| # taz.de -- Afghanische Ortskräfte der Deutschen: Am Hindukusch vergessen | |
| > Afghanische Helfer werden nach dem Bundeswehr-Abzug sich selbst | |
| > überlassen. Ortskräfte der deutschen Entwicklungshilfe sind schlechter | |
| > dran. | |
| Bild: Blaue Moschee in Masar-e Scharif: Afghanische Helfer wechseln oft ihren A… | |
| Berlin taz | Rohab Abusi* fürchtet um sein Leben. Der Elektriker arbeitete | |
| sieben Jahre lang bis 2017 für die Deutsche Gesellschaft für Internationale | |
| Zusammenarbeit (GIZ) in Afghanistan. Er installierte etwa Kameras und | |
| Alarmsysteme. Nun ist er in Kabul und wechselt immer wieder seinen | |
| Aufenthaltsort – aus Angst vor den Taliban. Er sei nur einer von vielen | |
| Afghanen, die aufgrund ihrer Arbeit für die GIZ in Lebensgefahr seien, | |
| meint er. | |
| „Einige von uns haben Drohbriefe erhalten, einige Anrufe oder SMS von den | |
| Taliban und anderen extremistischen Gruppierungen. Darin werden wir | |
| beschuldigt, mit den Fremden, den Deutschen und den Besatzern Afghanistans | |
| zu kollaborieren und für sie zu spionieren“, schreibt Abusi in einer Mail. | |
| „Einige unserer Kollegen wurden sogar mehrfach angegriffen und von | |
| bewaffneten, maskierten Männern zusammengeschlagen.“ Auf Abusi und seine | |
| Familie wurden schon geschossen. Trotzdem dürfen sie nicht nach Deutschland | |
| kommen. | |
| Wurde direkt nach dem [1][Abzug der deutschen Soldat:innen aus | |
| Afghanistan] vor allem darüber berichtet, wie wenig sich Deutschland um | |
| afghanische Helfer:innen der Bundeswehr kümmert, wird durch Abusi jetzt | |
| klar: Auch die Ortskräfte des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ), in | |
| dessen Auftrag die GIZ Projekte in Afghanistan durchführt, werden offenbar | |
| im Stich gelassen. Für sie ist es noch schwieriger in Deutschland Zuflucht | |
| zu finden. Die taz hat per Mail mit Abusi kommuniziert. Dokumente, die | |
| seine Behauptungen stützen liegen der taz vor. | |
| Eigentlich soll das sogenannte Ortskräfteverfahren gefährdete | |
| Helfer:innen der Deutschen in Sicherheit bringen. Seit 2013 dürfen | |
| afghanische Ortskräfte nach Deutschland kommen. Voraussetzung ist jedoch, | |
| dass sie eine Gefährdungsanzeige stellen. Darin müssen sie nachweisen, | |
| warum sie einer Gefahr ausgesetzt sind, die auf ihr | |
| Beschäftigungsverhältnis mit deutschen Ministerien zurückzuführen ist. | |
| Abusi hat diesen Antrag gestellt, zweimal. Und zweimal wurde er abgelehnt. | |
| ## Schuss durchs Fenster | |
| Ende 2020 hatte die GIZ laut Webseite 1.031 nationale | |
| Mitarbeiter:innen in Afghanistan. Die Entwicklungszusammenarbeit läuft | |
| auch nach dem Abzug der deutschen Truppen weiter. Nach Angaben des BMZ | |
| haben seit 2013 insgesamt 176 Ortskräfte eine Gefährdungsanzeige im Rahmen | |
| des Ortskräfteverfahrens gestellt. Fast alle davon waren für die GIZ tätig. | |
| Nur 45 hatten bisher Erfolg. | |
| Abusi meint, dass derzeit noch 30 bis 40 andere eine Gefährdungsanzeige | |
| gestellt hätten. Einige, die noch eine Antwort vom BMZ auf ihre | |
| Gefähdungsanzeige erwarteten, würden es nicht wagen, sich öffentlich zu | |
| äußern. Sie hätten Angst, abgelehnt zu werden. Abusi vermutet, dass | |
| insgesamt 70 Prozent der ehemaligen und aktuellen GIZ-Mitarbeiter:innen | |
| nach Deutschland kommen wollten. Das sind Vermutungen des Afghanen, | |
| überprüfen lassen sich diese Zahlen nicht. | |
| In der Absage, die Abusi Ende Juni auf seine zuletzt gestellte | |
| Gefährdungsanzeige erhielt, heißt es: Die deutschen Behörden „konnten nicht | |
| feststellen, dass Sie momentan einer spezifischen Gefahr ausgesetzt sind, | |
| die aus Ihrem Beschäftigungsverhältnis mit der afghanisch-deutschen | |
