# taz.de -- Robert Habeck im Wahlkampf: Genervt, aber loyal | |
> Robert Habeck wäre gerne selbst Grünen-Kanzlerkandidat geworden. | |
> Unterwegs mit einem, von dem man gerne wüsste, was er wirklich denkt. | |
Bild: Denkt schon an Sondierungsgespräche: Robert Habeck mit Annalena Baerbock… | |
BERLIN/MÜNSTER/ESSEN taz Man wüsste ja wirklich gerne, was Robert Habeck in | |
einer schlaflosen Nacht denkt. Wenn er nach einem dieser vollgepackten | |
Wahlkampftage im Hotelbett irgendwo in Deutschland liegt, alles still ist | |
und die LED-Anzeige des Fernsehers trübe glimmt. Denkt er: Sie hat es | |
verkackt? | |
Eine Antwort, so viel vorab, wird dieser Text nicht geben, leider. | |
Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, wie Habeck wirklich die Fehler | |
seiner Kollegin Annalena Baerbock sieht. Aber wenn man Habeck so zuhört, an | |
diesem Dienstag in Münster, Westfalen, liegt der Gedanke nah, dass ein | |
bisschen mehr Habeck dem Wahlkampf der Grünen gut getan hätte. | |
An guten Tagen schafft es Robert Habeck, drei Prinzipien in einer Rede zu | |
vereinen: klare, bullshitfreie Ansagen, eine große Erzählung und | |
freundliche Zugewandheit. An sehr guten Tagen bleibt sein Pathos dabei im | |
erträglichen Bereich. Heute ist ein sehr guter Tag. Habeck, Fünf-Tage-Bart, | |
die Hemdsärmel aufgekrempelt, spricht von den „Zumutungen“, die die globale | |
Erderhitzung den Deutschen bescheren werde. Der Baggerfahrer im | |
Braunkohlerevier müsse umziehen, sich weiterbilden und eine neue | |
Beschäftigung suchen. Ebenso sähe es in anderen Branchen aus. | |
Kein Bullshit. | |
## „Was für ein vulgäres Freiheitsverständnis!“ | |
Hinter Habeck ragt der St.-Paulus-Dom auf, ein heller Sandstein-Bau mit | |
blassgrünem Dach und wuchtigen Türmen. An der Wand direkt hinter der Bühne | |
haben die Grünen eine große Sonnenblume angebracht, was sich extrem gut im | |
Fernsehen macht. | |
Die große Erzählung liefert Habeck das Klimaurteil des | |
Verfassungsgerichtes. Jenes habe das Potential, den gesamten Diskurs zu | |
ändern, sagt er. Hier der Staat, mit seinen bösen Verboten und Regeln. Bei | |
„der Staat“ grummelt Habeck dramatisch im Bass und zeigt in die | |
entfernteste Ecke der Bühne. Dann tänzelt er zwei, drei Schritte zur Seite | |
und zeigt in die andere Ecke. Dort die Freiheit – Habecks Stimme ist wieder | |
heller -, freies Rasen auf der Autobahn, freies Unternehmertum, und so | |
weiter. Als ob Freiheit mit Regeln nichts zu tun hätte. Als ob. | |
Jetzt setzt Habeck seine Pointe. „Die Richter haben gesagt: Was ist das für | |
ein vulgäres, verhunztes, triviales Freiheitsverständnis!“ Sie drehten das | |
Ganze ja um, denn in ihrem Urteil ist Klimaschutz die Basis der Freiheit | |
kommender Generationen. Aus Habecks Sicht sind deshalb beliebte Narrative | |
der Konservativen und Liberalen nicht mehr haltbar. Ein Tempolimit? Nicht | |
mehr Freiheitsberaubung, sondern ein Freiheitsgewinn, weil es Klimaschutz | |
bedeutet. „Wählen wir (…) neue Regeln für unsere Freiheit“, ruft er. | |
„Danke, Münster!“ | |
Ein Rentner, der wegen seiner Krücke nicht applaudieren kann, nickt heftig. | |
Eine Studentin mit Rucksack lächelt beseelt ihrer Freundin zu. Viele in der | |
Menge recken Sonnenblumen in die Höhe, die HelferInnen vorher verteilt | |
haben. Wäre der Münsteraner Domplatz Deutschland, wäre den Grünen das | |
Kanzleramt sicher. | |
## Wenn der Domplatz Deutschland wäre … | |
Nun ja, ist er aber nicht. [1][Aus dem Kanzlerinnen-Wahlkampf der Grünen | |
ist ein Irgendwie-dabei-Wahlkampf geworden.] 15 Prozent in den Umfragen, | |
Platz 3, abgeschlagen hinter der SPD, ausgerechnet. Nicht ausgeschlossen, | |
dass es am Sonntag noch weiter abwärts geht. Habeck und Baerbock ist das | |
