# taz.de -- Berlin-Wahlen 2021: Generöse SPD | |
> Die SPD will nach dem Sieg mit allen Parteien außer der AfD über eine | |
> Zusammenarbeit reden. Grüne konnten an Stimmen zulegen. | |
Bild: Halten sich fast alle Optionen offen: Franziska Giffey und Raed Saleh (SP… | |
Berlin taz | Am Morgen nach einer langen Wahlnacht tat Raed Saleh, was man | |
so macht als Sieger: Er gab sich generös. Seine Partei wolle mögliche | |
Schnittmengen mit allen Parteien außer der AfD ausloten, also mit Grünen, | |
Linkspartei, CDU und FDP, sagte der Co-Parteichef der Deutschen | |
Presse-Agentur. „Wie es sich in einer Demokratie gehört.“ Spitzenkandidatin | |
Franziska Giffey und er wollten dem am Montagabend tagenden | |
SPD-Landesvorstand diesen Weg für Sondierungsgespräche vorschlagen. | |
Doch was so erhaben klingt, ist nichts anderes als die Fortsetzung der | |
sozialdemokratischen Taktik im Wahlkampf. „SPD pur“ sei das, hatte | |
Spitzenkandidatin Franziska Giffey stets betont, wenn sie sich von Inhalten | |
der aktuellen rot-rot-grünen Koalition etwa in der Verkehrspolitik scharf | |
abgrenzte und nach rechts blinkte. Denn mit dem Angebot, mit allen anderen | |
demokratischen Parteien erst mal zu sondieren, signalisierte Saleh eben | |
auch: Eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün ist keineswegs gesetzt. Eher im | |
Gegenteil. Vor fünf Jahren war das noch ganz anders: Da fielen sich SPD, | |
Linkspartei und Grüne nach fünf Jahren SPD-CDU-Koalition glücklich in die | |
Arme. | |
Giffey und Saleh haben in diesem Wahlkampf ganz auf Sieg gesetzt und | |
ziemlich viel gewonnen. Denn der ehemaligen Bundesfamilienministerin und | |
Spitzenkandidatin gelang etwas, was vor einem Jahr unmöglich schien: Sie | |
hat die SPD erneut zur stärksten Partei gemacht. Und auch wenn sie das | |
intern ausgegebene Ziel von 25 Prozent mit 21,4 Prozent verfehlte: Giffey | |
wird ins Rote Rathaus einziehen. Die Spitzenkandidatin verdankt diesen | |
Erfolg dem SPD-Boom im Bund, aber auch ihrem Wahlkampf, in dem sie die | |
Erfolge der Arbeit von Michael Müller (SPD) als Regierendem Bürgermeister | |
in guten Teilen schlicht ignorierte. | |
Überhaupt gibt es viele Gewinner*innen bei dieser Wahl – anders als so | |
oft müssen die Politiker*innen diese Erfolge nicht | |
herbeiinterpretieren. CDU und Linke etwa haben dem widrigen Bundestrend | |
ihrer Parteien getrotzt. Die Union legte sogar leicht auf 18,1 Prozent zu, | |
Klaus Lederer konnte für seine Linkspartei mit 14 Prozent die Verluste in | |
Grenzen halten. Die FDP holte wieder gut 7 Prozent. Dass die AfD mit nur | |
mehr 8 Prozent ihr Ergebnis fast halbiert hat, werden alle anderen Parteien | |
als Erfolg verbuchen. | |
## Klare Aussage | |
Die Grünen unter ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch schließlich | |
[1][konnten einen deutlichen Stimmenzuwachs] verbuchen: In über 40 Jahren | |
Parteigeschichte zuvor nie erreichte 18,9 Prozent sind eine klare Aussage | |
der Wähler*innen. Dazu kommen viele Direktmandate fürs Abgeordnetenhaus vor | |
allem in der Innenstadt und Erfolge auf Bezirksebene. | |
Wie schwer wiegt da, dass Jarasch einen jahrelangen, teils deutlichen | |
Vorsprung in den Umfragen verspielte, wonach die Grünen eigentlich stärkste | |
Partei waren? Ende April kamen die Grünen in Umfragen auf 27 Prozent, | |
selbst im Sommer noch auf 22. Doch nun ist nichts geworden aus Jaraschs | |
Ziel, Regierungschefin zu werden. | |
Solche Fragen müsste die Partei allerdings schnell klären – schon am | |
Mittwoch werden nach Erwartung der Grünen Sondierungsgespräche beginnen. | |
Jarasch selbst sah am Montag bei einer Pressekonferenz keine Notwendigkeit, | |
sich für das verpasste Wahlziel zu rechtfertigen: „Ich muss meinen | |
Parteimitgliedern wenig erklären, denn die freuen sich über das, was wir | |
erreicht haben.“ Jarasch will mit Rot-Rot-Grün weitermachen; über eine | |
rechnerisch mögliche Ampel sagte sie: „Die FDP stellt alles, was ich als | |
sozialdemokratischen Kern sehe, zur Disposition.“ | |
## SPD pur? | |
Die Frage, ob die Grünen selbstbewusst und souverän oder eher taktisch | |
vorsichtig in solche Sondierungen gehen, beantwortete schon die | |
Pressekonferenz. Für Jarasch stand fest, dass sich SPD und Grüne auf | |
Augenhöhe bewegen würden. Das passt nicht ganz zu ihrer Aussage kurz zuvor, | |
in der sie Franziska Giffey als Wahlsiegerin bezeichnete – sie habe ihr | |
auch dazu gratuliert. | |
Laut Jarasch hat Giffey am Wahlabend angedeutet, dass das Ergebnis ein | |
Auftrag für eine Zusammenarbeit von SPD und Grünen sei. Giffey selbst | |
definierte ihr Ziel im RBB-Inforadio so: „Wir wollen gerne so viel | |
SPD-Programm wie möglich hinbekommen“ – SPD pur eben. | |
Zumindest rein rechnerisch sind die Grünen nicht in der Position, der SPD | |
viel abverlangen zu können. Zeigen sie sich zu widerspenstig, könnte die | |
SPD sie als Blockiererin darstellen und auf eine ebenfalls mögliche | |
„Deutschlandkoalition“ aus SPD, CDU und FDP umschwenken. Gegenüber den | |
eigenen Mitgliedern ließe sich das so darstellen, dass die Grünen das zu | |
verantworten hätten. So liefen die Verhandlungen etwa 2011, als das Nein | |
der Grünen zur A 100 der SPD unter Klaus Wowereit Grund genug war, die | |
Verhandlungen abzubrechen. | |
Wenn es Giffey rein um möglichst viel „SPD pur“ geht, hätte sie in einer | |
Deutschlandkoalition dazu mehr Möglichkeiten als mit Rot-Rot-Grün oder | |
einer Ampel: Die CDU wäre nach gescheiterten eigenen Ambitionen aufs Rote | |
Rathaus froh, überhaupt mit regieren zu können, die FDP wartet sein 32 | |
Jahren darauf, wieder im Senat zu sitzen. FDP-Spitzenkandidat Sebastian | |
Czaja bot am Montag bereits Gespräche an: „Franziska Giffey hat in Berlin | |
dafür geworben, einen Politikwechsel zu machen“, sagt er, „diesen | |
Politikwechsel kann sie schwer mit Grünen und Linken gestalten.“ | |
27 Sep 2021 | |
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[1] /Abstimmungen-in-Berlin/!5803736 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Bert Schulz | |
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