| Entwicklungszusammenarbeit oder der GIZ resultiert“. Es ist wohl eine | |
| standartisierte Absage. „Please do not reply to this e-mail“, steht dick in | |
| roter Schrift unter der Mail. | |
| Abusi dagegen wähnt sich sehr wohl in Gefahr. Er sei nicht nur bedroht, | |
| sondern auch angegriffen worden. Ein Mal wurde auf ihn geschossen. Er habe | |
| am Fenster gestanden, mit seiner kleinen Tochter im Arm. „Die Kugel | |
| durchbohrte das Fenster und drang in das Dach ein. Glücklicherweise wurde | |
| niemand von uns verletzt.“ Seitdem er seine Gefährdungsanzeige gestellt | |
| habe, verstecke er sich. Seine Frau habe ihr Studium abbrechen müssen, | |
| seine Tochter könne nicht zur Schule gehen. Dass ihnen etwas passiere, sei | |
| nur noch eine Frage der Zeit. | |
| ## „Diese Regelung ist absurd“ | |
| Wieso Abusi trotz alldem abgelehnt wurde, bleibt unklar. Das BMZ will sich | |
| auf Anfrage der taz nicht näher zu dem Fall äußern. Zu Gefährdungsanzeigen | |
| könnten „keine personenbezogenen Angaben gemacht werden“. | |
| Bernd Mesovic, ehemaliger Vizechef von Pro Asyl und Afghanistanexperte, | |
| kritisiert die Entscheidungspraxis im Rahmen des Ortskräfteverfahrens als | |
| intransparent. „Die Kriterien, nach denen über die Gefährdungsanzeigen | |
| entschieden wird, wurden nie offengelegt.“ | |
| Für die Ortskräfte des BMZ gelten offenbar auch andere Regeln, als für | |
| solche der Bundeswehr und Bundespolizei. Während bei Letzteren das | |
| Beschäftigungsverhältnis bis 2013 zurückliegen darf, gilt für | |
| GIZ-Mitarbeiter:innen eine Ausschlussfrist von zwei Jahren. | |
| „Diese Regelung ist absurd“, meint Mesovic. „Wenn die Taliban jemanden im | |
| Visier haben, dann spielt die Frage, wie lange und wann eine Person | |
| angestellt war, keine Rolle.“ | |
| ## Gekündigt, um zu schützen? | |
| Abusi arbeitet seit 2017 nicht mehr für die GIZ – ob deswegen sein letzter, | |
| zweiter Antrag auf Ausreise nach Deutschland zurückgewiesen wurde, ist | |
| unklar. Was aber klar ist: Sein erster Antrag wurde nicht aus diesem Grund | |
| abgewiesen. Denn den stellte er 2017 – bevor die GIZ das Arbeitsverhältnis | |
| mit ihm beendete. Und das war kein Zufall. | |
| Denn der Fall Abusi bringt auch ans Licht: Nachdem die Ortskräfte der GIZ | |
| eine Gefährdungsanzeige gestellt haben, wird ihnen routinemäßig gekündigt. | |
| „Wenn nationale GIZ-Mitarbeitende angeben, aufgrund ihrer Beschäftigung bei | |
| der GIZ gefährdet zu sein, wird das Beschäftigungsverhältnis zu deren | |
| eigenen Schutz aufgehoben“, heißt es aus der GIZ auf taz-Nachfrage. Am | |
| Ortskräfteverfahren könnten die Entlassenen trotzdem teilnehmen. | |
| Afghanistanexperte Mesovic hält dieses Vorgehen der GIZ für skandalös. | |
| „Kündigung zur Gefahrenabwehr – mit oder ohne Abfindung – ist nicht das, | |
| was in Sachen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ausreicht.“ Viele dürften | |
| auch abgeschreckt werden, eine Gefährdungsanzeige zu stellen, wenn sie dann | |
| ihren Job verlieren. | |
| Die GIZ dagegen teilt mit, man sei sich der Pflicht um die Fürsorge der | |
| Mitarbeitenden bewusst und nehme sie wahr. Betroffene könnten sich an das | |
| sogenannte Risk Management Office wenden und bekämen Hilfe. | |
| Auch das hat Abusi versucht. Er sagt, was ihm dort an Hilfe angeboten | |
| worden wurde, sei nicht über Tipps zur Risikominimierung hinausgegangen. Er | |
| hat inzwischen einen Facebookpost initiiert, der auf die Situation von | |
| GIZ-Mitarbeiter:innen aufmerksam machen will: „Lasst niemanden zurück!“, | |
| wird darin gefordert. Doch genau danach sieht es aus. | |
| *Name von der Redaktion geändert | |
| 14 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julian Jestadt | |
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