| # taz.de -- Abschiebungen nach Afghanistan: Die Sammelflüge starten weiterhin | |
| > Kabul hat Europa gebeten, Abschiebungen auszusetzen. Doch Deutschland, | |
| > Großbritannien, Dänemark und die Schweiz setzen ihre Praxis fort. | |
| Bild: Die letzte deutsche Sammelabschiebung nach Kabul startete am 6. Juli von … | |
| Berlin/London/Stockholm/Genf taz | Deutschland ist der Bitte Kabuls, | |
| [1][aufgrund der Sicherheitslage im Land] Abschiebungen für drei Monate | |
| auszusetzen, bislang nicht nachgekommen. Man werde „zeitnah“ entscheiden, | |
| sagte ein Sprecher des Innenministeriums vergangene Woche. | |
| Regierungssprecher Steffen Seibert machte jedoch deutlich, dass die | |
| Bundesregierung keinen Grund sieht, die Praxis zu ändern. Rückführungen | |
| erfolgten auf Basis einer „sehr genauen Beobachtung der Lage in | |
| Afghanistan“. | |
| Seit Dezember 2016 hat Deutschland 1.104 Afghanen in 40 Sammelflügen nach | |
| Kabul abgeschoben. Der letzte erfolgte [2][am 6. Juli von Hannover]. Bund | |
| und Länder rechtfertigen die Abschiebungen damit, dass die Sicherheit der | |
| Abgeschobenen nicht in allen Landesteilen gefährdet sei. Ob dies auch nach | |
| dem Abzug der Nato-Truppen zutreffe, ließen Innenministerium und das | |
| Auswärtige Amt (AA) auf Anfrage der taz unbeantwortet. Das AA verweist auf | |
| seinen neuen Lagebericht, der „in Kürze“ übermittelt werde. | |
| Vor wenigen Tagen noch sagte Außenminister Heiko Maas (SPD), er halte | |
| Abschiebungen nach Afghanistan trotz der Gewaltzunahme für vertretbar. | |
| Flüchtlingsräte, Kirchen und Teile der Opposition hingegen fordern einen | |
| sofortigen Abschiebestopp. Wie eine Studie der Universität Bern zeigt, | |
| droht [3][abgeschobenen Afghanen Verfolgung und Gewalt]. | |
| Dem AA sind nach eigenen Angaben keine derartigen Fälle bekannt. Trägt der | |
| neue Lagebericht der Realität vor Ort Rechnung, müsste das Einfluss auf die | |
| Asyl-Entscheidungen beim Bamf haben. Aktuell erhalten nur 37,5 Prozent der | |
| Afghanen einen Schutzstatus. Pro Asyl wirft dem Bamf vor, die Schutzquoten | |
| aus politischen Gründen gering zu halten. Wohl nicht zu Unrecht: Im | |
| vergangenen Jahr wurden Tausende Bamf-Entscheidungen vor Gericht kassiert. | |
| Ralf Pauli, Berlin | |
| ## Amnesty fordert in Großbritannien mehr Schutz | |
| Auch Großbritannien schiebt weiterhin Menschen nach Afghanistan ab. Das | |
| bestätigt das britische Büro von Amnesty International. Laut Angaben des | |
| britischen Innenministeriums gegenüber der taz, prüft die Regierung noch | |
| das Gesuch Kabuls. Eine offizielle Reaktion steht jedoch aus. | |
| Der Direktor für Flüchtlings- und Migrationsrechte bei Amnesty, Steve | |
| Valdez-Symonds, hatte dem zuständigen parlamentarischen Ausschuss | |
| gegenüber bereits die eskalierende Situation in Afghanistan betont. Daraus | |
| ergebe sich die Notwendigkeit, mehr geflüchteten Afghan*innen Asyl zu | |
| gewähren. Der Ausschuss selbst kam im März 2021 zu der Schlussfolgerung, | |
| dass je nach Ausgang der Friedensgespräche zwischen afghanischer Regierung | |
| und Taliban, die britische Regierung der Tatsache ins Auge sehen müsse, | |
| „dass die Umstände für eine permanente Abschiebung von Asylsuchenden nach | |
| Afghanistan nicht mehr bestünden.“ | |
| Damals antwortete die britische Regierung noch, dass alle Asylanträge von | |
| Afghan*innen individuell und mit Vorsicht überprüft werden würden. Sie | |
| gab an, dass britische Gerichte die Lage in Afghanistan wiederholt zwar als | |
| instabil beschrieben hätten, nicht aber als zu unsicher für Rücksendungen. | |
| Laut Angaben von Migration Observatory, einem Analyseprojekt der | |
| Universität Oxford, gab es im Jahr 2020 1.546 Asylgesuche von Menschen aus | |
| Afghanistan, das waren 4 Prozent aller Asylbewerbungen. 68 Prozent davon | |
| erhielten ein Bleiberecht. 289 Personen wurden im gleichen Jahr nach | |
| Afghanistan zurückgeschickt. Insgesamt leben laut Schätzungen des | |
