| # taz.de -- Unterwegs mit Tierschutz-Aktivist:innen: Gerettet! | |
| > Die Aktivist:innen vom Verein „Rettet das Huhn“ bewahren Legehennen | |
| > vor dem Schlachthof, indem sie sie an neue Besitzer:innen vermitteln. | |
| Bild: Einsatz am frühen Morgen: Ein Huhn auf dem Weg in die Freiheit | |
| Hamburg taz | Am Sonntagmittag stehen etwa zwanzig Menschen auf dem | |
| Parkplatz des Tierheims an der Hamburger Süderstraße und warten auf ihre | |
| neuen Haustiere. Sie alle adoptieren ausgediente Legehennen und retten sie | |
| damit vor dem Tod. Aus einem großen Anhänger reichen Aktivist:innen des | |
| Vereins [1][„Rettet das Huhn“] die gackernden Hennen ihren neuen Besitzern. | |
| Die Tiere sind gezeichnet von ihrem vorigen Leben als Legehennen. Viele von | |
| ihnen haben keine Federn am Hals oder sind vollkommen verdreckt: Spuren von | |
| Kannibalismus und des Lebens mit 800 Artgenossen auf engstem Raum – eine | |
| Haltungsform, die der natürlichen Lebensart von Hühnern vollkommen | |
| widerspricht. | |
| Jetzt werden sie in ein neues Leben entlassen; in kleine Gruppen, in denen | |
| sie Rangfolgen bilden können und dadurch stressfreier sind; in große | |
| Hühnerställe und Gärten, in denen sie in der Erde scharren können und die | |
| Sonne sehen. Vor allem sind ihre neuen Besitzer Menschen, die sie nicht | |
| ausbeuten, sondern als Haustiere halten. | |
| Zwölf Stunden zuvor beladen Knud Bartels und Laura Pingel den Anhänger von | |
| „Rettet das Huhn“. Der Verein versucht, so viele Hühner wie möglich vor d… | |
| Schlachtung zu retten. Heute geht es zu einem Freilandhof in Niedersachsen. | |
| Treffen dort ist um vier Uhr morgens, um ein Uhr nachts geht es in Hamburg | |
| los. Laura ist 28 und Sozialpädagogin. Der 52-jährige Knud arbeitet in | |
| einer Tierarztpraxis. Bei Knud und seiner Frau Dani leben gerade sieben | |
| Hühner, die noch nicht vermittelt werden können, weil sie zu krank sind. | |
| Die beiden pflegen sie jeden Tag. | |
| ## Nach einem Jahr Eierlegen ist Schluss | |
| Geschlafen haben Knud, Dani und Laura kaum. Alle paar Monate helfen sie bei | |
| einer Ausstallung. Heute wollen sie 800 Hühner vor der Schlachtung retten. | |
| Nach 15 Monaten Eierlegen sind sie für die Lebensmittelindustrie nicht mehr | |
| lukrativ. Durch die ständige Belastung in der Massentierhaltung werden sie | |
| oft krank und legen nicht mehr schnell genug Eier. Deshalb bringen die | |
| Betriebe etwa einmal im Jahr alle Hühner zum Schlachthof und füllen ihren | |
| Stall mit neuen Legehennen. Das passiert bei allen Haltungsformen, auch bei | |
| Biohöfen. „Rettet das Huhn“ übernimmt die Ausstallung für die Bauern und | |
| vermittelt die Hühner weiter, um sie vor der Schlachtung zu retten. | |
| „Das übergeordnete Ziel von ‚Rettet das Huhn‘ ist ein Ende der | |
| Massentierhaltung, aber bis dahin versuchen wir alles, um den Hühnern zu | |
| helfen“, sagt Knud. Sehr optimistisch, ihr Ziel bald zu erreichen, sind die | |
| drei aber nicht. Den Stall in Niedersachsen fährt der Verein seit 2013 an. | |
| Der Bauer gebe sich Mühe, seine Tiere gut zu behandeln. Die Situation in | |
| anderen Ställen sei deutlich dramatischer. Allein dieses Jahr hätten sie | |
| schon 130.000 Euro an Tierarztrechnungen bezahlt. Finanziert wird das durch | |
| Spenden. | |
