# taz.de -- Autor Petros Markaris ermittelt: „Haufenweise neue Investoren“ | |
> Petros Markaris ist der bekannteste griechische Krimi-Autor und Chronist | |
> der Finanzkrise. Ein Gespräch über Corona, Waldbrände und ein Prekariat | |
> mit Master-Abschluss. | |
Bild: Chronist Griechenlands: Schriftsteller Petros Markaris | |
taz: Herr Markaris, wie geht es Ihnen? | |
Petros Markaris: Gut. Meine Rettung war, dass ich während der Lockdowns | |
meinen Arbeitstag fortsetzen konnte. Ich habe schon seit Jahren ganz | |
bestimmte Zeiten, zu denen ich schreibe. | |
Sie sind 84 Jahre jung und ganz gut durch die Coronapandemie gekommen? | |
Das Einzige, was mich wirklich belastet hat, waren die Abende. Während des | |
Lockdowns war es nicht möglich, mit Freunden ein Glas Wein zu trinken. | |
Jetzt kann man in Athen aber endlich wieder mit bis zu zehn Leuten | |
gemeinsam im Café sitzen und etwas trinken. | |
Nun haben schwere Brände im Norden Athens gerade auf einige Vororte | |
übergegriffen. Was bekommen Sie in der Innenstadt von den Feuern mit? | |
Es ist sehr heiß, riecht nach Rauch und regnet enorm viel Asche vom Himmel. | |
Man kann draußen kaum noch atmen. Die Behörden empfehlen, dass wir in | |
unseren Wohnungen bleiben sollen. | |
Die Brände und eine anhaltende Hitze mit Temperaturen um die 40 Grad, was | |
sagen Sie zu den Ursachen? | |
Die Kombination von Hitze und Dürre ist selbst für Griechenland klimatisch | |
extrem. Es hat in Athen monatelang nicht mehr richtig geregnet, abgesehen | |
von einigen kurzen Gewittern. Ihr habt in Deutschland zu viel Wasser, wir | |
zu viel Sonne. Es scheint offensichtlich, dass das gesamte Klima auf dem | |
Planeten durch den Menschen immer stärker verändert wird. | |
Tausende wurden in Griechenland wegen der Feuer evakuiert, müssen bei | |
Verwandten unterkommen. Das Wasser wird schon knapp in der Stadt. Haben die | |
Behörden die Situation noch unter Kontrolle? | |
Die Waldbrände scheinen noch nicht überall unter Kontrolle. Dennoch hat es | |
bis jetzt in Athen keine großen Stromausfälle oder eine Wasserknappheit | |
gegeben, außer in den Gegenden, die an das Brandgebiet grenzen. Aber es ist | |
noch zu früh, um eine endgültige Abrechnung zu machen. | |
Ihre literarische Hauptfigur, Kommissar Kostas Charitos, liebt es, sich | |
Souflaki zu besorgen, worüber sich seine Frau wegen seiner Gesundheit immer | |
sehr aufregt. Mögen Sie die Fleischspießchen auch so gern? | |
Ab und zu esse ich Souflaki, aber mein Lieblingsgericht ist das nicht. | |
Sie verbringen die Sommer regelmäßig in Athen und nicht irgendwo auf dem | |
Land oder am Meer, warum? | |
Weil es normalerweise in der Stadt dann schön leer ist. Aber in diesem Jahr | |
sind eher wenige Leute in den Urlaub gefahren. Dass ich im Sommer nicht | |
reisen mag, hat aber auch damit zu tun, dass ich im Herbst für gewöhnlich | |
unterwegs und auf Lesetour bin. Letztes Jahr konnte es jedoch keine | |
Lesungen geben. Und jetzt wird gerade diskutiert, ob man ab September | |
wieder vernünftig planen kann. | |
Letzten Sommer war die Corona-Inzidenz in Griechenland niedrig. Zuletzt | |
hingegen schossen die Ansteckungszahlen in die Höhe. Was sind die Gründe | |
dafür? | |
Das liegt zum einen an der ansteckenderen Deltavariante. Und es gibt viele | |