passiert, was sie mit aller Macht vermeiden wollten. Das Duell um die | |
Kanzlerschaft machen Scholz und Laschet unter sich aus. In der nächsten | |
Regierung sind die Grünen wieder die Kellner, nicht die Köche. So, wie sie | |
es damals unter Gerhard Schröder waren. | |
[2][Am Sonntag trafen sich wichtige Grüne aus Bund und Ländern in einer | |
ehemaligen Industriehalle in Berlin.] Wahlparteitag, ein PR-Termin, es geht | |
darum, noch einmal schöne Bilder und entschlossene Reden zu produzieren. | |
Erstaunlich viele RednerInnen halten an dem Spin fest, dass Baerbock | |
Kanzlerin wird. Es ist eine Veranstaltung hinter einer Wand aus Milchglas. | |
Drinnen die trotzigen, sich ihrer selbst vergewissernden Grünen, draußen | |
die strategische Wirklichkeit. | |
Habeck tritt ganz am Schluss ans Rednerpult und prostet mit einem Glas | |
Wasser in den Saal. Hinter ihm eine Waldszene, knorrige Bäume, | |
Sonnenflecken auf saftigem Gras. Alles ist da, was die grüne Seele | |
streichelt. Habecks Rede wirkt wie ein vorgezogenes Resümee des | |
Wahlkampfes. Wieder redet er über das Klimaurteil und über das Ende der Ära | |
Merkel. Dann sagt er: „Wir waren also an einem Punkt, wo der Wahlkampf die | |
Chance hatte, eine neue Zeit zu prägen.“ | |
Stattdessen seien Popanze aufgebaut worden, die einen Wettbewerb um die | |
Gestaltung des Landes verhindern sollten. Das ist Habecks Erklärung, warum | |
der grüne Wahlkampf so schief lief. Falsche Gegensätze überall, | |
unfruchtbare Debatten, betonierte Klischees, von Wettbewerbern und Medien | |
hochgezogen und reproduziert. Aber seine Rede enthält auch Botschaft, die | |
sich an den eigenen Laden richtet, an die Leute, die begeistert klatschen. | |
## Parteitag hinter der Milchglaswand | |
Sie lautet: Die Chance war da. Wie konnte das passieren? Warum haben wir | |
uns so klein gemacht? Das Klimaurteil war ja nicht die einzige Steilvorlage | |
für die Grünen. Fridays for Future, das riesige Interesse an Klimaschutz, | |
die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die | |
Rekordhitze in Kanada, dazu mit Armin Laschet ein unglaublich schwacher | |
CDU-Kandidat. | |
Und dann nur 15 Prozent? Robert Habeck klopft auf dem Parteitag mit einem | |
Hämmerchen an die Milchglaswand. | |
Der Grünen-Chef legt in diesem Wahlkampf auch eine persönliche | |
Gratwanderung hin. Liebend gerne wäre er selbst Kanzlerkandidat geworden. | |
Und Habeck wäre nicht Habeck, wenn er nicht fest davon überzeugt wäre, dass | |
er es besser gemacht hätte als Baerbock. Seine Interviews enthalten mal | |
mehr, mal weniger subtile Hinweise, die man nur deuten muss. | |
Als ihn die Süddeutsche Zeitung im Juli fragte, wie oft er gedacht habe, | |
dass solche Fehler nicht hätten passieren dürfen, sagte er: „Mehr als | |
einmal und weniger als hundert Mal.“ Muss also davon ausgehen, dass Habeck | |
ungefähr 99 Mal in sein Kopfkissen biss. | |
## “'ne Art Verführbarkeit, dicke Hose zu machen“ | |
Im selben Gespräch belehrte er Baerbock, die Dutzende Textstellen kopiert | |
hatte, dass das Urheberrecht für Kulturschaffende existenziell sei. Auch | |
bei „Markus Lanz“ weigerte er sich im Juli, irgendetwas an den Plagiaten | |
schön zu reden. In der Politik, in der man ständig beurteilt werde, gebe es | |
„’ne Art Verführbarkeit, [ein] bisschen [auf] dicke Hose zu machen“. | |
Nadelstiche sind das, mit denen Habeck alle seine Genervtheit spüren lässt. | |
Aber von solchen Andeutungen abgesehen, verhält er sich loyal. Er | |
absolviert ein mörderisches Programm für den grünen Erfolg, lobt Baerbock, | |
wo er kann, und verweist darauf, dass die Partei unter ihr in den Wochen | |
nach ihrer Nominierung Rekordwerte erreichte. Habeck will kein Markus Söder | |
