindestens beim Klimaschutz war das Gegenteil der Fall. Da sage nochmal
jemand, dass Sexismus bei dieser Bundestagswahl keine Rolle spiele.
13 Sep 2021
## LINKS
[1] /Zweites-Triell-der-Kanzlerkandidatinnen/!5800192
[2] /Bericht-der-Weltwetterorganisation/!5792966
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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