in der Altersgruppe 40 bis 60, die sich nicht impfen lassen. Diese Menschen | |
sind leider ungeschützt. Mitte Juli wurden neue Regeln aufgestellt. Es gibt | |
jetzt eine Impfpflicht für alle, die im Gesundheitswesen arbeiten oder bei | |
der Armee sind. | |
Wie kommt das an? | |
Es gibt dagegen größere Demonstrationen in Athen und Thessaloniki. Aber | |
auch auf einigen Inseln, wie Rhodos. Inzwischen finden sie fast jeden | |
zweiten Tag statt, in Athen nahmen zuletzt 4.500 Menschen teil. | |
Wer demonstriert da? | |
Die Impfgegner. Ein Drittel der Griechen ist gegen die Impfungen, viele | |
wollen sich auf keinen Fall impfen lassen. Andere demonstrieren gegen | |
bestimmte Maßnahmen, wie, dass Ungeimpfte beim Krankenhauspersonal und in | |
der Altenpflege temporär nicht arbeiten dürfen. Oder gegen die Pflicht | |
regelmäßiger Tests für Lehrer oder das Personal in der Gastronomie, die sie | |
selbst bezahlen sollen. Bei den Demonstrationen sieht man auch Anhänger der | |
rechtsextremen Partei Goldene Morgenröte, die voriges Jahr gerichtlich zur | |
kriminellen Vereinigung erklärt und aufgelöst wurde. Sie demonstrieren | |
sogar in den Kirchen. | |
Wie bitte? | |
Sie sagen, Gott schützt uns, wir brauchen keine Vakzine. Doch die | |
Geistlichen rufen mehrheitlich zu Impfungen auf. | |
Hat Covid-19 das Gesundheitssystem Griechenlands überfordert? Die Regierung | |
stand wegen der Unterfinanzierung des Systems stark in der Kritik. | |
Nein. Griechenland ist ein Land der Überraschungen. Das System war marode, | |
aber man hat sehr schnell und effizient reagiert. Zum einen gab es strikte | |
Ausgangssperren, um die Ansteckungszahlen niedrig zu halten. Und zum | |
anderen wurden sehr viele Intensivbetten eingerichtet. Die Situation war | |
während des Winters in den letzten beiden Jahren, jeweils bis zum Mai, sehr | |
ernst. Aber selbst bei hohen Inzidenzen gab es immer noch freie Betten, | |
auch wenn manche davon auf dem Gang stehen. Die Impfkampagne hat ebenfalls | |
eine Weile sehr gut funktioniert. Die griechische Impfquote liegt nur | |
geringfügig unter der deutschen. | |
Der Staat ist seit der Finanzkrise einem strikten Sparkurs verpflichtet. | |
Nun in der Pandemie hat er ordentlich Geld in die Hand genommen? | |
Ja, das tat die Mitte-rechts-Regierung von Kyriakos Mitsotakis, die 2019 | |
das Kabinett von Alexis Tsipras von der linken Syriza abgelöst hat. Noch | |
einen Lockdown, der ja teuer ist, hat der Ministerpräsident allerdings | |
kürzlich kategorisch ausgeschlossen. | |
Eines der großen Wahlversprechen von Kyriakos Mitsotakis war eine | |
„Investitionsexplosion“ für das ganze Land. In Ihrem neuen Kriminalroman | |
„Das Lied des Geldes“ haben Sie nun die Mörder auf ausländische Investoren | |
angesetzt? | |
Überall in Griechenland wird von Investitionen gesprochen. Es kommen | |
haufenweise neue Investoren, zuletzt auch Amazon. In diesem Roman habe ich | |
aus der Nähe betrachtet, wie hart die Maßnahmen gegen die Finanzkrise den | |
Mittelstand getroffen haben. Es wird nicht investiert, damit es den | |
Menschen besser geht oder der Mittelstand sich erholen kann, sondern um mit | |
billigen Arbeitskräften hohe Gewinne zu erzielen. Viele Griechen spüren | |
zunehmend, dass sie von den Gehältern, die sie bekommen, kaum leben können. | |
