# taz.de -- Plenarprotokoll zu Afghanistan: „Nicht gut für Deutschland“ | |
> Ortskräfte unbürokratisch aufnehmen? Bis vor wenigen Wochen lehnte die | |
> Große Koalition das im Parlament ab. Hier das gekürzte Protokoll. | |
Bild: Hätte für viel mehr Menschen der Ausweg sein können: die Luftwaffe | |
Inzwischen ist sich die Bundesregierung einig: [1][So viele so genannte | |
Ortskräfte wie möglich] sollen von der Bundeswehr aus [2][Afghanistan] | |
ausgeflogen werden, also Menschen, die den Deutschen vor Ort geholfen | |
haben. Außerdem sollen etwa auch FrauenrechtlerInnen oder | |
NGO-MitarbeiterInnen gerettet werden. Aber bis vor Kurzem sah die die Große | |
Koalition das noch ganz anders. | |
Die Aufnahme von Ortskräften lief jahrelang schleppend, kritisieren die | |
Grünen. Von Januar 2017 bis Ende September 2018 seien etwa nur drei | |
Aufnahmezusagen erteilt worden. Deshalb machten die Grünen, aber auch FDP | |
und Linke Druck. Am 23. Juni diskutierte der Bundestag abends einen Antrag. | |
Ortskräfte, so die Stoßrichtung [3][der Grünen], müssten unbürokratisch und | |
schnell aufgenommen werden. | |
Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD lehnten den Oppositionsantrag | |
ab. Grüne und Linke stimmten dafür, die FDP enthielt sich. Welche Argumente | |
damals die deutsche Debatte beherrschten, zeigt das Plenarprotokoll. | |
Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort geht | |
an Thorsten Frei von der CDU/CSU-Fraktion. | |
(Beifall bei der CDU/CSU) | |
Thorsten Frei (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen | |
und Kollegen! Deutschland steht zu seinen Verpflichtungen, und Deutschland | |
steht zu der Verpflichtung, die afghanischen Ortskräfte, die in den | |
vergangenen Jahren für unser Land gearbeitet haben – für die Bundeswehr, | |
für die Bundespolizei, für die Durchführungsorganisationen der | |
Entwicklungszusammenarbeit –, die Menschen, die am Wiederaufbau, an der | |
Stabilisierung ihres Landes mitgearbeitet haben und aus deren Arbeit sich | |
eine Gefährdung ergibt, zu schützen. Das haben wir im Übrigen in der | |
Vergangenheit auch immer bewiesen. | |
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) | |
(…) Ich will aber eines an dieser Stelle sagen, auch im Hinblick auf den | |
Antrag, den die Grünen hier eingebracht haben: Es ist eben nicht so, dass | |
man allein aufgrund der Tätigkeit für die Bundesrepublik Deutschland, in | |
welcher Form auch immer, automatisch Rückschlüsse auf eine | |
lebensgefährdende Situation ziehen kann, weil die Sicherheitslage in | |
Afghanistan höchst unterschiedlich ist. Wenn man beispielsweise auf das | |
Vordringen der Taliban schaut, erkennt man: Das betrifft vielleicht 10 | |
Distrikte von 400 Distrikten in Afghanistan. | |
Deswegen muss man das letztlich im Blick behalten und muss das auch | |
tatsächlich sehen. Das wird dadurch bestätigt, dass es von den vielen | |
Tausend Ortskräften, die beispielsweise für das BMZ und seine | |
Durchführungsorganisationen arbeiten, gerade mal 37 Gefährdungsanzeigen | |
gegeben hat. Insofern brauchen wir ein differenziertes Vorgehen. Das bietet | |
die Bundesregierung an. Das unterstützen wir. Deswegen sind anderweitige | |
Anträge abzulehnen. Herzlichen Dank. | |
(Beifall bei der CDU/CSU) | |
Rüdiger Lucassen (AfD): (…) Für die Versorgung der afghanischen Ortskräfte | |
hat die Bundesregierung bereits eine Regelung getroffen. Sie ist angemessen | |
und reicht aus. Wer für Deutschland gearbeitet hat und an Leib und Leben | |
bedroht ist, kann mit seiner Familie nach Deutschland kommen. | |
Im Antrag der Grünen, der dieser Debatte zugrunde liegt, geht es freilich | |
nicht um die Ortskräfte, die an deutscher Seite standen. Den Grünen geht es | |
wie immer um eine unterschiedslose Verbringung von möglichst vielen | |
Menschen nach Deutschland. Das lehnen wir ab. | |
(Beifall bei der AfD) | |
Helge Lindh (SPD): (…) Wenn wir uns das alles angucken, dann merken wir: | |
Wir reden hier heute überhaupt nicht über Flucht und auch überhaupt nicht | |
über Migration, sondern wir reden von Pflicht, Verantwortung und auch | |
Schuld. Wir reden davon, dass es auch so was wie einen Kreis und eine | |
