# taz.de -- Kunstwochen in Berlin: Puppenhaus mit Kammern | |
> Von der neuen SOX-Schaufensterausstellung bis zur KGB-Kunstwoche sind | |
> eine Woche vor der Berlin Art Week schon viele kritische Positionen am | |
> Start. | |
Bild: Keren Cytter, Installationsansicht „Leftovers“, Nagel Draxler Kabinet… | |
Sie ist ja eigentlich für ihre Filme und Theaterstücke bekannt, doch Keren | |
Cytter zeichnet auch, wenn nicht sogar vor allem. Auf Papier im | |
Standardformat und mit gewöhnlichen Buntstiften hält Cytter in der kleinen | |
Ausstellung „Leftovers“ bei [1][Nagel Draxler] die sozialen und kulturellen | |
Codes unseres Alltags fest. Diverse Motive, Insekten, Aztekenkunst und | |
Sneakers gehören in ihren zeichnerischen Beobachtungen alle gleichsam zu | |
einer Konvention, die nur vom Konsum getrieben zu sein scheint. Trotzdem | |
trifft Cytters, noch bis Samstag zu sehender Realismus auf eine gewisse | |
Poetik. | |
Vom 15. Bis 19. September ist Berlin Art Week, gepaart mit einer | |
spätsommerlichen – oder je nach Wetterlage: frühherbstlichen – Ausgabe des | |
Gallery Weekend. Gerade so jährliche Events wie sie nächste Woche mit einem | |
vollen Programm anstehen, lassen noch einmal in Rück- und Ausblick über die | |
Lage der Kunststadt Berlin nachdenken: Wie steht es denn um sie? Die | |
Immobilienpreise sind weiter gestiegen, Ateliers weiter gefährdet, Brachen | |
und Freiräume noch mehr mit mediokren bis barocken Neubauten besetzt. | |
Als Kommentar zur Raumsituation der Stadt liest sich die Ausstellung „Home | |
Work“ im Schaufensterprojekt [2][SOX], die man sich auch vor dem großen | |
Eröffnungskonzert der Art Week anschauen kann. Dort steht nämlich eine | |
humorvolle Puppenhausinterpretation von Richard Buckminster Fullers | |
Vorschlag, „mechanisierte Bürohäuser“ doch zum Wohnen zu nutzen, da sie ja | |
in der Zukunft „ohne Lohnarbeiter“ leer stünden. | |
Buckminster-Fullers Vorstellung aus den 1960er Jahren kehrt sich aktuell | |
vielmehr ins Gegenteil um. Den psychologisch kreativen Effekt von | |
Platzmangel verdeutlichen dann neun Künstler:innen in den Kammern des | |
Puppenhauses: Sophie Aigner zeigt Annäherungsversuche zwischen zwei | |
Mauersteinen, der 1997 verstorbene Absalon übte sich in Messerattentaten, | |
und Kerstin Drechsel lässt eine verschiedene Geschlechter annehmende Figur | |
ihren total optimierten Sauna-, Arbeits- und Wohnraum masturbierend zum | |
Verkauf feilbieten. | |
## KGB-Kunstwoche mit Nuray Demir und anderen | |
Warum erregt die Arbeitskraft mit Kopftuch keinen Anstoß, die | |
Kopfttuchträgerin, die Lehrerin werden will, aber schon? – Klare Fragen | |
stellt Nuray Demir auf einem genähten Banner in der [3][Galerie im | |
Saalbau]. Klar und einen tiefen, fiesen Nerv unserer Gesellschaft treffend, | |
die Migration, Islam und Frauenrechte nicht gut vereinbaren kann. Sechs | |
Künstlerinnen versammelt die Kommunale Galerie, die Teil der jetzt statt | |
findenden KGB-Kunstwoche ist, unter dem recht schwerwiegenden Titel | |
[4][„Von offenen Narben und verhüllten Geweben – Textil als Sprache der | |
Resilienz“]. | |
Die Textilarbeiten vermitteln vor allem Widerstand und den kollektiven | |
Protest gegen die Diskriminierung von Frauen. Zunächst unauffällig und dann | |
beeindruckend ist Samira Hodaeis Vorhang aus dem Stoff des Tschadors. Hier | |
wird er zur Innendekoration, doch eigentlich besteht seine Rolle darin, die | |
Sicht auf Frauen zu verdecken. Wer solch einen Stoff noch nie berührt hat: | |
Er ist schwer. | |
9 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://nagel-draxler.de/ | |
[2] https://www.sox-berlin.com/ | |
[3] https://galerie-im-saalbau.de/de | |
[4] https://galerie-im-saalbau.de/de | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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