Ein Thema auch [1][in Ihrem vorigen Charitos-Roman], „Zeiten der | |
Heuchelei“… | |
Mit Grund. Während der Finanzkrise haben sehr viele der über 50-Jährigen | |
ihre Arbeit verloren. Ihre Jobs werden heute von jungen Leuten erledigt, zu | |
einem Bruchteil dessen, was die Älteren verdient hatten. Ich hatte noch | |
Gelegenheit, die alten, die klassischen Proletarier kennenzulernen. Die | |
konnten zum Teil nicht mal ihren eigenen Namen schreiben. Heute haben wir | |
in Griechenland ein neues, ein junges schlecht bezahltes Proletariat – aber | |
mit Master-Abschluss. | |
Wie kommen die jungen Leute in Ihrem Bekanntenkreis zurecht? | |
Die leben fast alle noch bei ihren Eltern. Mit ihrem Gehalt können sie sich | |
weder Lebensunterhalt noch Miete leisten. Den aktuellen Roman habe ich auch | |
geschrieben, um zu zeigen, wie die Linke versagt hat. | |
Die Sie zu Beginn von „Das Lied des Geldes“ auf einer Kundgebung symbolisch | |
zu Grabe tragen lassen. Welche Linke ist gemeint? | |
Ich lasse sie von Sissis, einem Altlinken, der den Bürgerkrieg 1946–1949 | |
noch erlebt hat, beerdigen. Er trägt jene Linke zu Grabe, die während der | |
Romanhandlung bestand. Also nicht die Kommunistische Partei, die immer das | |
Gleiche sagt, als ob es 1989 das Ende der Sowjetunion nicht gegeben hätte. | |
Auch nicht die sozialdemokratische Pasok, die bei den letzten Wahlen acht | |
Prozent der Stimmen erhielt. Gemeint ist die neue Linke, die den Namen | |
Syriza trägt. Sie hatte infolge der Finanzkrise die Regierungsgeschäfte | |
übernommen und dann das Gleiche gemacht wie die Mitte-rechts-Regierung. | |
Obwohl Syriza die Leute mit Versprechen gewonnen hatte, sie würde mit den | |
fiskalischen Vorgaben durch Europa anders umgehen. Die Linke, in der ich | |
engagiert war, war eine Bewegung des Protests, der Unterstützung der armen | |
Schichten der Bevölkerung. | |
Im Roman nimmt eine ähnliche Bewegung wieder an Fahrt auf. Gibt es sie | |
aktuell in Griechenland? | |
Nein. Aber ich wollte zeigen, dass es die Möglichkeit gibt, dass man sich | |
selbst engagiert, in einem breiten Bündnis, mit klassischen Armen, dem | |
verarmten Mittelstand und Migranten. Also Eigeninitiativen aus der | |
Bevölkerung. Die sind andererseits natürlich auch anfällig und darin | |
gefährlich, weil der Rechtspopulismus mit ihnen oft leichtes Spiel hat. | |
In Ihrem Roman geht das gut. Es gibt keinen Rechtsextremismus in der | |
Bewegung. Dafür sorgt durch geschicktes Paktieren der Altkommunist Sissis, | |
den wir schon lange aus Ihren Romanen als Freund der Familie Charitos | |
kennen. Gibt es für diese Figur ein Vorbild im Realen? | |
Das sind die Linken der vorigen Generation in meinem Freundeskreis. Die | |
sind jetzt um die 90 Jahre alt. Sie teilen dieselbe Enttäuschung über die | |
heutige Linke. Wenn die Linke, wie es jetzt geschieht, überhaupt kein | |
Regierungsprogramm vorstellt und sich damit begnügt, die | |
Mitte-rechts-Regierung schlechtzumachen, so ist das nicht ausreichend. Die | |
Mitsotakis-Regierung hat alle Chancen, wiedergewählt zu werden. | |
Meinungsumfragen sagen, dass die Leute außer bei den griechisch-türkischen | |
Beziehungen auf allen anderen Gebieten, vor allem in der Wirtschaft, für | |
die nähere Zukunft eine Verschlechterung erwarten. Aber wenn sie gefragt | |
