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# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Paternalistisch bis heiter
> Alice Hauck und Amelie Plümpe verbauen die Welt in MDF, Win McCarthy
> zeigt Topografien der Vermessung, Vito Baumüller leitet zum lustigen
> Sterben an.
Bild: Alice Hauck und Amelie Plümpe, „38 PLUS 12“, Installationsansicht
Vielleicht ist die Szene, die heute nach einem etwas chaotischen Posten der
Verkehrspolizei ausschaut, beim nächsten Besuch in der [1][Galerie
McLaughlin] eine ganz andere. Dann könnten Alice Hauck und Amelie Plümpe
ihre Module aus MDF und Keramik zu einem Krabbelparcours umgewandelt haben
oder zu der Abstellkammer einer Kunsthalle.
Die handwerklich äußerst präzisen, vom jungen Künstlerinnenduo (Jahrgang
1990 und 1993) selber angefertigten Gegenstände sind Nachbildungen von
Objekten der Infrastruktur, von reinen Funktionsgegenständen, bei denen
Schönheit maximal ein Zufall ist. Maßstabsverschoben (Streichhölzer so lang
wie ein Arm) und maßstabsgetreu (eine Ölkanne aus Keramik oder ein
Lüftungsschacht aus MDF unterscheiden sich nur im Material vom Original),
schaffen diese exakten Dinge so etwas Widersprüchliches wie die Kulisse von
der Realität.
In der [2][Galerie Neu] hat Win McCarthy eine Topografie des Messens und
Vergleichens angelegt. Da liegt auf einem Tisch ein (maßgeschneiderter)
Herrenanzug, in dem Kopf und Hände einer Babypuppe derart eingefügt sind,
als kleidete das Jackett einen vollkommen verzerrten Körper.
Auf dem Boden der Galerie hat McCarthy ein Raster ausgelegt, Maßbänder
verschiedener Längeneinheiten, ausgetragene Lederschuhe, aber auch
Schulbücher, Prospekte und erneut Babypuppen bilden darauf Knotenpunkte.
## System der Normen und Maßeinheiten
Es sind unterschiedlichste Vorrichtungen der Kategorisierung: Europa ist
ein Land „voller Schlösser“, heißt es im US-amerikanischen Schulbuch, und
in Finnland laufen die Kinder nur in Trachten herum. Hier in diesem
paternalistischen Koordinatensystem (schließlich liegen hier nur männliche
Schuhe, und auch für die Maßeinheit Inch hat wohl mal ein männlicher Daumen
hergehalten), kann man sich dann seinen Standpunkt aussuchen.
Dabei dringen aus dem System der Normen und Maßeinheiten immer wieder
individuelle Spuren von Win McCarthy selbst hervor: ein Selfie, persönliche
Notizen. Was überwiegt in der eigenen Identität, das System der Messungen
und Normen oder das des Individuums?
Es bedarf einer jugendlichen Überheblichkeit, um derartige Anleitungen zum
fröhlichen Leben und lustigen Sterben zu machen, wie sie der tatsächlich
junge Vito Baumüller, Kunststudent an der Wiener Angewandten, gerade im
[3][Pavillon neben der Volksbühne] vorführt. Hauptstück in der Ausstellung
des soeben erst in den Glasbau eingezogenen Sternschuppens ist eine Montur
für den sicheren Tod.
Wie der mythische Botengott Merkur kann man sich Flügel umschnallen und
eine Kappe aufsetzen, doch bestehen die Utensilien vielmehr aus Gewichten
und Gleitsegeln mit frankensteinartiger Schnappmechanik.
Vor solch einem Abgang kann man aber noch mit Baumüllers Pieken in der
Machart eines guten Opinel-Messers Delikates von der Straßenrinne
aufklauben. Selbstverständlich zeigen diese Gegenstände auch
Klassenunterschiede: Die Flanierpieke in der Länge eines Spazierstocks ist
etwa für diejenigen gemacht, die sich nicht zu bücken brauchen im Leben.
Ich habe viel gelacht.
5 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.mclaughlingalerie.com/de
[2] https://www.galerieneu.net/
[3] https://www.instagram.com/sternschuppen/?hl=en
## AUTOREN
Sophie Jung
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