| # taz.de -- Parteitag der Linken von Griechenland: Syriza plant Offensive | |
| > Griechenlands Ex-Ministerpräsident Tsipras betont die Veränderungen in | |
| > seiner Partei Syriza. Bei den Wahlen im Sommer 2023 hofft er auf ein | |
| > Comeback. | |
| Bild: Rechnet mit der Regierung seines Nachfolgers ab: Alexis Tsipras auf dem P… | |
| Athen taz | Alexis Tsipras gibt sich kämpferisch. „Wir alle spüren es: Die | |
| Zeit für einen politischen Wandel ist gekommen“, ruft der frühere | |
| griechische Ministerpräsident in die große Halle. Sein Publikum applaudiert | |
| begeistert. Das ist genau das, was die rund 5.000 Delegierten im | |
| olympischen Taekwondo-Stadion am Rande Athens hören wollen. Drei Jahre nach | |
| ihrer Niederlage bei den Parlamentswahlen hofft die griechische Linkspartei | |
| Syriza auf ihr Comeback. Ihr Parteitag sei „der Beginn des Countdowns für | |
| die progressive Regierung, die das Land braucht“, macht Tsipras seiner | |
| Partei Mut. | |
| Tsipras ist nicht nur der Präsident von Syriza, er ist auch der | |
| unbestrittene Star der 2012 aus einem Wahlbündnis entstandenen Partei. | |
| Seine groß zelebrierten Auftritte hatte der 47-Jährige zum Kongressauftakt | |
| am Donnerstagabend und zum Abschluss am Sonntagnachmittag. Jeweils mehr als | |
| eine Stunde sprach er zu den rund 5.500 Delegierten, immer wieder | |
| unterbrochen von heftigem Jubel. | |
| Tsipras ist ein rhetorisch brillanter Redner, der mit der Stimmung im Saal | |
| zu spielen weiß, vergleichbar vielleicht mit Oskar Lafontaine oder Joschka | |
| Fischer in ihren besseren Tagen, nur innerparteilich weniger polarisierend. | |
| Dabei ist ihm ein Hang zum Pathos ebenso wenig abzusprechen wie eine | |
| blumige Sprache, etwa wenn er formulierte, Syriza sei „keine Partei von | |
| Ehegatten der Macht, sondern Liebhabern der Gerechtigkeit“. | |
| Seine Chancen, das Ministerpräsidentenamt zurückzuerobern, sind durchaus | |
| real. Die konservative Regierung des derzeitigen Amtsinhabers Kyriakos | |
| Mitsotakis schwächelt und hat an Ansehen in der Bevölkerung deutlich | |
| verloren. Dessen aggressive neoliberale Politik habe die soziale | |
| Ungerechtigkeit im Land dramatisch verschärft, attackierte ihn Tsipras. Der | |
| Alleinregierung der Nea Dimokratia warf er vor, das Land auszuplündern und | |
| die Demokratie zu untergraben. So würde sie kriminellen Banker:innen | |
| Immunität gewähren und gleichzeitig Journalist:innen illegal überwachen | |
| lassen. Griechenland sei zu einem Paradies für Oligarchen und zur Hölle für | |
| die Gesellschaft geworden, sagte Tsipras. Der „Albtraum der | |
| Mitsotakis-Regierung“ müsse beendet werden. | |
| ## Nächste Parlamentswahlen im Sommer 2023 | |
| Falls Mitsotakis nicht schon früher zu den Urnen ruft, finden die nächsten | |
| Parlamentswahlen im Sommer 2023 statt. Dann wird es ein einfaches | |
| Verhältniswahlrecht geben, nicht wie bisher einen Bonus von 50 Mandaten für | |
| die stärkste Partei. Diese undemokratische Regelung, die aktuell der Nea | |
| Dimokratia (ND) mit einem Wahlergebnis von unter 39 Prozent die absolute | |
| Mehrheit an Parlamentssitzen beschert, hatte Syriza während ihrer | |
| Regierungszeit abgeschafft und damit ein Wahlversprechen eingelöst. | |
| Inzwischen hat die ND zwar erneut ein Bonussystem eingeführt, das greift | |
| aber erst wieder beim übernächsten Mal. | |
| Dass es nach der kommenden Wahl erneut zu einer Alleinregierung einer | |
| Partei kommt, gilt daher als unwahrscheinlich. In den aktuellen Umfragen | |
