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# taz.de -- Psychische Erkrankungen: Entwicklungsland der Gefühle
> Obwohl Depressionen in Filmen oder Serien Thema sind, wird noch viel zu
> wenig ohne Scham über sie gesprochen. Zeit, das zu ändern.
Bild: Depressionen kosten Zeit, Kraft, Geduld und stellen nicht selten den Lebe…
Wenn ich darüber nachdenke, diese Kolumne zu schreiben, bleibt mir kurz die
Luft weg. Denn das Thema birgt die Möglichkeit, [1][dass man an meiner
Kompetenz zweifeln wird], an meiner Fähigkeit, (m)einen Job gut zu machen.
Wenn es mir schlecht geht, ich es nicht mehr verbergen kann oder mich gar
krank melden muss, wird man es zukünftig darauf schieben – denken, ich sei
nicht stark, nicht resistent genug. Menschen werden sagen, ich solle mich
nicht so anstellen, müsse mich nur aufraffen, mal an die Sonne oder zum
Sport gehen. Das Schlimmste aber, was mir vorgeworfen werden kann, ist,
dass ich nur Aufmerksamkeit wolle. Tatsächlich wäre das nicht mal ganz
falsch. Denn warum sonst sollte ich diese Kolumne schreiben wollen, wenn
nicht, um Aufmerksamkeit zu generieren?!
Doch die Aufmerksamkeit, die ich mir erhoffe, ist nicht in Gänze
eigennützig. Natürlich soll so eine Kolumne auch der Allgemeinheit
zugutekommen, soll Missstände ansprechen, Betroffenen zeigen, dass sie
nicht allein sind, ihnen Mut machen. Allen anderen verhilft sie hoffentlich
zu mehr Verständnis.
Die Rede ist von psychischen Erkrankungen im Allgemeinen, von Depressionen
im Speziellen. An Letzterer erkranken hierzulande laut der Deutschen
Depressionshilfe jährlich rund fünf Millionen Menschen im Alter zwischen 18
und 79 Jahren. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein.
Der Schriftsteller David Foster Wallace nannte seine Depression „die üble
Sache“. Das ist sie wirklich. Denn sie kostet Zeit, Kraft, Geduld und
stellt je nach Schwere nicht selten den Lebenswillen infrage. Im Idealfall
lernt man mit ihr zu leben, muss es irgendwie, besonders wenn sie
wiederkehrt.
## Ein Teil von mir
Meine Depression kommt mir oft „great“ im Sinne von groß oder übermächtig
vor. Doch ist sie auch „great“ im Sinne von bedeutend, denn sie macht mich
zwar nicht als Menschen aus, ist aber ein Teil von mir und das nach Jahren
akzeptiert zu haben, macht mich „great“ im Sinne von stark.
Obwohl das Thema es längst in die sozialen Medien geschafft hat, in Serien
und Büchern besprochen wird, sind wir von einer allgemeinen Akzeptanz noch
weit entfernt. Denn in einem Land, in dem der Gesundheitsminister
Betroffene [2][zur Behandlung in Raster einteilen möchte], muss noch viel
mehr darüber gesprochen werden.
Im Mai äußerte sich Nora Tschirner in einem Interview über ihre Erkrankung:
„Wir müssen lernen, Gefühle zuzulassen, mit ihnen umzugehen und sie zu
artikulieren. Wir sind ein Entwicklungsland, was Gefühle und den Umgang
damit angeht.“ Sie gab zu, dass die Position, aus der sie spricht, eine
privilegierte sei, als arrivierte Schauspielerin. Doch gerade deshalb sei
es ihr wichtig, dieses Privileg zu nutzen, um anderen zu helfen. Auch ich
befinde mich in gewisser Weise in einer privilegierten Position,
schließlich kann ich darüber schreiben. Also herzlich willkommen in meiner
„great Depression“.
7 Sep 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Sophia Zessnik
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