| # taz.de -- Philosoph zum Kampf gegen Klimawandel: „Wir haben ein Motivations… | |
| > Die Erde wird unbewohnbar, wenn wir weiter so konsumieren. Warum tun wir | |
| > es dennoch? Ein Gespräch mit dem Sozialphilosophen Arnd Pollmann. | |
| Bild: Kein Badespaß im kanadischen Sicamous Ende Juli vor den Rauchschwaden vo… | |
| taz: Herr Pollmann, wenn die Ergebnisse, die aus [1][den Verhandlungen in | |
| Glasgow] resultieren, nicht ausreichen – was absehbar ist – ist es dann an | |
| den Individuen, sich freiwillig einzuschränken? | |
| Arnd Pollmann: Überall wird jetzt Verzicht gepredigt. Aber das ist eher ein | |
| Anzeichen politischer Verzweiflung angesichts globaler Gestaltungsohnmacht. | |
| Natürlich gibt es eine individuelle Verantwortung. Aber man muss sich nur | |
| einmal den Wohlstandsmüll in den Straßen Berlins anschauen, den das | |
| progressive Partyvolk hinterlässt, das Tags zuvor noch bei der Klimademo | |
| gewesen sein könnte. Es wäre verrückt, allein auf die Vernunft zu setzen. | |
| Das hat ja bislang auch nicht gut funktioniert. | |
| Wenn man es global betrachtet, sieht man, wie abwegig die Idee ist: Wie | |
| soll man acht Milliarden Menschen zur Vernunft bringen? | |
| Aber es wird ja gehen müssen. Nur wie? | |
| Jedenfalls nicht mit einem auf das Individuum zielenden Moralismus, der | |
| kapitalistische Zerstörungsmechanismen ausblendet. Man muss sich den | |
| Verzicht leisten können. Mich wundert das Ausmaß ökoethischer Herablassung: | |
| Es ist leicht, aufs Tanken zu verzichten, wenn der Job in Fahrradnähe | |
| liegt. Andere Menschen brauchen das Auto, weil sie die Mieten in den | |
| Innenstädten nicht mehr bezahlen können. Andere können schon deshalb auf | |
| nichts verzichten, weil sie ohnehin nichts haben. Da wird der Verzicht zur | |
| zynischen Moralpredigt privilegierter Milieus. | |
| Viele fliegen wie bekloppt und fahren SUVs, als gäbe es kein Morgen. Warum | |
| handeln wir so gegen jede Vernunft? | |
| Das Phänomen der Unvernunft diskutiert die Philosophie seit 2.500 Jahren | |
| unter dem Stichwort „Willensschwäche“. Oft weiß der Mensch ganz genau, was | |
| zu tun gut wäre, aber er tut es trotzdem nicht. Wie ist das möglich? | |
| Sokrates hat damals diese Diskussion vom Zaun gebrochen mit der These, dass | |
| es dieses Phänomen gar nicht gebe. Er war der Meinung, dass ein Mensch, der | |
| nicht das Gute tue, schlicht zu wenig Informationen habe. | |
| Das kann heutzutage nur behaupten, wer die Augen vor der Welt verschließt. | |
| Ja, es geht an unseren alltäglichen Erfahrungen vorbei. Vermutlich ist es | |
| eher so, dass wir die mal schützende, mal eher fatale Fähigkeit haben, | |
| Wissen nicht an uns heran zu lassen. Dann übertrumpft der zeitlich nahe | |
| Spaß die zeitlich weiter entfernte Unlust. | |
| Wenn der Klimawandel im Nachrichtenmainstream oder in Lehrplänen mehr Platz | |
| bekäme, würde das also nicht zu mehr Bereitschaft zum Verzicht führen? | |
| Wie viel sollen wir denn noch wissen? Faktenwissen wird überschätzt. Auch | |
| der Ruf [2][„Listen to the science!“] führt deshalb ins Leere. Wir haben | |
| kein Wissens-, sondern ein Motivationsproblem: Man muss das verfügbare | |
| Wissen umsetzen wollen. Auch in der Politik. | |
| Dann brauchen wir doch Verbote. | |
| Ich fürchte, es geht nicht ohne schmerzhafte Erfahrungen und emotionalen | |
| Druck. Die einen lernen durch Scham. Denken sie an die Eltern oder | |
| Großeltern der FFF-Generation; ihnen ist ihr bisheriges Leben zunehmend | |
| peinlich. | |
| Aber Scham scheint mir kein gutes Instrument, es führt meistens eher dazu, | |
| dass man Dinge heimlich oder schuldbewusst tut. | |
| In Japan habe ich einmal auf einem Bahnsteig einen Mülleimer gesucht. Es | |
