# taz.de -- Die These: Wer denkt, braucht kein Triell | |
> Wer Debatten mit Baerbock, Scholz und Laschet wie Sportwettkämpfe | |
> inszeniert, hat die Wählerinnen und Wähler aus dem Blick verloren. | |
Bild: Hilfreich oder sinnfrei? Mediales Großereignis Triell | |
Kein Mensch braucht ein Triell, erst recht keine drei Trielle. Ein | |
Quadrupell wäre auch nicht besser. Schon das klassische Duell ist ein | |
Instrument politischer Verdummung, das Gegenteil von Aufklärung. Es ist | |
weder informativ noch unterhaltsam. Es ist, als würde man 90 Minuten drei | |
Würstchen – eines davon ein Ersatzprodukt auf Sojabasis – beim | |
Gegrilltwerden zuschauen. Und am Ende wird man doch nicht satt. | |
Wobei es nicht ganz stimmt, dass „kein Mensch“ solche Spiegelfechtereien | |
braucht. Die Medien selbst brauchen mediatisierte Ereignisse. Das Publikum | |
braucht sie nicht, auch nicht die Wählerin, der Wähler. | |
Gerne wird angeführt, das Triell spreche Menschen an, die „noch | |
unentschieden“ oder generell „nicht so sehr an Politik interessiert“ seie… | |
Angeblich würde damit eine Zielgruppe erreicht, die man mit politischen | |
Inhalten sonst nicht erreiche. Tut man das? Ist das so? | |
Denken wir uns versuchsweise ein Publikum, das nicht ahnt, wofür Annalena | |
Baerbock steht, wofür Laschet – und wer der Glatzkopf da auf der linken | |
Seite eigentlich ist. Dieses Publikum folgt dann in epischer Länge einer | |
beflissenen Abfragerei von sozial-, steuer-, wirtschafts- oder | |
klimapolitischen Details? Und entscheidet sich dann? Auf Grundlage von was | |
genau? | |
Am 26. September 1960 war es der Schweiß. Beim ersten Fernsehduell | |
überhaupt traf ein dynamischer und professionell geschminkter John F. | |
Kennedy auf einen fahrigen, schlecht rasierten Richard Nixon. Laut Umfrage | |
hätten Unentschiedene, die der Debatte nur über das Radio folgten, Nixon | |
ihre Stimme gegeben. Wer den Mann aber schwitzen sah im Fernsehen, | |
tendierte – natürlich – zum coolen Kennedy. | |
Vergleichbares wirkte – und wirkt noch – im Zusammenhang mit Barack Obama. | |
Der Mann hatte einfach einen swag, einen fist bump und allgemein eine | |
Coolness, die noch heute ein progressives Publikum für ihn einnimmt. | |
Kein Wort über seine Ausweitung des Mordprogramms mit Drohnen, seine | |
Rettung der Wallstreet, seine Deals mit der Pharmaindustrie. Kein Wort | |
darüber, dass ein Obama – mit vergleichbar populistischen „Ich werde in | |
Washington aufräumen!“-Methoden – einen Donald Trump erst ermöglicht hat, | |
kein Wort auch über sein offenbar redliches Bemühen, sich seinen Status | |
vergolden zu lassen. Aber, hey, konnte er nicht schön „Amazing Grace“ | |
singen? | |
Was zählt, auch hierzulande, ist Oberflächliches. Das Triell war darauf nur | |
ein Vorgeschmack. Ist dieses Lächeln echt? Hat er „sch“ wieder mit „ch“ | |
verwechselt? Weil er nervös war? Hatte er rote Ohren? Weil er sich ertappt | |
fühlte? | |
## Mehr Grimasse als Inhalt | |
Fernsehen verführt dazu, eher in Grimassen als in Parteiprogrammen zu | |
lesen. Wir können nichts dagegen tun. Das Gesicht ist die | |
Benutzeroberfläche des Menschen, darin etwas lesen zu wollen eine | |
anthropologische Konstante. Sympathie sollte – siehe Obama – kein Faktor | |
