# taz.de -- Afghanistan nach dem Machtwechsel: Die Charmeoffensive | |
> Bei der ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme haben sich die | |
> Taliban versöhnlich gegeben. Vor allem Frauen haben Zweifel an den | |
> Versprechen. | |
Bild: Sabihullah Mudschahid ist seit Jahren der wichtigste Sprecher der Taliban… | |
BERLIN taz | Eine versöhnliche Generalamnestie, einen inklusiven starken | |
Staat nach islamischen Gesetzen, volle Rechte für Frauen im Rahmen der | |
Scharia, Freiheit für unparteiische und private Medien, ein Verbot des | |
Drogenanbaus und gute Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft: All | |
dies [1][haben die afghanischen Taliban] am Dienstagabend bei ihrer ersten | |
Pressekonferenz in Kabul nach ihrer dortigen Machtübernahme versprochen. | |
Bei dem rund einstündigen Auftritt am Dienstagabend vor | |
Journalist*innen in Kabul gab sich Talibansprecher Sabihullah | |
Mudschahid auffällig konziliant, vermied jeglichen Triumphalismus über den | |
miliärischen Sieg und bot den alten Feinden die Freundschaft der | |
Gotteskrieger an: „Wir wollen weder im Aus- noch im Inland Feinde haben“, | |
sagte er. Er versprach, es werde keine Racheakte an denjenigen geben, die | |
der bisherigen Regierung oder ausländischen Mächten gedient hätten. | |
Den Taliban sei demnach auch die Sicherheit der ausländischen Botschaften | |
in Kabul ein wichtiges Anliegen. Dabei sei es jetzt schon sicherer in der | |
Hauptstadt als noch eine Woche zuvor, so Mudschahid. Die Taliban seien | |
gegen Chaos und würden sich wünschen, dass Landsleute nicht ins Ausland | |
fliehen. „Wir tun niemandem etwas an“, beteuerte der mit einem schwarzen | |
Turban bekleidete Sprecher. | |
Wiederholt sprach er selbst die künftige Situation von Frauen an, wurde | |
aber auch von ungläubigen Journalist*innen immer wieder danach gefragt. | |
Frauen hätten das Recht auf Bildung, Gesundheit und Arbeit, sagte | |
Mudschahid, um stets sogleich den relativierenden Halbsatz hinzuzufügen „im | |
Rahmen der Scharia“. | |
## „Musliminnen sollten froh sein, unter der Scharia zu leben“ | |
Das „islamische Gesetz“ ist bekanntlich Auslegungssache und bereits in | |
Afghanistans bisheriger Verfassung ein wichtiger und zum Teil | |
widersprüchlich formulierter Bezugsrahmen. Doch wie die Taliban die Scharia | |
jetzt im Hinblick auf Frauen definieren, sagte Mudschahid nicht. | |
Wegen ihrer früheren islamistischen Praxis stoßen die Taliban, die Frauen | |
unter die Burka und ins Haus zwangen und ihnen Bildung verwehrten, bei | |
vielen auf Ablehnung und lösen Ängste aus. Die dürften jetzt auch durch die | |
vagen Äußerungen nicht ausgeräumt sein. Denn Mudschahid sagte auch, | |
Musliminnen sollten doch froh sein, unter der Scharia leben zu können. | |
Er kündigte für die nächsten Tage die Bildung einer neuen Regierung an, | |
deren genauer Form er nicht vorgreifen wolle. Doch werde die Regierung | |
sicherstellen, dass Afghanistan nicht mehr benützt würde, um andere Länder | |
anzugreifen. Die Taliban seien reifer als vor zwanzig Jahren, so Mudschahid | |
selbstkritisch. | |
Kurz zuvor war mit Mullah Abdul Ghani Baradar der bisherige Leiter des | |
internationalen Büros der Taliban in Doha nach Kandahar geflogen. Es wird | |
damit gerechnet, dass der Vizechef der Taliban, der zugleich als ihr | |
politischer Kopf gilt, in der neuen Regierung eine zentrale Rolle einnimmt. | |
## Bemühen um internationale Anerkennung | |
Deutlich wurde bei Mudschahids Auftritt das Bemühen der Taliban, | |
international anerkannt zu werden. Das dürfte zu den gemäßigten Tönen | |
beigetragen haben. Beim künftigen Verbot des Drogenanbaus machte Mudschahid | |
denn auch zugleich deutlich, dass zum Umstieg auf alternative Anbauprodukte | |
ausländische Hilfen nötig seien. | |
Die ersten Reaktionen auf die Rede waren bei den Regierungen etwa von Katar | |
und Pakistan denn auch positiv. Nach Angaben eines pakistanischen Ministers | |
erwäge Islamabad die baldige Anerkennung der Machtübernahme der Taliban in | |
Kabul. Die von 1996 bis 2001 amtierende letzte Taliban-Regierung war nur | |
von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten | |
anerkannt worden. | |
Jetzt sind die Taliban immerhin schon zum Verhandlungspartner mehrerer | |
Regierungen wie der deutschen geworden, die sich in diesen Tagen um die | |
Ausreise ihrer Landsleute und ihrer Ortskräfte vom [2][Flughafen Kabul] aus | |
bemühen. | |
Mudschahid ist seit Jahren der wichtigste Sprecher der Taliban. Deshalb ist | |
sein Name auch den meisten Afghanen geläufig. Doch hatten sie ihn bis dahin | |
noch nie live gesehen, weil er im Untergrund lebte. Jetzt hielt er die | |
Pressekonferenz ausgerechnet genau in dem Briefing-Raum der gestürzten | |
Regierung ab, den auch der vor knapp zwei Wochen von den Taliban ermordete | |
bisherige Regierungssprecher zu nutzen pflegte. | |
## Versöhnliche Geste gegenüber den Hasara | |
Angesprochen auf die vielen Terroropfer der Taliban und den ermordeten | |
Sprecher erklärte Mudschahid, es sei Krieg gewesen. Auch die Taliban hätten | |
hohe Verluste gehabt. | |
Die Zweifel insbesondere von Frauen an den Versprechen der Taliban sind | |
berechtigt, schließlich sind sie eine durch Gewalt und Terror an die Macht | |
gekommene autoritäre Bewegung. Die Taliban lehnen Wahlen explizit ab. Und | |
vereinzelt gibt es auch bereits erste noch unbestätigte Berichte über neue | |
Taliban-Gräuel und über einzelne Racheakte. | |
Andererseits scheinen einige Taliban jetzt mit symbolischen Gesten zeigen | |
zu wollen, dass sie dazugelernt haben. So besuchten inzwischen mehrere | |
Taliban-Funktionäre im Kabuler Stadtteil Dasht-e-Barchi eine dortige | |
Gemeinde ethnischer Hasara, um mit ihnen ein religiöses Fest zu feiern. Die | |
schiitischen Hasara wurden früher von den Taliban unterdrückt und zum Teil | |
massakriert. | |
In Dasht-e-Barchi waren im Mai 2020 bei einem Angriff eines bewaffneten | |
Kommandos auf die Geburtsklinik des dortigen Krankenhauses mehr als 20 | |
Personen getötet worden. Schon damals hatten sich die Taliban von dem | |
barbarischen Anschlag auf Frauen, zu dem sich niemand bekannt hatte und der | |
wahlweise ihnen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) zugeschrieben | |
wurde, distanziert. Der jetzige Besuch unterstreicht also mit einer | |
versöhnlichen Geste Mudschahids hehre Versprechen und soll die Hasara | |
offenbar beruhigen. | |
18 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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