# taz.de -- Science-Fiction-Thriller „Stowaway“: Blinder Passagier | |
> In der US-deutschen Koproduktion „Stowaway“ läuft ein Flug zum Mars aus | |
> dem Ruder. Ein schönes Kammerspiel – doch das Ende enttäuscht. | |
Bild: Hier ist noch genug Sauerstoff: Szene aus „Stowaway“ | |
Der Start hat geklappt, auch das Ankoppeln an die Station, nur der Mann, | |
der Biologe David Kim (Daniel Dae Kim), musste sich beim Eintritt in die | |
künstliche Gravitation übergeben. Zwei Jahre Reise durchs All liegen vor | |
den drei Astronaut*innen, Zoe Levenson (Anna Kendrick) ist als Ärztin | |
dabei, Marina Barnett (Toni Collette) leitet das Team. | |
Sie fliegen, nach kurzem Halt in der Raumstation, Richtung Mars. Die Erde | |
strahlt blau durch das rückwärtige Fenster des Raumschiffs, das Kingfisher | |
heißt. Alles gut also, wie es scheint, die drei machen sich an die Arbeit, | |
da tropft Blut durch die Decke. Nach Aufschrauben der Verschalung kommt ein | |
ohnmächtiger Fremder zum Vorschein. | |
Ein blinder Passagier, ein Mechaniker, der aus Versehen in diese missliche | |
Lage geriet. Als er aufwacht und kapiert, wo er ist (innen eng, draußen | |
All), ist er verständlicherweise etwas schockiert. Zumal er seine heiß | |
geliebte Schwester Ava vom [1][Raumschiff] aus rührend umsorgt. In der | |
wirklichen Welt wäre so eine Geschichte, zugegeben, nicht sehr | |
wahrscheinlich. | |
## Stille im All | |
Aber wir sind im Kino, alle Signale stehen auf [2][Science-Fiction], Stille | |
des Alls, atmosphärischer Soundtrack von Hauschka, Raumanzug, | |
Astronaut*innennahrung, pipapo. Darum also aus des Raumschiffs Decke der | |
zusätzliche Mann, sein Name ist Michael Adams (Shamier Anderson). | |
Schnell zeigt sich: Armut an Optionen ist Reichtum an Problemen. Der blinde | |
Passagier fand sich an empfindlicher Stelle: Der CO2-Reiniger ist | |
durchgeschmort, nicht reparierbar, auch das irdische Kontrollzentrum, stets | |
als Hyperion adressiert, weiß keinen Rat. Wobei man, nice touch, zwar stets | |
die Fragen der Marina Barnett hört, die Antworten aber nicht, mit denen | |
bleibt sie so allein, wie sie sich zunehmend fühlt. Die Lage nämlich ist | |
diese: Wegen des kaputten Geräts wird der Sauerstoff nicht reichen. | |
Genauer gesagt: nicht für vier. Eine*r an Bord ist zu viel. Die drei | |
Mitglieder der offiziellen Besatzung rechnen, Hyperion rechnet, David Kim | |
unternimmt den verzweifelten Versuch, seine Algen zur Sauerstoffproduktion | |
unter den suboptimalen Bedingungen an Bord ein- und damit seine biologische | |
[3][Marsmission] aufs Spiel zu setzen. Das scheitert, es gibt weitere | |
Komplikationen. Es wird immer klarer: Einer muss gehen. Und eigentlich ist | |
klar, wer das ist. Der Mann aus der Decke hatte an Bord ja von Anfang an | |
nichts zu suchen. | |
## Suche nach Alternativen | |
Nur: Seine Schuld ist es eigentlich nicht. Er hat sich nützlich gemacht, wo | |
es ging, ist außerdem reizend, auch rührend um seine Schwester Ava auf | |
Erden besorgt. Dennoch scheint die Situation erst einmal alternativlos. Es | |
sind die besten Minuten des Films, in denen sich die drei etatmäßigen | |
Astronaut*innen in dem Gedanken einzurichten versuchen, dass sie den | |
gerade liebgewonnenen Ko-Passagier umbringen müssen. Sie gewähren sich den | |
mathematisch längstmöglichen Aufschub, vor allem Zoe, der Anna Kendrick | |
einiges an trotziger Entschlossenheit gibt, sucht nach Alternativen. | |
Und der Film sucht mit ihr. Bis dahin ist er ein Kammerspiel im | |
wörtlichsten Sinn. Entwirft eine Zwangsgemeinschaft, in der die Hölle nicht | |
die anderen, sondern die Umstände sind. Stellt sich das Trolley-Problem, | |
also die Frage, ob und wie Menschen in höchster Not über den Tod anderer | |
Menschen entscheiden können, ob es bei einer solchen Entscheidung eine | |
Rationalität geben kann, die sich mit dem Menschsein verträgt. | |
Leider ist das Drehbuch nicht bereit, die bittere Situation bis an ihr Ende | |
zu denken. Ein Fluchtweg steht offen, er führt ins All und zu | |
Action-Momenten. Dem Schluss fehlt es nicht an Pathos, nur geht es ins | |
Leere. Der Film hat es sich, die eigentliche Tragik ängstlich vermeidend, | |
gar nicht verdient. | |
19 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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