Kaskade der Verantwortung gibt. | |
Wir haben politische Entscheidungen getroffen. Die Folge der politischen | |
Entscheidungen war der Dienst von Soldatinnen und Soldaten, die zum Teil | |
ihr Leben geopfert haben. Diesen Soldatinnen und Soldaten und auch den | |
zivilen Kräften standen Ortskräfte zur Seite. Sie haben zum Teil ihr Leben | |
gerettet, und sie haben für sie gedient. | |
Jetzt wiederum, in einer neuen Sicherheitslage, sind sie besonders | |
gefährdet. Nun haben wiederum zum Beispiel auch Soldatinnen und Soldaten | |
für sie Verantwortung übernommen und haben in Deutschland das | |
Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte mit dem Vorsitzenden Marcus | |
Grotian gegründet. Sie leben uns vor, wie wir politisch zu handeln haben. | |
Wir müssen diesem Zirkel, dieser Kaskade der Verantwortung gerecht werden. | |
Genau deshalb machen wir das. (…) | |
Darum geht es hier in dieser Stunde und in dieser Diskussion und im | |
verantwortungsbewussten Handeln: dass diejenigen, die Verantwortung | |
getragen haben, die sich für die Sicherheit von Soldatinnen und Soldaten | |
und von uns allen eingesetzt haben, von uns nicht im Stich gelassen werden. | |
Denn das wäre unanständig. So haben wir zu handeln, und so tun wir es | |
gerade. Vielen Dank. | |
(Beifall bei der SPD) | |
Peter Heidt (FDP): Wir Freie Demokraten stehen auch zu Humanismus. Wir | |
stehen auch zu christlichen Werten. Liebe CDU, es ist jetzt an der Zeit, | |
keine Sonntagsreden mehr zu halten; es ist jetzt die Zeit von tatkräftigem | |
Handeln. | |
(Zurufe von der CDU/CSU) | |
Und die bürokratischen Hürden – Kollege Lindh hat es angesprochen – sind | |
nach wie vor immens. Ich frage mich wirklich manchmal, was die | |
Bundesregierung mit diesen extrem umständlichen Verfahren eigentlich | |
erreichen will. Die notwendige Sicherheit kann man einfacher, effizienter | |
erreichen als so, wie es jetzt hier geplant ist. | |
Frau Kramp-Karrenbauer sagte in ihrer Rede heute, man arbeite an einer | |
Lösung, um die Aufgabe, diese Menschen hierherzubringen, logistisch | |
bewerkstelligen zu können. – Ihre Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der | |
Glaube. Frau Kramp-Karrenbauer, ich nehme Sie beim Wort. Wir können die | |
Ortskräfte jetzt nicht einfach zurücklassen. Lassen Sie uns einfach diese | |
Menschen mit Bundeswehrmaschinen ausfliegen. Wir fliegen so viele Sachen | |
aus, und das wäre der einfachste Weg. | |
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abgeordneten Luise Amtsberg | |
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) | |
Ein Satz zu den Grünen noch am Schluss: Die Intention Ihres Antrages | |
unterstützen wir Freie Demokraten ausdrücklich. Ein | |
Gruppenaufnahmeverfahren halten wir aber nicht für den richtigen Weg. | |
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das macht auch kein Land der Erde!) | |
Damit würde der Gefahr des Missbrauchs Tür und Tor geöffnet. Deshalb werden | |
wir uns enthalten. Vielen Dank. | |
(Beifall bei der FDP) | |
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! | |
Afghanische Ortskräfte, die aufgrund ihrer Tätigkeit für deutsche | |
Institutionen gefährdet sind, müssen schnell und unbürokratisch in | |
Deutschland aufgenommen werden. Dafür braucht es jetzt dringend ein | |
einfaches Verfahren, weshalb wir dem Antrag der Grünen zustimmen. | |
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) | |
Das sollte übrigens auch für jene gelten, die nicht direkt bei deutschen | |
Ministerien, sondern bei Subunternehmen beschäftigt waren. Bekanntlich hat | |
die Linke den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Anbeginn | |
abgelehnt. Doch ganz unabhängig davon ist es völlig klar: Wenn das Leben | |
von Menschen in Gefahr ist, brauchen sie Schutz. (…) | |
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen, | |
seit vielen Jahren kämpft meine Fraktion, kämpfen wir hier im Bundestag für | |
ein wohlmeinendes Ortskräfteverfahren. Wir sind damit auch nicht alleine. | |
Und weil er heute dieser Debatte beiwohnt, möchte ich gerne meinen | |
ehemaligen Kollegen Winfried Nachtwei begrüßen, der genau an dieser Stelle | |
immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und auch dafür gesorgt hat, | |
dass die Situation dieser Menschen nicht vergessen wird. | |
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der | |
FDP und des Abgeordneten Thorsten Frei [CDU/CSU]) | |
Denn immer wieder wandten sich Menschen unter Lebensangst an uns, an die | |
Stellen vor Ort, an die Ministerien. Und viel zu häufig wurde ihre Angst | |
nicht ernst genommen, wurden ihre Gefährdungsanzeigen abgelehnt; denn das | |
Verfahren zur Aufnahme von Ortskräften verlangt von den Betroffenen, ihre | |
Gefährdung zu beweisen. – Ja, Herr Frei, wie soll das gehen? | |
Gewissheit, dass jemand seines Lebens bedroht wird, hat man tragischerweise | |
erst, wenn der betroffenen Person etwas zugestoßen ist. Und unser Antrag | |
möchte das ändern, schafft dem Abhilfe, indem er ein Gruppenverfahren | |
fordert, indem er die Beweislast umkehrt. Das Verfahren muss auf der | |
grundsätzlichen Annahme basieren, dass die Ortskraft durch ihre Arbeit für | |
deutsche Behörden und Organisationen gefährdet ist, wenn man Schaden von | |
den Betroffenen abwenden will. Und hier haben wir offensichtlich einen ganz | |
klaren Dissens. | |
Ich glaube, dass es diese Beweislastumkehr braucht, damit es eben nicht zu | |
falschen Entscheidungen kommt; und genau das fordert unser hier | |
vorliegender Antrag. (…) | |
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) | |
Josef Oster (CDU/CSU): (…) Wir sollten immer auch die gesellschaftliche | |
Akzeptanz unserer Entscheidungen im Blick haben. Deshalb ist es so | |
bedeutend, dass das jetzt vereinbarte Verfahren nach klaren und eben auch | |
nachvollziehbaren Regeln abläuft.Die Grünen gehen in ihrem Antrag | |
allerdings sehr viel weiter. | |
Das Gruppenverfahren, das Sie hier noch mal geschildert haben, würde ja, | |
wenn ich es mal zugespitzt formuliere, bedeuten, dass quasi jeder, der mal | |
einem deutschen Soldaten begegnet ist, Anspruch auf Aufnahme in Deutschland | |
hätte. Ein derartiges Verfahren – auch das muss man hier deutlich sagen – | |
wendet keine andere Nation in Afghanistan an. | |
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Genau!) | |
Das entspricht eben offenbar ganz der grünen Linie, jedes internationale | |
Problem dadurch lösen zu wollen, dass man möglichst viele Menschen hier bei | |
uns in Deutschland aufnimmt. | |
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) | |
Ich sehe die Gefahr, dass darunter die aktuell gute Akzeptanz unserer | |
migrationspolitischen Maßnahmen leiden würde. Ein pauschales | |
Aufnahmeverfahren wäre daher nicht gut für Deutschland und im Übrigen nach | |
meiner Überzeugung auch nicht gut für Afghanistan; denn das würde eben | |
bedeuten, dass in großem Stil gut ausgebildete Kräfte das Land verlassen | |
würden. Den Antrag der Grünen kann man daher nur ablehnen. Wir als | |
Unionsfraktion werden das auch tun. Vielen Dank. | |
(Beifall bei der CDU/CSU) | |
Susanne Mittag (SPD): (…) Trotzdem werden wir in den kommenden Wochen die | |
Situation rund um die Ortskräfte – egal ob von der Bundeswehr, von den | |
Polizeien oder von anderen deutschen Behörden – genau beobachten und darauf | |
achten, dass die jetzt getroffenen Vereinbarungen eingehalten und auch | |
unverzüglich umgesetzt werden. | |
Eckhard Gnodtke (CDU/CSU): (…) Fazit: Es besteht kein Grund, ein | |
Gruppenverfahren durchzuführen. Auch eine Beweislastumkehr ist nicht nötig. | |
Ich bitte um Ablehnung des Antrags bzw. um Annahme der Beschlussempfehlung | |
des Ausschusses. | |
Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Ich beende die Aussprache. (…) Wir sind am | |
Schluss der heutigen Tagesordnung. Wir wünschen der deutschen | |
Nationalmannschaft, dass sie das Spiel noch dreht. | |
Eine vollständige Fassung des Plenarprotokolls können Sie hier nachlesen: | |
[4][https://dserver.bundestag.de/btp/19/19235.pdf#P.30501] | |
25 Aug 2021 | |
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[4] https://dserver.bundestag.de/btp/19/19235.pdf#P.30501 | |
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Ulrich Schulte | |
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