| rangiert die ND um 35 Prozent, Tendenz sinkend. Syriza liegt zwischen 24 | |
| und 29 Prozent. An dritter Stelle steht die sozialdemokratische Kinima | |
| Allagis (KA) mit rund 15 Prozent. Hinter der verbirgt sich die einstige | |
| Langzeitregierungspartei Pasok. Zusammen mit ihr sind die Aussichten für | |
| Syriza nicht schlecht – falls die KA zur Zusammenarbeit bereit ist. Tsipras | |
| umwirbt sie heftig, ebenso ihre Anhänger:innen, die er zu Syriza | |
| herüberziehen will. Das macht das Verhältnis zwischen den beiden Parteien | |
| schwierig. | |
| Für einige Aufregung sowohl bei der politischen Konkurrenz als auch in den | |
| griechischen Medien sorgte, dass Tsipras am Donnerstag davon sprach, die | |
| Alternativen in Griechenland seien „Barbarei und Sozialismus“. Am Sonntag | |
| stellte er dann klar, dass das nicht ganz so revolutionär gemeint war, wie | |
| es klang. „Sozialismus ist unsere Vision“, sagte Tsipras. Doch was Syriza | |
| an der Regierung zunächst umsetzen wolle, sei „nicht der Sozialismus“. | |
| Konkret nannte er als Programm für die ersten 100 Tage eine Erhöhung des | |
| Mindestlohns, die Verbesserung des desolaten griechischen | |
| Gesundheitssystems, Maßnahmen gegen die explodierenden Energiekosten, die | |
| Bekämpfung der Wohnungsnot junger Paare, die Wiedereinführung einer 13. | |
| Monatsrente für alte Menschen und die Wiederherstellung von | |
| Arbeitnehmer:innenrechten, die die Mitsotakis-Regierung abgeschafft hat. | |
| Syriza hat während ihrer Regierungszeit viel Lehrgeld zahlen müssen. Eine | |
| Lehre daraus ist, nicht mehr allzu große Versprechungen zu machen. | |
| ## Syriza ist auf Modernisierungskurs | |
| Nach der Wahlniederlage 2019 hat sich die „Koalition der radikalen Linken“, | |
| wofür die Abkürzung Syriza steht, einen Namenszusatz gegeben. Ihr | |
| vollständiger Parteiname lautet jetzt Syriza – Progressive Allianz. Mit | |
| ihren 61.600 Mitgliedern ist sie inzwischen größer als die deutsche | |
| Linkspartei – obwohl die griechische Bevölkerung wesentlich kleiner als die | |
| deutsche ist. Dabei hat Syriza den Anspruch, eine „Partei der Bewegung und | |
| der Erneuerung“ zu sein. | |
| Einen breiten Raum nahm auch die Diskussion über eine Veränderung der | |
| Parteistrukturen ein. Mit großer Mehrheit beschloss der Kongress, dass | |
| künftig der Parteipräsident und das Zentralkomitee (ZK) nicht mehr von | |
| einem Parteitag, sondern basisdemokratisch in einer Urabstimmung von allen | |
| Mitgliedern gewählt werden. | |
| Und erstmalig führte eine griechische Partei eine 50-Prozent-Frauenquote | |
| für ihr Führungsgremium ein. Falls Syriza die kommende Regierung bilden | |
| könne, dann werde das auch die erste mit einer gleichberechtigten | |
| Beteiligung von Frauen in Regierungspositionen sein, versprach Tsipras. | |
| „Die Botschaft lautet: Wir verändern uns, um das Land zu verändern“, | |
| begründete Tsipras die beschlossenen Strukturveränderungen. Ziel sei, | |
| Syriza zu einer der demokratischsten und partizipativsten Parteien in | |
| Europa zu machen. Weiterhin gültig sind die schon bisher geltenden | |
| Minderheitsschutzrechte im Wahlverfahren, die verhindern, dass eine | |
| 51-Prozent-Mehrheit bei der Wahl mehr als 70 Prozent der Mitglieder im ZK | |
| stellen kann. Die Urabstimmung soll am 15. Mai stattfinden. Dass Tsipras | |
| auch danach Syriza vorstehen wird, daran besteht kein Zweifel. | |
| ## „Wichtig, dass alle progressiven Kräfte gemeinsam handeln“ | |
| Die lautstarke Minderheit der EU-Gegner:innen hatte bereits Mitte 2015 | |
