| # taz.de -- Hitzewelle und Brände in Südeuropa: Im Flammenmeer | |
| > Der Süden Europas ist gegen Wetterextreme wie Hitzewellen und Brände | |
| > überhaupt nicht gewappnet. Die Region muss radikal umsteuern. | |
| Bild: Szenen aus der Türkei: Kühe suchen Schutz vor der Feuerwand in der Näh… | |
| Es sind nicht die Temperaturausschläge nach oben, die Spitzen von 46 Grad, | |
| die an einigen Orten Südeuropas derzeit erreicht werden – es ist die Dauer | |
| der Hitzewelle, die aus dem Wetter ein Klimaereignis macht. Große Hitze hat | |
| es in der Südtürkei, in Griechenland und Andalusien immer mal gegeben. | |
| Letztes Mal erreichten in Griechenland vor dreißig Jahren die Temperaturen | |
| 45 Grad. [1][Doch dieses Mal ist es anders.] | |
| Die Hitze hängt seit Wochen über dem Land wie ein gigantischer Wärmeschild. | |
| In der Sprache der Meteorologen heißt das: Ein Hochdruckgebiet liegt | |
| stationär über dem Süden Europas und bewegt sich nicht. | |
| So wie derzeit in Mitteleuropa die Tiefdruckgebiete sich kaum bewegen und | |
| zu Überschwemmungen geführt haben, so sind es im Süden die | |
| Hochdruckgebiete, die das Land zum Kochen bringen und die Wälder in | |
| Flammenmeere verwandeln. | |
| Für die meisten Wissenschaftler steht fest: Das sind keine Vorboten des | |
| Klimawandels mehr, [2][es ist die Klimakatastrophe,] die nun Europa | |
| erreicht hat. Viele in der Türkei, Griechenland, Italien und Spanien wollen | |
| das noch nicht wahrhaben, viele Politiker erst recht nicht. Denn dann | |
| müssten weitreichende Konsequenzen gezogen werden. Konsequenzen, die sich | |
| im Moment kaum jemand vorstellen kann. | |
| ## Das Drama kommt noch | |
| Es ist verständlich, dass die Menschen erst einmal hoffen, es werde sich | |
| bald alles wieder normalisieren. Doch das verzögert die notwendigen | |
| Maßnahmen und wird zu weiterem Leid führen. Lang anhaltende Hitzeperioden | |
| im Bereich über 40 Grad, Dürre und die daraus resultierende Wasserknappheit | |
| werden die brutale neue Realität im Süden Europas einschließlich der Türkei | |
| werden. | |
| Die Menschen im Süden der Türkei, in Griechenland, in Italien und in | |
| Südspanien sind darauf in keiner Weise vorbereitet. Ein Blick auf die | |
| derzeitige ökonomische Situation zeigt, welches Drama auf die Länder | |
| zukommt. | |
| Die Haupteinnahmequellen in allen von den Bränden betroffenen Regionen sind | |
| der Tourismus und eine intensive, viel Wasser verbrauchende Landwirtschaft. | |
| Die Türkei setzt seit Jahren auf immer neue Rekorde im Massentourismus. | |
| Bevor die Pandemie ausbrach, war es das aktuelle Ziel, die Zahl der | |
| Urlauber von 40 auf 50 Millionen zu steigern. | |
| Weil Menschen im Tourismus Arbeit zu finden hoffen, gehören Städte wie | |
| Antalya, aber auch Marmaris und Bodrum zu den am schnellsten wachsenden | |
| Orten des Landes. Die Folgen sind Waldzerstörung, Bodenversiegelung und, am | |
| gravierendsten, ein extrem steigender Wasserverbrauch. | |
| ## Weniger Regen, steigender Wasserverbrauch | |
| Dasselbe spielt sich in Griechenland, in Italien und in Spanien ab, auch | |
| wenn es graduelle Unterschiede gibt und in den EU-Länder das Bewusstsein | |
| für Klimaschutz vielleicht etwas weiter entwickelt ist als in der Türkei, | |
| die ja noch nicht einmal das Pariser Klimaschutzabkommen unterschrieben | |
| hat. | |
| Doch man soll sich nichts vormachen. Auch auf der [3][großen griechischen | |
| Insel Rhodos,] die ebenfalls seit Tagen brennt, sind in den letzten Jahren | |
