# taz.de -- Ehrung mit der Goethe-Medaille: Kameruns Identität ergründen | |
> Marilyn Douala Manga Bell setzt sich mit der kamerunisch-deutschen | |
> Geschichte auseinander. Nun erhält sie dafür die Goethe-Medaille. | |
Bild: Die Goethe-Medaille als Anerkennung: Prinzessin Marilyn Douala Manga Bell | |
Wenn in den 90er Jahren junge Kameruner*innen ihren Eltern mitteilten, | |
sie wollten Künstler werden, war das für die Erwachsenen eine | |
Schreckensnachricht. Noch vor dreißig Jahren habe es genau einen Künstler | |
in Kamerun gegeben, der sich mit zeitgenössischer Kunst befasste. Heute | |
hingegen seien es über hundert und die ältere Generation habe kaum noch | |
Vorbehalte, erzählt Marilyn Douala Manga Bell. | |
Bildende Kunst zählt mittlerweile auch in Kamerun zu den vielen probaten | |
Mitteln, Geld zu verdienen. Dass das so ist, daran hat Marilyn Douala Manga | |
Bell ihren Anteil. Bereits 1991 gründete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann | |
das Kunstzentrum doual’art in der Küstenstadt Douala. Seither setzt sie | |
sich in Kamerun für die Gegenwartskunst ein und wird dafür am 28. August | |
mit der [1][Goethe-Medaille des Goethe-Instituts] gewürdigt. | |
Der Weg, den die 1957 geborene Kamerunerin mit der Förderung junger | |
Künstler*innen, mit der Kuration von Ausstellungen und der Leitung einer | |
eigenen Galerie bis heute beschreitet, war keineswegs vorgezeichnet. In | |
Paris studierte sie Entwicklungsökonomie, war zunächst als | |
Entwicklungsexpertin tätig, arbeitete für die Weltbank und die Europäische | |
Kommission. | |
Dann lernte sie ihren späteren Ehemann kennen, den französischen | |
Kunsthistoriker Didier Schaub. „Als er seinen Job aufgab und ich meinen in | |
der Entwicklungszusammenarbeit, entschieden wir uns, gemeinsam zu arbeiten. | |
Wir wussten, dass wir etwas zusammen machen mussten, wenn wir in Kamerun | |
bleiben wollen“, spricht Douala Manga Bell heute von dieser Zeit. | |
## Dem Land verpflichtet | |
Und sie wollte bleiben, fühlte sich verpflichtet ihrem Land gegenüber. | |
Insbesondere, seitdem sie von der Geschichte ihrer Familie erfahren hatte. | |
Denn die königliche Bell-Familie ist von weitreichendem Einfluss auf die | |
Duala und damit auch auf die Geschichte Kameruns. | |
Ende des 19. Jahrhunderts traten die Duala an der Küste des | |
zentralafrikanischen Landes in Kontakt mit den europäischen | |
Kolonialmächten. 1884 unterzeichnete King Bell gemeinsam mit anderen | |
Führern der Duala den sogenannten Schutzvertrag mit dem deutschen | |
Kaiserreich – es war der Auftakt von Enteignung und Vertreibung. | |
Rudolf Duala Manga Bell, Enkel von King Bell und Urgroßvater von Princess | |
Marilyn Douala Manga Bell, setzte alle ihm zur Verfügung stehenden | |
rechtlichen und medialen Hebel in Gang, um die Entmündigung der Kameruner | |
zu verhindern. Er bezahlte seinen Einsatz mit dem Leben. | |
Als Marilyn Douala Manga Bell erstmals von dieser Geschichte erfuhr, hatte | |
sie in Frankreich gerade die Schule abgeschlossen und war nach Kamerun | |
zurückgekehrt. Immer am 8. August – dem Tag, an dem ihr Urgroßvater im Jahr | |
1914 von den Deutschen hingerichtet wurde – besuchte sie mit ihrer Familie | |
dessen Grab. „Ich kannte damals noch nicht die ganze Geschichte, aber ich | |
wusste, dass sie entscheidend für unsere Familie war.“ 1985 wurde aus der | |
familiären Tradition ein öffentliches Gedenken, und die damals 28-Jährige | |