werden, was sie wählen wollen, sagen sie Mitte-Rechts. Da herrscht also | |
eine ziemliche Ratlosigkeit. | |
Tatsächlich, eine Verschlechterung der türkisch-griechischen Beziehungen | |
befürchtet man nicht? Da gab es ja im Mai wieder Säbelrasseln. Die Türkei | |
hat ein Forschungsschiff für Erdgasvorkommen in die Ägäis geschickt. | |
Diese Spannung ist nicht neu. Allerdings hat sie ihre Höhen und Tiefen. Mal | |
geht alles los und man denkt, jetzt kann es einen Krieg geben. Und dann | |
gibt es wieder eine vorübergehende Ruhe. Nur kann es sich die Türkei nicht | |
leisten, gegen Griechenland in den Krieg zu ziehen, und Griechenland kann | |
sich nicht leisten, mit der Türkei einen Krieg zu beginnen. Also müssen sie | |
verhandeln. | |
Sie wurden als [2][Sohn eines Armeniers und einer Griechin in Istanbul] | |
geboren. Auf Geheiß Ihres Vaters gingen Sie dort auf ein deutschsprachiges | |
Gymnasium. Besuchen Sie Ihre alte „Heimatstadt“, wie Sie mal gesagt haben, | |
regelmäßig? | |
Ja, Vor der Pandemie war ich zuletzt da, Anfang 2019, ich habe viele | |
Freunde dort. Ich habe auch eine Tochter, die Istanbul sehr liebt. Nur | |
liebt sie eine andere Stadt als ich. Denn ich bin in einer Stadt | |
aufgewachsen, die multinational und multikulturell war. Heute ist davon | |
fast nichts mehr übrig. Trotzdem: Ich erlebe dort immer wieder, dass es | |
keine einheitliche türkische Position gibt. Es gibt auch sehr viele, für | |
die das, was Erdoğan sagt, immer eine Provokation ist. Und wer weiß, wie | |
lange Erdoğan sich noch halten kann. | |
Sind Sie eigentlich immer optimistisch? | |
Sie haben doch meine Bücher gelesen … | |
Im jetzigen Roman findet sich eingangs ein Brecht-Zitat: „Selbst die | |
Sintflut/Dauerte nicht ewig. …“ Sie sprechen akzentfrei Deutsch. Auf Wunsch | |
Ihres Vaters haben Sie zuerst in Wien Volkswirtschaft studiert und dann | |
später das Metier gewechselt, Stücke und Drehbücher geschrieben und Brecht | |
und Goethe ins Griechische übersetzt. Legen Sie bei der Übersetzung Ihrer | |
Texte ins Deutsche auch selber Hand an? | |
Nein, da bin ich nicht groß beteiligt. Natürlich bekomme ich auch | |
gelegentlich eine Frage von meiner Übersetzerin Michaela Prinzinger. Für | |
Passagen, bei denen sie Zweifel hat, mache ich auch mal einen | |
Alternativvorschlag. | |
Sicher sind die Sprichwörter, die Sie in Ihren jüngeren Büchern zuhauf | |
verwenden, besonders schwierig. | |
Da hat die Übersetzerin anfangs sehr gelitten. Mittlerweile findet sie | |
leichter Lösungen dafür. | |
Sie haben nach Erscheinen von „Faule Kredite“ vor mehr als zehn Jahren | |
gesagt, das Buch sei der Auftakt zu einer Trilogie über die Auswirkungen | |
der Finanzkrise. Dann wurden es vier Bücher. Und jetzt erscheint schon der | |
achte Krimi zum Thema. Was schätzen Sie, wie lange es noch weitergeht? | |
Ursprünglich waren es drei Romane, der vierte war als Epilog geplant. Aber | |
dann bin ich dabeigeblieben. Was soll ich machen? Ich lebe in einer Zeit, | |
in der alles, was die Leute interessiert, die Finanzen und das Finanzsystem | |
sind. Zurzeit bin ich dabei, einen Roman um Kommissar Charitos zu | |
schreiben, bei dem es um Covid-19 geht. | |
8 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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