sein, der seinen einstigen Widersacher öffentlich in den Senkel stellt. | |
Auf dem Domplatz in Münster hat sich eine Traube aus drei Dutzend Leuten um | |
Habeck gebildet. Ein WDR-Team macht ein Interview, danach stellt sich die | |
Tonfrau lächelnd neben ihn für ein Foto. Eine Dame mit silbernem Haar und | |
Allwetterjacke will ein Selfie, ein Mädchen hinter ihr wohl auch, traut | |
sich aber nicht. Habeck umarmt noch schnell die Ex-Piratin Marina Weisband, | |
die die Grünen unterstützt – dann muss er los. Während Baerbock in einem | |
doppelstöckigen Reisebus durch die Republik tourt, wartet auf ihn ein | |
Mercedes-Van mit Elektromotor. | |
Kein Bullshit, eine Erzählung und freundliche Zugewandtheit: Viel spricht | |
dafür, dass das eine Strategie für Mehrheiten ist. Das Abrutschen der | |
Grünen in den Umfragen lässt sich auch damit erklären, dass sie von Habecks | |
Prinzipien abwichen. | |
## Flucht in die Spiegelstriche | |
Ein Beispiel war die Debatte über die Benzinpreiserhöhung von 16 Cent. Die | |
Grünen-Spitze war spürbar überrascht von der Brutalität der Gegenwehr – u… | |
flüchtete sich in die Spiegelstriche. Statt der Öffentlichkeit ehrlich und | |
anschaulich zu erklären, warum fossile Energie teurer werden muss, | |
deklinierte sie die Feinheiten des grünen Energiegeldes durch. Ähnlich | |
defensiv blieben die Grünen in der aufgeregten Diskussion über billige | |
Mallorca-Flüge. | |
Dann war da diese peinliche Woche Ende Juni, in der ein österreichischer | |
Plagiatsjäger die ersten kopierten Textstellen in Baerbocks Buch | |
veröffentlichte. Die Grünen-Spitze schlug maximal aggressiv zurück. | |
„Rufmord!“, rief sie. „Kampagne!“ Sie schaltete Christian Schertz, einen | |
prominenten Medienanwalt ein, um den (nicht vorhandenen) Vorwurf der | |
Urheberrechtsverletzung zu kontern. Kurze Zeit später wirkte das nur noch | |
lächerlich, weil der Plagiatsjäger immer mehr Textstellen nachlieferte. | |
So schnell kann es gehen. Die Grünen, die keinen Bullshit erzählen wollten, | |
hatten genau das getan. Die Partei, die die ganze Gesellschaft adressieren | |
wollte, hockte plötzlich mit feuchten Augen in der Trotzecke. | |
Auch von der freundlichen Zugewandtheit blieb manchmal nicht viel übrig. | |
Unter Druck werden auch erfahrene Grüne mitunter recht dünnhäutig. Als | |
SPD-Chefin Saskia Esken neulich einen Tweet zu der dürftigen Windrad-Bilanz | |
von Winfried Kretschmann absetzte, bezeichnete Ex-Grünen-Chef Reinhard | |
Bütikofer dies als „Gekläff“ – und entschuldigte sich wenig später daf… | |
## Allianzen mit der FDP | |
Was hält Habeck wirklich vom Wahlkampf der Grünen? | |
Man kann mit ihm unter vier Augen in einem nüchternen Konferenzraum in | |
einem Hotel in Essen darüber sprechen. Das Gespräch findet „unter 3“ stat… | |
ein Journalistencode, der besagt, dass man daraus nicht zitieren darf. Aber | |
eins lässt sich nach diesem Gespräch doch sagen: Habeck hadert nicht, er | |
wirkt gelassen und sehr bei sich – und denkt schon über mögliche | |
Sondierungen nach. | |
Die Grünen werden sich ja (sehr wahrscheinlich) mit der FDP arrangieren | |
müssen, um regieren zu können. Sie müssen Schnittmengen suchen mit denen, | |
die weit weg stehen – und neue Allianzen schmieden, um etwas hinzubekommen. | |
Ein Job wie gemacht für Habeck, der 2017 in Schleswig-Holstein ein | |
Jamaika-Bündnis organisierte. Es ist wie auf der Bühne in Münster, die | |
vermeintlichen Gegensätze müssen zueinander finden. | |
Und wache Nächte? Um Robert Habecks Schlaf muss man sich, nach allem, was | |
man hört, keine Sorgen machen. | |
23 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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