| # taz.de -- Psychotherapie und Verbeamtung: Angst vor Nachteilen | |
| > Jura- und Lehramtsstudent:innen machen in Krisen keine | |
| > Psychotherapie, aus Sorge um die Verbeamtung. Ist das begründet? | |
| Bild: Psychotherapie als Karrierekiller, davor ängstigen sich zukünftige Beam… | |
| Berlin taz | Vielleicht war es der Stress des Studiums, vielleicht einfach | |
| die Seele: Christian Bergmann rutschte während des Jurastudiums in eine | |
| depressive Phase. „Ich dachte daran, eine Psychotherapie zu beginnen“, | |
| erzählt der 32-jährige Berliner, „mehrfach habe ich überlegt. Ich kenne | |
| einige Juristen, denen es genauso ging. Aber niemand hat während des | |
| Studiums eine Therapie angefangen, auch ich nicht. Die Sorge ist da, dass | |
| es dann später mit der Verbeamtung nicht klappen könnte.“ | |
| Bergmann, der in Wirklichkeit anders heißt, ist einer von vielen jungen | |
| Leuten, die sich mit seelischen Problemen herumschlagen, aber diese nicht | |
| behandeln lassen aus Angst, später deswegen bei der behördlichen | |
| Gesundheitsprüfung vor einer Verbeamtung abgelehnt zu werden. | |
| Bergmanns Bekannter Wolfgang Schuster, Name ebenfalls geändert, auch | |
| Jurist, hat deshalb ein paar Therapiestunden lieber aus eigener Tasche | |
| bezahlt, damit diese Gespräche nicht aktenkundig werden. „Da herrscht eine | |
| große Unsicherheit“, sagt Schuster. Er kennt sogar Fälle, erzählt der | |
| 28-Jährige, in denen junge Leute Psychopharmaka unter der Hand an Bekannte | |
| weitergaben, weil diese mit ihren Beschwerden nicht zum Psychiater gehen | |
| wollten. | |
| Ronald Hoffmann, Leiter der zentralen Studienberatung und psychologischen | |
| Beratung (ZSPB) der Universität Hamburg weiß von diesen Ängsten und sagt | |
| der taz: „Das kennen wir von Jurastudierenden und Lehramtsstudierenden und | |
| von allen, die später verbeamtet werden können. Die haben Sorge, dass die | |
| Verbeamtung nicht funktioniert, wenn sie eine Psychotherapie machen.“ | |
| ## Die Frage der Beweislast | |
| Vor jeder Verbeamtung auf Lebenszeit müssen Bewerber:innen | |
| wahrheitsgemäße Angaben zu ihrem Gesundheitszustand und zu ihrer | |
| Vorgeschichte machen und oft auch persönlich beim Amtsarzt erschienen. | |
| Dieser muss eine Prognose zur späteren Dienstfähigkeit erstellen. Sind die | |
| Ängste vor dieser Gesundheitsprüfung übertrieben? | |
| Eine Umfrage der taz bei Amtsarztstellen ergab, dass die Bedenken der | |
| späteren Beamtenanwärter:innen eher unbegründet sind, was die | |
| Begutachtungen betrifft. „Wenn jemand eine Psychotherapie gemacht hat oder | |
| auch aktuell macht, ist das in der Regel kein Grund, eine Verbeamtung | |
| auszuschließen“, sagt Matthias Albers, Facharzt für Psychiatrie und | |
| Abteilungsleiter beim Gesundheitsamt der Stadt Köln und Sprecher des | |
| Fachausschusses Psychiatrie beim Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des | |
| öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). Albers war selbst 15 Jahre lang | |
| als Gutachter tätig. | |
| Albers verweist auf ein wegweisendes [1][Urteil des | |
| Bundesverwaltungsgerichts von 2013]. Mit dem Urteil wurden die Maßstäbe für | |
| eine Nichteignung für ein Beamtenverhältnis abgesenkt. In diesem Urteil | |
| verfügten die Richter, dass Gutachter:innen bei der Gesundheitsprüfung | |
| den oder die Kandidatin nur dann als „nicht geeignet“ einstufen können, | |
| wenn eine „vorzeitige Pensionierung vor Erreichen der gesetzlichen | |
| Altersgrenze überwiegend wahrscheinlich ist“. In den Jahren davor mussten | |
| die Gutachter:innen zu dem Schluss kommen, dass eine Eignung dann | |
| vorliege, wenn eine Diensttauglichkeit bis zum Pensionsalter wahrscheinlich | |
| sei. | |
| „Die Beweislast wurde durch das Urteil umgekehrt“, sagt Albers. Er kann | |
| sich nur an einen Fall erinnern, vor dem Urteil, an dem die Verbeamtung | |
| einer Kandidatin wegen einer langwierigen psychischen Erkrankung abgelehnt | |
| wurde, „damals lag eine schwere Essstörung vor“. | |
| ## Weitere Begutachtung möglich | |
| Es könne aber sein, dass ein Amtsarzt den oder die Kandidat:in noch zu | |
| einem Psychiater schickt zur weiteren Begutachtung, sagt Albers. Bei einer | |
| langfristigen ärztlichen medikamentösen Behandlung etwa durch | |