| gab keinen. Trotzdem lag nicht der geringste Müll herum. Herrlich. | |
| Trotzdem. Geht es nicht auch anders? | |
| Wenn einem das Haus wegschwimmt oder das Grundstück brennt, auch dann denkt | |
| man um. Es muss so schlimm nicht kommen, aber viele Menschen werden nur aus | |
| Erfahrung klug. Natürlich sind Menschen vernunftfähig, aber sie sind leider | |
| auch faul und bequem. Der Verzicht auf Dinge, die mir wichtig sind, macht | |
| einfach keinen Spaß. | |
| Hat das nicht auch mit Verdrängung aus Angst zu tun? Die Folgen des | |
| Klimawandels in einigen Jahrzehnten mag man sich ungern bildlich | |
| vorstellen. | |
| Unliebsame Wahrheiten, die uns zwingen würden, unser Leben zu ändern, | |
| werden gern verdrängt. Was aber die Angst angeht, habe ich derzeit eine | |
| andere Sorge. In der Coronakrise hat sich gezeigt, dass Angst leider ein | |
| Treibstoff für Vieles ist: für Verschwörungstheorien, Spaltung, Hass im | |
| Netz, aber auch für zerstörte Freundschaften, Einsamkeit und depressiven | |
| Rückzug. Besonders beunruhigend ist auch die Bereitschaft zu einer Art | |
| Grundrechtsdiät. | |
| Warum bringt uns die Angst nicht dazu, solidarisch zusammenzurücken? | |
| Bei manchen führt sie tatsächlich zu einem Rückzugsverhalten, das wie | |
| Solidarität aussieht. Als Sozialphilosoph bin ich überrascht über das | |
| ungeheure Ausmaß an Gehorsam. Die einen mögen das Vernunft nennen. Aber ich | |
| sehe da auch enorm viel Angst. Von Beginn der Krise an war das meine größte | |
| Sorge: Wenn wir erst einmal gelernt haben, nicht nur auf Konsum, sondern | |
| auch auf Grundrechte zu verzichten, wird dieser Lernerfolg in der nächsten | |
| Krise reproduzierbar sein. | |
| Hat Verzicht nicht auch etwas Erfüllendes? | |
| Schön wär’s. Es gibt ja in vielen Kulturen diese Weisheitslehren des | |
| beglückenden Verzichts. Da wird die Askese als Befreiung gefeiert. Aber | |
| diese Lehren überzeugen mich selten. Oft reden sie einem bloß die Armut | |
| schön. Man muss hier übrigens unterscheiden. Manchmal verzichtet man, um | |
| anderen einen Gefallen zu tun. Das macht selten glücklich, aber man tut es | |
| aus Rücksicht oder Pflichtgefühl. Dann wieder verzichtet man um seiner | |
| selbst willen. | |
| Vegetarier*innen oder Veganer*innen sind nicht unglücklicher als | |
| Fleischesser*innen. | |
| So ein Verzicht kann, muss aber nicht glücklich machen. Hier ein Beispiel, | |
| das sich so ähnlich beim Philosophen Ludwig Marcuse findet: Sie sind zu | |
| einem Abendessen mit klugen Leuten eingeladen. Es gibt tollen Wein! Ein | |
| Gast verzichtet, weil er Alkohol für sündhaft hält. Eine andere Person | |
| verzichtet, weil sie befürchtet, zu schnell zu betrunken oder müde für die | |
| Gespräche zu sein, die sie genießen möchte. Dieser zweite Verzicht kann | |
| glücklich machen, der erste eher nicht. Ich selbst bin da übrigens eher vom | |
| Typ „Kompromiss“. | |
| Aber beim Klima ist es für Kompromisse zu spät. | |
| Warum? Es wird auf Kompromisse hinauslaufen. Diese Pseudoradikalität bis | |
| hin zum Hungerstreik läuft auf eine quasi-religiöse Selbstauslöschung | |
| zugunsten der Natur hinaus. Mir ist das nicht sympathisch, weil es falsche | |
| Heilerwartungen weckt. Um es mit Attac und Loriot zu sagen: Eine Welt ohne | |
| Menschen ist möglich, aber sinnlos. Auch sollten wir das drohende Unglück | |
| der Zerstörung nicht zwanghaft in ein Glück der Selbstkasteiung umdeuten. | |
| Trotz der drohenden Katastrophe bleibt leider wahr: Glücklich macht doch | |
| eher der Genuss als der Verzicht. Und der Genuss ist tendenziell | |
| verschwenderisch, gesundheitlich riskant und auch nicht immer sozial | |
| vorbildlich. | |
| 31 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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