# taz.de -- Geheimdienste in Belarus und Georgien: Totale Panik | |
> Die Geheimdienste in Minsk und Tiflis wollen verstärkt kooperieren. | |
> Belaruss*innen, die nach Georgien geflüchtet sind, fürchten um ihre | |
> Sicherheit. | |
Bild: Will über die Kooperation mit Georgien an Oppositionelle kommen: Belraus… | |
BERLIN taz | Bislang wähnten sie sich in Sicherheit, die schätzungsweise | |
rund 100 Belaruss*innen, die ihr Land in den vergangenen Monaten aus | |
politischen Gründen verlassen und in der Südkaukasusrepublik Georgien | |
Zuflucht gefunden haben. Doch jetzt ist bei vielen Panik ausgebrochen. | |
Denn in diesem Monat ist ein Abkommen in Kraft getreten, das eine | |
Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten der beiden Länder vorsieht. Laut | |
der Übereinkunft, die bereits 2016 unterzeichnet wurde, verpflichten sich | |
Minsk und Tiflis, regelmäßig Daten auszutauschen und beim Kampf gegen | |
„Terrorismus“, Korruption sowie Verbrechen „gegen die verfassungsmäßige | |
Ordnung, die Souveränität und die territoriale Integrität“ zu kooperieren. | |
Pikanterweise sind es genau auch solche Straftatbestände, wie Terrorismus, | |
[1][Extremismus oder Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung], derer | |
die belarussische Staatsmacht von Alexander Lukaschenko ihre | |
Kritiker*innen beschuldigt, um sie zu verfolgen und hinter Gitter zu | |
bringen. | |
Auch Dmitri Schernych, Vize-Vorsitzender des belarussischen | |
Helsinki-Komitees, ist aufgerufen. „Wir müssen leider davon ausgehen, dass | |
die Sicherheit von Aktivist*innen in Georgien davon abhängt, wie sich | |
Georgien zu der politischen Position in Belarus positionieren wird. Sollte | |
Tiflis die Agenda des Minsker Regimes im Hinblick auf die | |
Aktivist*innen unterstützen, werden diese in Georgien bedroht sein“, | |
sagte er gegenüber dem Nachrichtenportal oc-media.org. | |
## Informationen über Finanzen | |
Zumindest über mögliche Auslieferungen schweigt sich das Abkommen aus. Doch | |
das trägt kaum dazu bei, die Gemüter der Belaruss*innen im temporären | |
Exil zu beruhigen. Denn sie befürchten, dass die belarussischen Behörden | |
trotzdem an Informationen herankommen könnten – zum Beispiel über ihre | |
finanzielle Situation. | |
Laut der belarussischen Aktivistin Marischa Korsch, die sich derzeit | |
ebenfalls in Georgien aufhält, könnte Minsk versuchen, Kritiker*innen | |
beispielsweise der Steuerhinterziehung oder der Beteiligung an | |
Drogengeschäften zu bezichtigen, um so an Informationen aus Georgien über | |
die finanzielle Lage bestimmter Personen zu gelangen und dann | |
Strafverfahren einzuleiten. | |
Das wäre kein Novum. Am 4. August 2011 wurde der Leiter des belarussischen | |
Menschenrechtszentrum Vjasna (Frühling), Ales Bjaljazki, in Minsk unter dem | |
Verdacht der Steuerhinterziehung festgenommen. Die entsprechende | |
Nachbarschaftshilfe hatten freundlicherweise die beiden EU-Staaten Litauen | |
und Polen geleistet, die die Minsker Behörden mit Daten über Bjaljazkis | |
ausländische Konten versorgt hatten. Im Oktober 2011 erging das Urteil: | |
viereinhalb Jahre Haft. Am 21. Juni 2014 kam Bjaljazki vorzeitig auf freien | |
Fuß. | |
Seit das Abkommen in Kraft getreten ist, hagelt es Kritik – nicht nur aus | |
dem Ausland, sondern auch vonseiten der georgischen Opposition. Die Partei | |
Droa zeigte sich entsetzt, die Gruppierung „Europäisches Georgien“ | |
bezeichnet den Deal als „schändlich“. | |
## Menschenrechte als Ermessenssache | |
Von offizieller georgischer Seite meldete sich unlängst nur der | |
Geheimdienst SSSG zu Wort und sprach von einer Kampagne, mit der er | |
diskreditiert werden solle. Und überhaupt: Ähnliche Abkommen gebe es | |
bereits mit den USA, Großbritannien sowie einigen EU-Staaten. Georgien sei | |
dadurch nicht gezwungen, seinen „staatlichen Interessen“ zuwider zu | |
handeln. | |
Damit ist offensichtlich auch der Artikel 5.6 gemeint. Darin heißt es: Die | |
Vertragsparteien könnten sich weigern, Forderungen der anderen Seite | |
nachzukommen, die im Widerspruch zu Menschenrechten, der nationalen | |
Gesetzgebung oder internationalen Verpflichtungen stünden. | |
In einem Statement von Amnesty International vom 20. August heißt es, dass | |
diese vagen Formulierungen den Schutz der Menschenrechte zu einer | |
Ermessenssache der Geheimdienste von Belarus und Georgien mache. Das | |
Abkommen könnte ein weiteres Instrument werden, um | |
Lukaschenko-Kritiker*innen im Ausland unter Druck zu setzen. | |
Auch eine belarussische Journalistin, die seit über einem Monat in Georgien | |
ist und anonym bleiben möchte, hat Angst: „Wir machen uns keine Illusionen. | |
Georgien versucht eine Art von Neutralität aufrechtzuerhalten. Sollte unser | |
illegitimer Präsident jedoch Unterstützung brauchen, wird er sie von | |
Georgien auch bei einer Auslieferung bekommen“, sagte sie der taz. | |
Wahrscheinlich hat sie, wie viele andere auch, noch [2][das Schicksal des | |
aserbaidschanischen Investigativjournalisten Afghan Muktarli] in lebhafter | |
Erinnerung. Der war am 29. Mai 2017 am helllichten Tag im Zentrum von | |
Tiflis gekidnappt und an die georgisch-aserbaidschanische Grenze gebracht | |
worden. Wegen illegalen Grenzübertritts und angeblichen Schmuggels von | |
10.000 Euro wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt. Knapp drei Jahre | |
davon saß er ab. | |
30 Aug 2021 | |
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[1] /Ein-Jahr-nach-Wahl-in-Belarus/!5788183 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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