Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Machtübernahme in Afghanistan: Politik der Gerüchte
> Laut Berichten gibt es in einzelnen afghanischen Provinzen Proteste gegen
> die Taliban. Im Pandschir-Tal soll sich Anti-Taliban-Miliz formieren.
Bild: Bewaffnete Taliban patrouillieren durch Kabul
In den ostafghanischen Provinzhauptstädten Dschalalabad (Provinz
Nangarhar), Asadabad (Kunar) und Khost (in der gleichnamigen Provinz) hat
es am Mittwoch erste Demonstrationen gegen die Machtübernahme der Taliban
gegeben. Dabei rissen junge Demonstranten weiße Fahnen der Taliban ab und
zogen stattdessen mit den gestreiften schwarz-rot-grünen Nationalflaggen
durch die Straßen, wie bei Twitter kursierende Bilder zeigten. Quellen der
taz bestätigten die Ereignisse. Taliban-Milizen setzten demnach an allen
drei Orten Schusswaffen ein. Zwei Menschen starben dabei in Dschalalabad,
wie der Sender [1][Al-Jazeera] berichtete. Mindestens zwölf Personen aus
der mehrere hundert Demonstranten zählenden Menge wurden verletzt.
Proteste gegen die Taliban gab es auch im zentralafghanischen Bamiyan. Dort
hatten die Gotteskrieger zuvor eine Statue des 1996 getöteten
Mudschaheddin-Führers Abdul Ali Hasara der dortigen schiitischen
Hasara-Minderheit gesprengt.
Bisher nicht bestätigt sind Berichte aus dem Pandschir-Tal nördlich von
Kabul, nach denen eine Anti-Taliban-Miliz die Kleinstadt Charikar,
Hauptstadt der Provinz Parwan, angegriffen und eingenommen hat. Pandschir
ist eine traditionelle Hochburg von Gegnern der Taliban und konnte von
Letzteren nie erobert worden.
Am Montag hatte der bisherige Vizepräsident des Landes Amrullah Saleh
erklärt, dass er entgegen anderslautenden Gerüchten nicht das Land
verlassen habe, sondern als Übergangspräsident rechtmäßig im Amt sei und
zum bewaffneten Widerstand gegen die Taliban aufrufe. Saleh, Ex-Chef des
Geheimdienstes und späterer Innenminister, hat den Ruf eines Folterers und
stammt selbst aus Pandschir. Dort soll er sich nun mit dem Sohn des von den
Taliban 2001 ermordeten Nationalhelden Ahmad Schah Masud verbündet haben.
Angeblich hätten sie eine Miliz von 10.000 Mann aufgestellt.
## Vorwand für eine repressive Politik
Ob die Berichte eher Wunschdenken sind oder nicht, ist momentan nicht klar.
So wird Politik in Afghanistan immer wieder mit Gerüchten gemacht. Das
wurde am Mittwoch auch in Kabul deutlich, wo weiterhin mehrere hundert
Menschen den Flughafen belagerten und darauf hofften, mit einem der
internationalen Evakuierungsflüge vor den Taliban fliehen zu können.
Mobilisiert wurden die Menschen durch Gerüchte, wonach alle, die es auf den
Flughafen schaffen, evakuiert werden.
Am Mittwoch gab es nach Angaben der Agentur Reuters, die sich auf einen
ungenannten Taliban-Vertreter berief, ein Treffen von Vertretern der
Islamisten mit dem Ex-Präsidenten Hamid Karsai und dem bisherigen
Vorsitzenden des Hohen Rates für nationale Versöhnung, Abdullah Abdullah.
Der Rat sollte ursprünglich Verhandlungen mit den Taliban führen, über
Inhalte des Treffens ist nichts bekannt.
Karsai, Abdullah und der frühere islamistische Warlord Gulbuddin Hekmatyar
hatten direkt vor dem Sturz der Regierung durch die Gotteskrieger noch
versucht, einen Übergangsrat zu gründen. Der sollte für eine geordnete
Machtübergabe sorgen und das jetzige Chaos verhindern. Zugleich wurde
vermutet, dass die Politiker sich damit auch ihr eigenes politisches oder
gar physisches Überleben sichern wollten. Ob die Taliban wirklich bereit
sind, auch Politiker früherer Regierungen mit hohen Posten zu betrauen, ist
offen. Ebenso, wie sie auf die entstehenden Proteste reagieren. Die könnten
schnell als Vorwand für eine repressive Politik genutzt werden.
Dabei könnten die Taliban wohl von einem Schatz an biometrischen Daten wie
Fingerabdrücken oder Iris-Scans profitieren, den die vorherige Regierung
zurückgelassen hat, warnte die Organisation Human Rights First. Die
Behörden hatten solche Daten für Personalausweise oder die Registrierung zu
Wahlen gesammelt.
Derweil hat sich in Kabul das Leben zum Großteil normalisiert. Es sind aber
weniger Frauen auf den Straßen. Vor Banken bildeten sich Schlangen von
Menschen, die Geld abheben wollten. Der ins Ausland geflohene
Zentralbankchef erklärte, die Taliban dürften kaum an die staatlichen
Reserven von 9 Milliarden Dollar herankommen. Die seien in New York
deponiert. Er erwartet deshalb bald eine Abwertung des Afghani und
steigende Preise.
18 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.aljazeera.com/news/2021/8/18/at-least-two-killed-by-shots-fired…
## AUTOREN
Sven Hansen
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Taliban
Demonstrationen
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Protest
Schwerpunkt Afghanistan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Afghanische Community in Berlin: Afghanistan, mon amour
Unser Autor ist als Kind aus Afghanistan geflüchtet. Neben der Sorge um
Angehörige treibt die afghanischstämmige Community die Sorge um das Land
um.
Frauenrechte in Afghanistan: Eine Katastrophe
Die Taliban werden die schwer erkämpften Rechte der Frauen in kürzester
Zeit zunichte machen. Sie zahlen den höchsten Preis für den überstürzten
Abzug.
EU nach Abzug aus Afghanistan: Hilflosigkeit und Angst
Groß ist die Sorge in der EU vor neuen Flüchtlingen aus Afghanistan.
Brüssel signalisiert frühzeitig eine Kooperation mit Ankara, Islamabad und
Teheran.
Afghanistan-Demo in Berlin: „Holt sie raus“
Mehr als 2.000 Menschen fordern vor dem Bundestag eine Luftbrücke für
Menschen in Afghanistan: Nicht nur für Ortskräfte, sondern für alle
Gefährdeten.
Afghanistan nach dem Machtwechsel: Die Charmeoffensive
Bei der ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme haben sich die
Taliban versöhnlich gegeben. Vor allem Frauen haben Zweifel an den
Versprechen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.