bei der Wahlentscheidung sein. | |
Ich persönlich halte beispielsweise Reinhard Bütikofer auf mehreren | |
menschlichen Ebenen für ein abstoßendes Scheusal. Auf politischer Ebene | |
aber, hört man aus Brüssel oder Straßburg, macht er sehr gute Arbeit. Also | |
solls mir recht sein, verdammt. | |
Der Gipfel der menschelnden Idiotie ist der sogenannte „Biertest“ und die | |
Frage, mit welchem der Kandidatinnen oder Kandidaten man „gerne mal ein | |
Bier trinken“ wollen würde. Da hatte beispielsweise ein kumpeliger | |
Jedermann wie George W. Bush gegenüber einem linkischen Nerd wie John Kerry | |
die Nase vorn – sogar bei Demokraten. | |
Erfunden wurde der „Biertest“ übrigens von einer US-Brauerei. Was als Gag | |
zum Wahlkampf gedacht war, wurde von Journalistinnen und Journalisten ganz | |
ernsthaft aufgegriffen. Endlich mal ein Maßstab, an dem sich menschliche | |
Anziehung ablesen lässt! Bier! Seitdem ist die Wählerschaft eingeladen, | |
sich zu fragen, welchen Kandidaten sie besonders gerne mag – statt sich | |
selbst die Frage vorzulegen, ob der Kandidat sie mag und im Zweifel auch | |
etwas für sie tun würde. | |
Beobachten konnte man diesen Unfug auch [1][nach dem zweiten Triell,] als | |
keine Geringere als WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni dafür zuständig war, | |
aktuelle Umfrageergebnisse vorzulesen. Eine der ersten Fragen lautete allen | |
Ernstes, welcher Kandidat, welche Kandidatin denn „am sympathischsten“ | |
rübergekommen sei. | |
Was ungefähr dem intellektuellen Niveau einer leicht verstolperten | |
Wahlkampfhilfe der Popsängerin Judith Holofernes entspricht, die sich nach | |
einer Begegnung mit Baerbock auf Instagram darüber freute, jene sei voll | |
„wach“ und ganz „da“ gewesen. Also nicht „schläfrig“ oder „irgen… | |
abwesend“. | |
Das Triell zieht wie ein Staubsauger jeden Quatsch an, der im Vorfeld von | |
Wahlen so im Umlauf ist. Dazu gehört, ich erwähnte es, die Pest der | |
Demoskopie. Es ist nicht nur so, dass nachweislich „Umfragen“ und die sich | |
darauf ergebende spekulative Arithmetik eine Wählerschaft dazu verführen, | |
„strategisch“ zu wählen – und also nicht, was sie einfach wählen würde… | |
würden sie einfach wählen dürfen. | |
## In den Eingeweiden von Vögeln lesen | |
Es ist auch so, dass die Demoskopie sich gerne irrt, mag sie auch noch so | |
„repräsentativ“ sein. Das hat sich in der Vergangenheit häufig erwiesen, | |
von Sachsen bis Washington, und es wird in der Gegenwart immer wieder | |
ausgeblendet. Wenn „neue Zahlen reinkommen“, schaltet das Hirn aus. Dann | |
übernimmt Jörg Schönenborn und interpretiert, was Stochastiker und | |
Statistiker so errechnet haben wollen. Ebenso gut könnte er, wie die | |
Auguren im alten Rom, in den Eingeweiden von Vögeln lesen: „Die Leber | |
scheint mir eher verkümmert, es könnte demnach für Rot-Rot-Grün reichen …… | |
Womit wir endlich alle Faktoren beisammen hätten, die das Triell als das | |
ausweisen, was es ist – Politik als sportifiziertes Ereignis. | |
Ein Ereignis, [2][an dem vor allem die Medien selbst ein großes Interesse | |
haben.] Wer mit Aufregung handelt, muss die Aufregung um jeden Preis | |