| britischen statistischen Amtes (ONS) fast 80.000 in Afghanistan geborene | |
| Menschen im Vereinigten Königreich. | |
| Daniel Zylbersztajn-Lewandowski, London | |
| ## Dänemark zögert, Finnland prescht vor | |
| Ebenso hat Dänemark die Aufforderung der afghanischen Regierung noch nicht | |
| offiziell beantwortet. Das zuständige Ministerium bestätigte lediglich, | |
| dass man das Schreiben aus Kabul erhalten habe: Es werde „derzeit geprüft“. | |
| Unklar blieb auch, ob die Regierung einen übergeordneten Beschluss zu | |
| dieser Frage treffen wird, oder die Entscheidung im Einzelfall dem | |
| „Flygtningenaevnet“, einer gerichtsähnlichen Verwaltungsinstanz, die über | |
| Abschiebungen entscheidet, überlassen will. | |
| Dänemark hatte 2019 27 Menschen nach Afghanistan abgeschoben, im | |
| vergangenen Jahr waren es 7. Gegen rund 50 afghanische StaatsbürgerInnen | |
| sind gerichtlich Ausweisungsentscheidungen ergangen und sie warten derzeit | |
| noch auf ihre Abschiebung. | |
| Über die Haltung Dänemarks tobt eine politische Diskussion. Marcus Knuth, | |
| der Migrationssprecher der oppositionellen Konservativen, sprach sich gegen | |
| einen Abschiebestop aus: „Wir haben hier schon viel zu viele ausgewiesene | |
| Asylsuchende.“ Eine gegenteilige Meinung äußerte Kristian Hegaard von den | |
| linksliberalen Radikalen: Es handle sich nur um drei Monate, das sei kein | |
| Problem. Komme die Regierung zu einer anderen Einschätzung, erwarte man | |
| eine gute Begründung. Hegaard verwies auf Finnland, das als erstes | |
| nordisches Land mit einem dreimonatigen Abschiebestopp reagierte. Auch die | |
| schwedische Regierung teilte am Freitag mit, Abschiebungen auszusetzen. | |
| Auch in Oslo wird offiziell noch „geprüft“. Aus Schweden wird derzeit | |
| sowieso nicht zwangsweise abgeschoben, weil Kabul einen Covid-19-Test | |
| verlangt. Nach schwedischem Recht kann niemand zu so einem Test gezwungen | |
| werden. | |
| Reinhard Wolff, Stockholm | |
| ## Weitere „Ausschaffungen“ in der Schweiz | |
| 144 Asylsuchende aus Afghanistan müssen in der Schweiz derzeit zittern: | |
| Denn sie sind jung, gesund und haben nach Ansicht der zuständigen Behörden | |
| familiäre oder andere enge Bindungen in Afghanistan. So lauten ganz grob | |
| die Voraussetzungen für die Einzelfallprüfung, die das zuständige Schweizer | |
| Staatssekretariat für Migration durchführt. | |
| Abgeschoben wird derzeit nur in die drei Städte Kabul, Herat und Masar-e | |
| Scharif. Doch selbst dort sei die Lage viel zu gefährlich, warnen | |
| Organisationen wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Abschiebeflüge | |
| waren wegen der Coronapandemie zwischenzeitlich ausgesetzt worden. Dass sie | |
| ausgerechnet jetzt wieder aufgenommen werden sollen, sei absolut | |
| unverständlich, so die Organisationen. | |
| Wenn es um Asylverfahren geht, dann gelten die Schweizer Behörden als | |
| strikt. Immer wieder werden auch Afghanen, die als gut integriert gelten, | |
| „ausgeschafft“, wie es in der Schweiz heißt. | |
| 2020 stellten 1.681 Afghaninnen und Afghanen ein Asylgesuch, nach | |
| Flüchtenden aus Eritrea stellen sie die größte Gruppe dar. Statistisch wird | |
| in der Schweiz jeder dritte Asylantrag anerkannt, fast noch einmal so | |
| vielen wird Schutz gewährt. | |
| Obwohl die Zahlen der Asylbewerber und -bewerberinnen mit 11.000 so gering | |
| sind wie lange nicht, bleibt das Thema politisch weiterhin heikel. Die | |
| rechtsnationale SVP, die die Angst vor zu vielen Flüchtlingen regelmäßig | |
| schürt, wirbt etwa für [4][das „dänische Modell“, bei dem Asylverfahren … | |
| Drittstaaten] ausgelagert würden. Das Staatssekretariat lehnt den Vorstoß | |
| ebenso ab wie den eines sozialdemokratischen Abgeordneten, der Asylanträge | |
| in Schweizer Botschaften ermöglichen möchte. | |
| Marc Engelhardt, Genf | |
| 19 Jul 2021 | |
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