| # taz.de -- Kolonialgeschichtliche Überreste: Zurück nach Hawaii | |
| > Acht Schädel aus Hawaii hatte das Bremer Überseemuseum in seiner | |
| > Sammlung. Nun wurden sie an eine hawaiianische Delegation übergeben. | |
| Bild: Mana und Kalehua Caceres und Edward Halealoha Ayau (v.l.) nehmen die Sch�… | |
| Bremen taz | Die Stille ist laut, und sie dauert an. Minutenlang stehen die | |
| Gäste der Zeremonie – Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, | |
| Journalist*innen – im großen Saal des Überseemuseums. Dann erklingt | |
| eine Frauenstimme: Kalehua Kamohali'i Caceres beginnt zu singen, ihr | |
| Ehemann Mana Kaleiani Caceres und Edward Halealoha Ayau stimmen ein. Man | |
| muss kein Hawaiianisch können, um zu verstehen, dass das ein Klagegesang | |
| ist. Später, vor der Kiste mit den acht Schädeln, stimmen sie synchron in | |
| eine Rezitation, ein Gebet. Es steigert sich, bekommt Pathos, klingt ab, | |
| lässt Pausen zu. | |
| Die Kiste mit den Schädeln? Das klingt so nüchtern. Es sind die „Iwi | |
| Kupuna“, die „Knochen der Vorfahren“, die Knochen von acht | |
| Hawaiianer*innen, die von europäischen Forschungsreisenden aus den Gräbern | |
| gestohlen wurden und nun dorthin zurück gebracht werden sollen, wo sie | |
| einst begraben wurden. | |
| Damals sollten sie den Forscherdrang der Europäer zu Rassen- und | |
| Völkerkunde bereichern. Was genau man über ein paar heute schlecht | |
| katalogisierte Schädel herausfinden wollte, ist aus heutiger Sicht schwer | |
| zu verstehen. Wirklich wichtig ist das für Ayau aber auch nicht. | |
| Entscheidend ist: Es gab kein Einverständnis. „Wir wären heute nicht hier, | |
| wenn der Forscher gefragt hätte: ‚Can I take your grandma's head?‘ In | |
| Hawaii wurde niemand gefragt“, sagt er. | |
| Seit den 70er Jahren gibt es im Bremer Überseemuseum Überlegungen dazu, | |
| inwiefern die Ausstellungen einen kolonialistischen Blick widerspiegeln. | |
| [1][Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt] gehörte 2013 zur Arbeitsgruppe „Human | |
| Remains“, die für den Deutschen Museumsbund Empfehlungen zum Umgang mit | |
| menschlichen Überresten herausgegeben hat. Darin wird empfohlen, Angehörige | |
| zu suchen, den Sinn und Zweck der Knochen für die Museumssammlung und | |
| insbesondere in Ausstellungen zu hinterfragen, gegebenfalls ein | |
| Einverständnis einzuholen – oder die Überreste an die Herkunftsländer | |
| zurückgeben. | |
| ## Bis zur Rückkehr hat es drei Jahre gedauert | |
| Für Neuseeland (2006 und 2017) und Namibia (2018) hat das schon vor einigen | |
| Jahren geklappt. Für Hawaii ist es jetzt so weit – auch wenn die | |
| Empfehlungen selbst hier nicht ganz strikt eingehalten wurden. Nicht das | |
| Museum selbst war auf Hawaii zugegangen; die Delegation Hui Iwi Kuamo'o, | |
| die sich um die Rückkehr aller Ahnen nach Hawaii bemüht, hatte den ersten | |
| Schritt gemacht. An 200 Institutionen habe man sich gewandt, erzählt Ayau. | |
| Relativ unspezifisch erst einmal, mit der Frage: Ist da was? Liegen | |
| Vorfahren von uns in euren Lagern? | |
| In Bremen kam die Anfrage 2019. Dass man ihm hier geantwortet habe, dass | |
| man in Europa heute bereit sei, zu verhandeln, sei ein großer Unterschied | |
| zu früher. Ayau beschäftigt sich seit 32 Jahren mit der Suche nach Ahnen. | |
| Bis zur Rückkehr hat es nun noch einmal drei Jahre gedauert. Möglichst | |
| genau wollte man vor der Übergabe erforschen, wie die menschlichen | |
| Überreste nach Bremen gekommen waren, woher sie stammen. Die Ergebnisse | |
| sind nicht ganz so aufschlussreich wie erhofft. Es ist nicht viel bekannt | |
| über die Toten. Zwei Schädel hat der Gründer selbst, Hugo Schauinsland, im | |
| ersten Jahr nach der Gründung eingeliefert – ob er selbst dafür auf Hawaiis | |
| Friedhöfen Grabschändung begangen oder einen Friedhofsräuber bezahlt hat, | |
| weiß man nicht. Zwei weitere Schädel sind über andere Forschungsreisende, | |
| die restlichen vier über völlig unbekannte Wege nach Bremen gekommen. | |
| Wenn die Schädel nun zurück nach Hawaii kommen, sollen sie dort nicht in | |
| ein anderes Museum wandern, sondern bestattet werden. Dort, wo sie einst | |
| bestattet wurden. Das Problem: Auch die Herkunft ist fraglich. Nur fünf | |
| Schädel sind beschriftet und können – mit Unsicherheiten – drei | |
| hawaiianischen Inseln zugordnet werden. Ayau sieht eine Lösung: „Wir haben | |
| bei uns Menschen, die mit den Ahnen kommunizieren können“, erklärt er. „W… | |
| fragen sie einfach direkt.“ | |
| Ayau und das Ehepaar Caceres werden in den nächsten Tagen weiterreisen. In | |
| Göttingen, Jena, Berlin und schließlich Wien liegen noch Iwi Kupuna, die | |
| übergeben werden. 58 Ahnen kommen so am Ende zurück nach Hawaii. | |
| 8 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lotta Drügemöller | |
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