| Antidepressiva sei es dann entscheidend, dass „ein Facharzt zu dem Schluss | |
| kommt, dass eine Heilungsbewährung eingetreten und der Patient eine gewisse | |
| Zeit rückfallfrei ist“, erklärt der Psychiater. | |
| Selbst wenn der oder die Anwärter:in in der Vergangenheit in stationärer | |
| Behandlung war, sei dies nicht automatisch ein Ausschlussgrund, schildert | |
| Albers. Dies betreffe auch etwa Phasen einer psychotischen Erkrankung. | |
| „Wenn jemand sagt, ich war vor zehn Jahren in einer Klinik, seitdem nicht | |
| mehr, dann kann man das akzeptieren“, so Albers. | |
| Wenn allerdings ein Klinikaufenthalt erst kurz zurückliege und ein Kandidat | |
| aktuell ein Antipsychotikum nehme, „dann könnte der Arzt sagen, man wartet | |
| ab und befürwortet erst mal nur eine Verbeamtung auf Probe“, erklärt der | |
| Kölner Psychiater. | |
| ## Ein Lehramt bedeutet Verantwortung | |
| Martina Zinner-Feyerabend, Leiterin des personalärztlichen Dienstes der | |
| Stadt Hamburg, sagt im Gespräch mit der taz, „eine Psychotherapie wird kein | |
| Ablehnungsgrund sein für eine Verbeamtung“. Im Falle von | |
| Borderline-Erkrankungen und psychotischen Episoden in der Vergangenheit | |
| würde man aber etwa bei Lehramtsanwärter:innen „schon genauer | |
| hinschauen, wie lange die Episoden her sind, wie lange die Person | |
| symptomfrei ist. Grundschullehrer und -lehrerinnen haben ja später mit | |
| Kindern zu tun, sie haben eine Garantenpflicht und müssen die damit | |
| verbundene Verantwortung tragen können.“ | |
| Eine Sprecherin der Landeshauptstadt München teilte in einer schriftlichen | |
| Stellungnahme mit: „Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass eine | |
| psychiatrische Erkrankung in der Vorgeschichte per se nicht in jedem Fall | |
| einen Hinderungsgrund für eine Verbeamtung darstellt. Es kommt vielmehr im | |
| Einzelfall darauf an, um welche Erkrankung es sich handelt(e) […] und wie | |
| die langfristige Prognose im Hinblick auf Dienstfähigkeit zu beurteilen | |
| ist.“ | |
| Zur medikamentösen Behandlung durch Psychopharmaka heißt es: „Bei laufender | |
| Medikation muss neben der Wirksamkeit und der zugrundeliegenden Erkrankung | |
| auch das Nebenwirkungsprofil berücksichtigt werden, zum Beispiel im | |
| Hinblick auf die Steuerungsfähigkeit.“ | |
| Ist die Hürde der Gesundheitsprüfung genommen, steht jungen Beamt:innen | |
| mit einer psychotherapeutischen Vorgeschichte allerdings ein anderes | |
| Problem ins Haus: Beamt:innen gehen in der Regel in eine private | |
| Krankenkasse, weil sie vom Dienstherrn über die sogenannte Beihilfe | |
| entsprechende Zuschüsse bekommen. | |
| ## Schlechte Chancen bei Privatkassen | |
| Private Krankenversicherungen lehnen Antragssteller:innen mit | |
| psychotherapeutischen oder psychiatrischen Vorgeschichten aber oft ab. „Das | |
| kommt leider häufig vor“, sagt Michael Buchholz, Versicherungsmakler aus | |
| dem niedersächsischen Auetal und Betreiber der Website fairbeamtet.de. Eine | |
| Option ist dann die sogenannte „Öffnungsaktion“ mancher Privatkassen, die | |
| Personen mit Vorerkrankungen aufnehmen. Sie tun dies aber mit | |
| Risikozuschlägen von bis zu 30 Prozent und einem teilweise eingeschränkten | |
| Behandlungsspektrum. | |
| Man kann als Beamt:in freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse | |
| bleiben, aber nur in einigen Bundesländern zahlen die Dienstherren dann | |
| einen Arbeitgeberzuschuss zum Krankenkassenbeitrag. Ansonsten muss der oder | |
| die Versicherte den vollen und damit doppelt so viel gesetzlichen | |
| Krankenkassenbeitrag bezahlen wie Angestellte. Die Grünen dringen in | |
| [2][ihrem Wahlprogramm] darauf, diese Benachteiligung der gesetzlich | |
| versicherten Beamten durch einen „beihilfefähigen Tarif“ zu beenden. | |
| Christian Bergmann hat die amtsärztliche Gesundheitsprüfung bestanden, er | |
| ist nun Richter und Beamter auf Lebenszeit. „Jetzt könnte ich eine | |
| Psychotherapie machen“, sagt er. Rechtzeitige Behandlungen sind sinnvoll. | |
| Bei den vorzeitigen Pensionierungen etwa von Lehrer:innen sind | |
| psychische Erkrankungen der häufigste Grund. | |
| 17 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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