| Um halb vier kommt die Hamburger Gruppe am Stall an. Nach und nach tauchen | |
| auch andere Aktivist:innen auf. Alle haben vorher eine Aufgabe | |
| zugeteilt bekommen. Laura und Dani sind dafür verantwortlich die Tiere, die | |
| aus dem Stall kommen, zu untersuchen und in Transportboxen zu packen. Knud | |
| verteilt die Boxen dann auf die verschiedenen Autos und Anhänger. Schon | |
| Tage zuvor wurde festgelegt, welches Team wie viele Hühner mitnehmen wird. | |
| Es ist noch dunkel, als die ersten Aktivist:innen mit Schutzanzügen den | |
| Stall betreten. Um die Tiere nicht aufzuschrecken, sind ihre Stirnlampen | |
| abgedunkelt. Trotzdem kreischen die Hühner, als sie aus dem Schlaf gerissen | |
| werden. | |
| Im Stall riecht es nach Tier. Sich hier länger ohne Maske aufzuhalten, ist | |
| anstrengend. 800 Hühner auf engstem Raum sorgen für verbrauchte Luft. Bauer | |
| Udo drückt den Aktivist:innen immer zwei Hühner auf einmal in die Hand. | |
| Die tragen sie vor den Stall und geben sie weiter an Laura und die anderen | |
| in ihrem Team. | |
| ## Verletzte Hühner kommen zu einer Tierärztin | |
| Bevor Laura die Hühner in Transportboxen setzt, untersucht sie jede Henne. | |
| Dabei fühlt sie, ob der Bauch weich ist. „Manchmal fühlt man da harte | |
| Stellen, dann müssen die Hühner weiter untersucht werden“, sagt sie. | |
| Außerdem sucht sie bei jedem Huhn nach Verletzungen im Gesicht und | |
| überprüft die Krallen. Am Ende wird noch das Hinterteil jedes Huhns | |
| angeschaut. | |
| Viele Hühner haben Verletzungen. Wenn Laura das bemerkt, ruft sie „Pflegi“. | |
| Dann holt eine andere Aktivistin das verletzte Huhn ab und bringt es zu | |
| einer Tierärztin. Auf einem provisorischen Behandlungstisch untersucht sie | |
| die Hühner genauer. Einige von ihnen können nicht laufen, andere können | |
| noch nicht mal sitzen, ohne zur Seite umzufallen. | |
| ## Sozial und intelligent | |
| Das Verhältnis zwischen dem Bauern Udo und den Aktivist:innen ist gut. | |
| „Ich konnte das früher kaum mit anschauen, wenn die ganzen Hühner zum | |
| Schlachthof gefahren wurden“, sagt Udo. Er sei dem Verein dankbar. Aber | |
| auch er müsse irgendwie kostendeckend arbeiten. Dass er seine Hühner | |
| vergleichsweise gut behandeln kann, liegt auch daran, dass er die Eier an | |
| Direktabnehmer:innen verkauft. Pro Ei bekommt er dadurch 23 Cent. | |
| Wenn er an Großabnehmer wie Supermärkte verkaufen würde, wären es sechs bis | |
| acht Cent, schätzt Udo. | |
| Bei Sonnenaufgang ist die Ausstallung beendet und die letzten Hühner sind | |
| für ihre Reise in ein neues Leben verpackt. Vor dem Stall organisieren die | |
| Helfer:innen noch letzte Transporte und kümmern sich darum, wer die | |
| kranken Hühner pflegen wird, bis auch sie vermittelt werden können. | |
| Mit Huhn auf dem Schoß und einem vollen Anhänger geht es dann zurück nach | |
| Hamburg. Hühner sind etwa 40 Grad warm. Es ist ein angenehmes Gefühl, wenn | |
| sie bei einem auf dem Schoß sitzen. Sie lassen sich streicheln und manchmal | |
| gurren sie auch ein wenig. Die Tiere sind sozial und relativ intelligent. | |
| Sie haben es verdient, artgerecht gehalten zu werden. | |
| 24 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.rettet-das-huhn.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Finn Walter | |
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