# taz.de -- Tiere essen: Eine Ethik für alle Lebewesen | |
> Menschen haben moralische Verpflichtungen Tieren gegenüber. Das ist die | |
> These der Philosophin Christine M. Korsgaard in „Tier wie wir“. | |
Bild: Was ist eine für Menschen als rationale Wesen angemessene Art des Umgang… | |
Die Frage ist nicht erst mit dem Klimawandel aktuell geworden. Ob es in | |
Ordnung ist, [1][Tiere zu essen], fragen sich Menschen, seit sie sich | |
Gedanken über ihre Nahrung machen. Neben ökologischen Aspekten ist das Leid | |
der Tiere einer der am häufigsten genannten Gründe, wenn Argumente | |
vorgebracht werden, warum man andere Spezies nicht auf den Speiseplan | |
setzen sollte. Die Vertreter solcher Positionen machen sich in der Regel zu | |
Anwälten der zu Schützenden, da diese selbst nicht am Diskurs teilnehmen | |
können. | |
Warum aber ist es nicht legitim, als Mensch andere Tiere leiden zu lassen? | |
Die Frage ist keinesfalls banal, da sie höchst unterschiedlich beantwortet | |
wurde. Der Philosoph Immanuel Kant etwa betrachtete die „vernunftlosen | |
Thiere“ als „Sachen“, „mit denen man nach Belieben schalten und walten | |
kann“. | |
Für die US-amerikanische Philosophin Christine M. Korsgaard, die sich als | |
Ethikerin und Kant-Interpretin einen Namen gemacht hat, Anlass genug, in | |
ihrem Buch „Tiere wie wir“ den älteren Kollegen an seinen eigenen ethischen | |
Maßstäben zu messen. Der, wie sie ausführt, anders als das Zitat | |
suggeriert, durchaus Grenzen für den Umgang mit Tieren gezogen hat, | |
Nutztierhaltung aber für berechtigt hielt. | |
Für Korsgaard gilt als Grundannahme ihrer Ethik: „Wir teilen die Welt mit | |
Mitgeschöpfen.“ Dabei wählt sie einen maßgeblich von Kant inspirierten | |
rationalistischen Standpunkt für ihre Untersuchung der Frage, „warum wir | |
moralische Pflichten gegenüber Tieren haben“. Diese Pflichten ergeben sich | |
für sie aus unserer Rationalität selbst. | |
Ihr verdanken Menschen etwa „die Fähigkeit zu der Einsicht, dass die Welt | |
und ihre anderen Bewohner nicht in Beziehung auf uns und unsere Bedürfnisse | |
und Interessen existieren“. Was für sie als Konsequenz heißt: „Wenn also | |
die Art, wie wir mit anderen Tieren umgehen, in der Ansicht gründet, dass | |
sie nicht unabhängig von unseren menschlichen Bedürfnissen existieren, wenn | |
wir so handeln, als wären die Tiere zu unserem Gebrauch in der Welt, dann | |
hat unsere Rationalität an beiden Fronten versagt, und mit ihr unsere | |
Humanität.“ | |
Korsgaard kehrt in ihrer Tierethik so, zum Teil zumindest, die Perspektive | |
um. Sie beginnt nicht bei der Frage, was für Tiere am besten und vertretbar | |
ist, sondern was eine für Menschen als rationale Wesen angemessene Art des | |
Umgangs mit Tieren ist. Zugespitzt könnte man sagen, dass Menschen eben das | |
Pech haben, dass sie nicht einfach wie Raubtiere ihrem Instinkt folgen | |
können, sondern über ihre Handlungen nachdenken müssen, Essen | |
eingeschlossen. | |
Wenn die restliche Welt dadurch, dass sie unabhängig von Menschen | |
existiert, nicht oder nicht so ohne Weiteres zu unserem Gebrauch da ist, | |
warum darf man dann Pflanzen nutzen, Tiere aber nicht? Für diesen Punkt | |
bringt Korsgaard den Begriff des „höchsten Guts“ ins Spiel. Menschen wie | |
Tiere streben nach dem, was für sie, vereinfacht gesagt, gut ist, da für | |
das Tier „zu bekommen, was gut, und zu vermeiden, was schlecht für es ist, | |
Ziel und Zweck seines Handelns ist“. | |
Tiere sind für sie damit wie Menschen, „Zwecke an sich“, wie Kant sie | |
bestimmt: Wesen mit eigenem Wert, die man nicht als bloße Mittel | |
instrumentalisieren darf. Eventuellen Vorwürfen, das sei eine | |
anthropozentrische Projektion, kommt Korsgaard zuvor mit einem an | |
Aristoteles angelehnten Gedanken: „Es gehört zum Funktionieren eines | |
Tieres, sein eigenes Wohlfunktionieren und mit ihm das, was gut für es ist, | |
zum Ziel seines Handelns, zu etwas Erstrebenswertem, zu einem letzten oder | |
höchsten Gut zu machen.“ | |
Pflanzen hingegen hätten dieses höchste Gut nicht und wir folglich keine | |
moralischen Pflichten ihnen gegenüber. Wobei sie einräumt, dass der Status | |
von Pflanzen in moralischer Hinsicht schwierig zu bestimmen ist – eine der | |
Stellen im Buch, an denen sie aus arbeitsökonomischen Gründen den Gedanken | |
nicht vertieft. | |
## Langfristige Zukunft der Art sichern | |
Korsgaard ist in ihrem Anspruch, eine Ethik zu begründen, die allen Tieren | |
gerecht wird, keinesfalls zimperlich. Sie erörtert sogar die Frage „Sollten | |
Menschen aussterben?“, weil Menschen schließlich für das Leid und | |
Aussterben sehr vieler anderer Tiere verantwortlich seien. Mit Marx und | |
Kant kommt sie zum Ergebnis, wir Menschen seien „die einzigen Tiere, die | |
sich selbst als Angehörige einer Gattung begreifen“ (Marx). Und als diese | |
hätten wir auch ein „Recht uns zu bemühen, die langfristige Zukunft unserer | |
Art zu sichern“. | |
Im Anschluss an Kant beurteilt sie dieses Recht aber als eines, das wir | |
„verwirken“ können, wenn wir nicht aufhören, Tiere zu misshandeln. Eine | |
ziemlich rigorose Folgerung aus ihrer These, dass wir die Welt mit | |
Mitgeschöpfen teilen. | |
Neben den abstrakteren Überlegungen stehen bei Korsgaard ganz konkrete | |
Fragen wie die nach der Nutztierhaltung. Während sie verschiedene Argumente | |
gegen industrielle Massentierhaltung vorbringt, erscheint ihr theoretisch | |
möglich, Milchprodukte und Eier human zu produzieren. Wobei ihr für ein | |
Urteil „harte Fakten“ darüber fehlen, was für Tiere in dieser Hinsicht gut | |
ist. | |
Korsgaard zeigt ein umfassendes Problembewusstsein und ist bei aller | |
Vernunftliebe nicht bis ins Äußerste verbohrt. Keinesfalls will sie ihre | |
Artgenossen verpflichten, für alle Tiere Verantwortung zu übernehmen, | |
sondern bloß für die, mit denen man interagiert. Wie sie selbst vermutlich: | |
Am Ende des Buchs bekennt sie, dass sie seit einigen Jahren mit fünf Katzen | |
zusammenlebt, die von ihr das Fleisch bekommen, das sie selbst nicht mehr | |
essen will. | |
7 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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