hochhalten. Auch dann, wenn es im Grunde nichts zu berichten gibt. Schon | |
klingen Interviews mit Politikern oder Politikerinnen wie Gespräche mit | |
Bundesligaspielern gleich nach der Partie: „Und, woran hattet jelegen?“ | |
Beim letzten Triell war es keine Geringere als die Leiterin des | |
ARD-Hauptstadtstudios, die in Adlershof als Sportreporterin darüber | |
berichtete, es hätten sich „Teams“ gebildet, die, nach Parteien getrennt, | |
die Sendung auf Leinwänden verfolgt hätten. Dabei sei auch mal „gejohlt“ | |
und „gejubelt“ worden. Es war von Sprechchören die Rede, bei der CDU wurde | |
gar der Stadionklassiker „Seven Nation Army“ von den White Stripes auf | |
Laschet umgedichtet. | |
Beim Triell treten trainierte Leistungssportler gegeneinander an, um | |
erstens selbst keine Fehler zu machen und zweitens dem Gegner „Tiefschläge“ | |
zu versetzen. Vor dem zweiten Triell war es die Bild-Zeitung, die mit der | |
Frage titelte, ob es Armin Laschet diesmal gelinge, Olaf Scholz „k. o.“ zu | |
schlagen. Da „schaltet“ ein Kandidat „überraschend auf Angriff“, geht … | |
anderer „in die Defensive“, aus der er sich nur mit Disziplin | |
herausarbeitet. Fehlte nur noch, dass Baerbock „aus der Tiefe des Raums“ | |
gekommen wäre. Fragen müssen „pariert“ werden, wie Bälle, bestenfalls | |
volley, das Foul ist verpönt. | |
Ohne korrekte Zeitnahme freilich wäre die „Blödmaschine“ (Markus Metz und | |
Georg Seeßlen über den Sport) nicht funktionstüchtig. Selbst dieser Aspekt | |
spielt beim Triell eine Rolle. Als liefe eine Schachuhr mit, werden | |
Redezeiten gestoppt und gegeneinander abgeglichen. Vermutlich, so die | |
neuesten Erkenntnisse, sind dabei Fehler gemacht worden. Möglich, dass das | |
Triell deshalb wiederholt werden muss. Und Baerbock hat es verstanden, mit | |
ihrem Hinweis auf die laufende Uhr eines schweigenden Konkurrenten | |
„Fairnesspunkte“ zu sammeln. | |
## Mit Liveticker und Countdown | |
Es mag kein böser Wille sein, alles auf einen Wettkampf zu drehen, ein | |
kommerzieller ist es allemal. An Wahlabenden lässt sich das schon länger | |
beobachten, inzwischen ergreift es aber auch den Wahlkampf selbst – | |
inklusive „Liveticker“ und Countdown bis zum Showdown. Die ganze Sprache, | |
in der über Politik berichtet wird, ist von der des Sportjournalismus kaum | |
mehr zu unterscheiden. Schade nur, dass sich nicht auch politische | |
Winkelzüge wie Spielzüge in Zeitlupe wiederholen lassen. | |
Die Welt ist komplex und Politik die Kunst des Machbaren, das Bohren dicker | |
Bretter. Der Wahlkampf in seiner televisionären Zuspitzung (ergänzt um das | |
Geschnatter in den Kloaken der „sozialen“ Medien) ist das exakte Gegenteil. | |
Ein Triell ist vielleicht genau das, was wir verdienen. Ganz sicher ist es | |
aber das, woran die Medien verdienen. | |
Wer um seine seelische Hygiene bemüht ist und sich den Glauben an die | |
Demokratie nicht nehmen lassen will, sollte diesem entwürdigenden Theater | |
keinerlei Beachtung schenken. | |
19 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Zweites-Triell-der-Kanzlerkandidatinnen/!5800192 | |
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## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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