| Syriza verlassen, nachdem sich die Regierung von Tsipras nur eine Woche | |
| nach dem eindrucksvollen Oxi-Votum der Bevölkerung gegen das Spardiktat der | |
| Eurogruppe gezwungen gesehen hatte, sich diesem doch zu unterwerfen. „Wir | |
| setzen uns für einen anderen Kurs für Europa ein“, sagte Tsipras am | |
| Sonntag. Für das Ziel eines vereinten Europas würde sich seine linke Partei | |
| auch mit anderen Kräften beraten: den Grünen und den Sozialdemokrat:innen. | |
| Tatsächlich versucht Syriza auf europäischer Ebene einen Spagat. Einerseits | |
| ist sie nach wie vor Mitglied der Europäischen Linken (EL), dem | |
| Zusammenschluss von Parteien links der Sozialdemokratie, und will das | |
| bleiben. Auch der deutsche EL-Präsident Heinz Bierbaum war beim Kongress | |
| dabei. Andererseits nimmt Tsipras jedoch als Beobachter an den | |
| Versammlungen der Sozialdemokratischen Partei Europas teil. Dahinter steckt | |
| auch die strategische Hoffnung, bei einer erneuten Regierungsübernahme | |
| nicht mehr so isoliert in Europa dazustehen wie beim ersten Anlauf. | |
| Dass seine Bemühungen durchaus auf Gegenliebe stoßen, zeigten die | |
| Videogrußbotschaften von Enrico Letta, Vorsitzender der Partito Democratico | |
| in Italien, und vor allem des portugiesischen Premiers António Costa, der | |
| ganz auf Tsipras-Linie sagte, es sei „heute wichtig, dass alle progressiven | |
| Kräfte gemeinsam handeln“. Aus Spanien wurden nicht nur die | |
| Generalsekretär:innen der kleineren linken Regierungsparteien | |
| Podemos und Izquierda Unida eingespielt, auch der sozialdemokratische | |
| Ministerpräsident Pedro Sánchez schickte ein Grußwort. | |
| Tsipras wiederum bezeichnete in seiner Eröffnungsrede Portugal und Spanien | |
| als positive Beispiele für „fortschrittliche Regierungen, die versuchen, | |
| einen Weg zu gehen, der Ungleichheiten verringert, anstatt sie zu | |
| vergrößern, selbst in Krisenzeiten“. | |
| ## Tsipras stolz auf Nordmazedonien-Abkommen | |
| Für herzlichen Applaus sorgte am Freitag der Auftritt des | |
| sozialdemokratischen Ex-Ministerpräsidenten Nordmazedoniens, Zoran Zaev, | |
| auf dem Parteitag. Zaev hatte mit Tsipras 2018 das Prespa-Abkommen | |
| vereinbart, mit dem die jahrzehntelang erbittert geführte | |
| Auseinandersetzung um den Namen von Griechenlands Nachbarrepublik beendet | |
| werden konnte. „Mit Alexis haben wir für den Frieden gearbeitet und es ist | |
| uns gelungen, einen Streit mit tiefen historischen Wurzeln zu lösen“, sagte | |
| Zaev. Es sei „nicht nur das Gesetz der Starken, das sich durchsetzen kann“, | |
| fügte er mit Blick auf den russischen Überfall auf die Ukraine hinzu. | |
| Er sei „stolz darauf, dass wir an das historische Prespa-Abkommen geglaubt | |
| und es um jeden Preis umgesetzt haben“, sagte Tsipras. Gegen die | |
| Vereinbarung, durch die Mazedonien in Republik Nordmazedonien umbenannt | |
| wurde, hatten in beiden Ländern Nationalist:innen mobil gemacht. In | |
| Griechenland zerbrach darüber die Regierungskoalition von Syriza mit einer | |
| nationalistischen Kleinpartei. Letztlich stimmte das griechische Parlament | |
| nur dank Abweichler:innen aus der Opposition ganz knapp dafür. | |
| Das Abkommen sei eine „Botschaft des Friedens und der Solidarität der | |
| Völker“, die „jetzt in den Tagen des Krieges noch wichtiger ist“, sagte | |
| Tsipras, der die Invasion Russlands scharf verurteilte. Seine Solidarität | |
| gelte der leidenden ukrainischen Bevölkerung. | |
| 18 Apr 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
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