| Hotelkapazitäten so hemmungslos ausgebaut worden, dass die an sich | |
| wasserreiche Insel längst am Limit ist. In anderen griechischen | |
| Touristengebieten sieht es nicht besser aus. | |
| Noch einschneidender für das Klima aber ist die industriell betriebene | |
| intensive Landwirtschaft in den Regionen. Aus der kleinteiligen, aber | |
| ertragreichen Landwirtschaft, die dank genügend Wasser aus den Taurusbergen | |
| die Südküste der Türkei seit Jahrhunderten prägte, ist in den letzten | |
| Jahrzehnten eine Intensivlandwirtschaft geworden, die alle Dimensionen | |
| sprengt. | |
| ## Das alles für Spargel im Winter? | |
| Die Tiefebene der Provinz Antalya, nur wenige Kilometer entfernt vom | |
| Strand, ist bedeckt mit Gewächshäusern, unter deren Plastikplanen | |
| tonnenweise Tomaten gezüchtet werden, die nicht nur ganzjährig die Türkei, | |
| sondern auch Russland und andere Staaten mit dem beliebten Gemüse | |
| versorgen. Wo keine Gewächshäuser stehen, ziehen sich kilometerweit | |
| Baumwollfelder entlang der Straßen. Aus den ursprünglich kleinen Gärten mit | |
| Zitrusbäumen sind auch längst große Plantagen geworden, auf denen für den | |
| Export produziert wird. | |
| Das alles braucht riesige Mengen an Wasser, die die Kapazitäten aus dem | |
| Taurus längst übersteigen. Deshalb laufen überall Pumpen, die das | |
| Grundwasser auf die Felder befördern. Da zur Übernutzung hinzukommt, dass | |
| der Regen weniger wird, sinkt der Grundwasserspiegel dramatisch. | |
| Das ist in den gigantischen Gemüseanbaugebieten in Südspanien, wo die | |
| illegalen Einwanderer von der afrikanischen Seite des Mittelmeers als | |
| billige Erntehelfer ausgebeutet werden, nicht anders. Dafür gibt es dann | |
| bereits im Winter Spargel in Berlin. | |
| ## Radikal umsteuern | |
| Beide Geschäftsmodelle, Massentourismus und intensive industrielle | |
| Landwirtschaft, sind angesichts der Klimakatastrophe für Südeuropa und die | |
| Südtürkei tödlich, wie wir jetzt sehen, und sie beschleunigen den Untergang | |
| dramatisch. Was nottäte, wäre ein radikales Umsteuern. | |
| Es reicht nicht, den Brand- und Katastrophenschutz zu verbessern, obwohl | |
| das natürlich der erste Schritt sein muss. Es braucht ein modernes, rigides | |
| Wassermanagement. Die intensive Landwirtschaft, wie sie jetzt betrieben | |
| wird, kann so nicht aufrechterhalten werden, und die Zahl der Touristen | |
| muss drastisch sinken, statt noch weiter zu steigen. | |
| Anders als beim Hochwasserschutz sind technische Lösungen gegen Hitzestress | |
| und Dürre begrenzt. Man kann zwar wie am Golf und in Saudi-Arabien | |
| Meerwasserentsalzungsanlagen bauen, doch die benötigen enorme Mengen an | |
| Energie. Die wird es nur geben, wenn die jetzigen Gewächshäuser | |
| großflächigen Solaranlagen weichen. | |
| Besser wäre es, die Landwirtschaft an die neuen, wasserärmeren Bedingungen | |
| anzupassen und Wasser wie früher wieder in Zisternen aufzufangen, statt es | |
| bedenkenlos zu verschwenden. Kommt es nicht zu einer planvollen | |
| Umstrukturierung, wird die Klimakatastrophe eine Änderung erzwingen. Nur: | |
| mit sehr viel mehr Leid für die betroffenen Menschen. | |
| 6 Aug 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.tagesschau.de/ausland/braende-griechenland-tuerkei-101.html | |
| [2] https://www.wwf.de/themen-projekte/waelder/waldbraende-weltweit | |
| [3] https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/umwelt/rhodos-verheerender-wa… | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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