spürte erstmals die Last der Geschichte auf ihren Schultern. | |
## Ein Leben wie im Hollywood-Kino | |
Es sei ihr Ehemann Didier Schaub gewesen, der ihr verdeutlicht habe, dass | |
sie als Abkömmling der Bell-Familie selbst Teil der Königstradition sei. | |
Und dass sich damit eine Verantwortung verbinde. Was nach Hollywood-Kino | |
klingen mag, bedeutete für die junge Duala-Prinzessin die Bestimmung der | |
eigenen gesellschaftlichen Position. | |
Dennoch sollte es bis Anfang der 2000er Jahre dauern, bis sich Douala Manga | |
Bell ernsthaft mit dem Justizmord an ihrem Urgroßvater und mit der | |
Kolonialgeschichte und deren Auswirkungen auf das heutige Kamerun befasste. | |
Für diese Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und ihre | |
versöhnende Haltung in einem Land, das nach dem Ende der deutschen | |
Kolonialzeit von Briten und Franzosen verwaltet wurde und bis heute unter | |
der Spaltung in eine überwiegend frankophone Bervölkerung und eine | |
anglophone Minderheit leidet, wird Princess Marilyn Douala Manga Bell nun | |
ausgezeichnet. Als Repräsentantin der Bell-Familie und Förderin der | |
kamerunischen Kunst ist sie auch Botschafterin ihres Landes. | |
Und gern gesehener Gast in Deutschland, wo sich gerade Kulturinstitutionen | |
in den letzten Jahren verstärkt mit dem kolonialen Erbe auseinandersetzen. | |
So war die heute 64-Jährige erst jüngst in Deutschland. In Hamburg | |
gastierte sie [2][im Rahmen der Ausstellung „Hey Hamburg, kennst Du Duala | |
Manga Bell?“] am Museum am Rothenbaum. Die Ausstellung zeigt anhand ihres | |
Urgroßvaters die historischen Verflechtungen zwischen den Hafenstädten | |
Douala und Hamburg auf. | |
## Kein Held der Familie | |
Bei solchen Gelegenheiten ist es der eleganten und gleichsam unprätentiösen | |
Frau wichtig, zu betonen, dass Rudolf Duala Manga Bell kein Held ihrer | |
Familie sei, auch nicht der Duala. Ihr Urgroßvater sei vielmehr eine Figur | |
von nationalem Interesse. „In jedem Moment unseres Lebens schaffen wir das | |
Erbe für die kommenden Generationen“, erklärt sie staatstragend. | |
„Wir bitten Künstler, uns dabei zu helfen, zu verstehen, was unser Erbe | |
ist. Diese Auseinandersetzung hilft uns, eine Idee unserer kollektiven | |
Identität zu erlangen.“ Da ist er wieder, der Gedanke, der Marilyn Douala | |
Manga Bell bereits in ihrer Zeit als Ökonomin angetrieben hatte: Das Land | |
muss vorangebracht werden und die Kameruner*innen müssen zu sich | |
selbst finden. „Über die Kunst beschäftige ich mich noch immer mit | |
Entwicklungszusammenarbeit. Aber ich glaube, dass Kunst mächtiger ist.“ | |
Neben Marilyn Douala Manga Bell erhalten auch der Komponist Toshio Hosokawa | |
und Wen Hui als Akteurin des zeitgenössischen chinesischen Tanztheaters | |
die Goethe-Medaille als offizielles Ehrenzeichen der Bundesrepublik | |
Deutschland. | |
Toshio Hosokawa ist nicht nur verdienter Gegenwartskomponist, sondern sei | |
auch ein herausragender Vertreter deutsch-japanischer Kulturbeziehungen, | |
heißt es vonseiten des Goethe-Instituts. Wen Hui hingegen ist Teil der | |
freien Kunstszene in China. In ihren Choreografien zeige sich die Vielfalt | |
„alltäglicher Geschichten jenseits offizieller Narrative“, so die | |
Begründung der Jury. | |
26 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Lehmann | |
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