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# taz.de -- Mountain-Goats-Album „Dark in Here“: Lo-Fi an der Grenze zur Er…
> Der rastlose Musiker und Autor John Darnielle und seine Band Mountain
> Goats sind wieder da. „Dark in Here“ heißt ihr neues, düster fiebriges
> Album.
Bild: Mountain Goats beim geselligen Programmteil. John Darnielle ist der mit d…
Eigentlich wollte John Darnielle nie „John Darnielle“ sein. Ging man mit
dem Sänger der Mountain Goats früher, also zirka 1995, Plattenshoppen und
fragte – auf Geheimtipps hoffend –, worauf er aus sei, schoss er Volley und
ansatzlos raus: „Bootlegs von Tanita Tikaram!“ Die britische Sängerin, die
seit ihrer einzigen Hitsingle „Twist in My Sobriety“ (1988) den langen
traurigen Abwehrkampf einer welkenden Karriere führt, ist ein Charakter
ganz nach Darnielles Geschmack. Vor allem aber wirft die Antwort einen
Stein in die Mechanik des Erwartbaren. Stoppt das Klischee. Sabotiert das
Abziehbild.
Solche Haken schlägt Darnielle regelmäßig. Als die Mountain Goats Mitte der
1990er mit verrauschten Akustiksongs auf billigen Tapes in Kalifornien
auftauchten und einen kurzen, aber heißen Lo-Fi-Hype anzettelten, da traute
diesem dürren Schnellsprecher mit linkischen Bewegungen und vernuscheltem
Humor niemand zu, dass er Death-Metal-Ultra ist. Keine:r hatte erwartet,
dass er sich für Wrestler begeistert. Oder für Rollenspiele. Oder für das
Schicksal von [1][Sisters-of-Mercy-Sänger Andrew Eldritch].
John Darnielle ist Komödiant und Lyriker, Fanboy und Expressionist. Sein
bislang größter Coup aber: die Mountain Goats von einem akustischen
One-Man-Schrammel-Fest zu einer professionellen, vielschichtigen
(Indie-)Band mit breiter Anhängerschaft und anhaltend hohem Output zu
machen.
Als Darnielle Ende Februar letzten Jahres mit seiner Band zu Aufnahmen in
den tiefen Süden der USA aufbricht, ist das Coronavirus eine
Auslandsgeschichte. Das große Thema sind die Vorwahlen der Demokraten.
Super Tuesday. Wer gegen Trump? Während sich Amerika für die Wahl
aufstellt, stehen die Mountain Goats in Memphis im Studio von
Sun-Records-Gründer Sam Phillips und nehmen „Getting Into Knives“ auf, ihr
erstes Pandemiealbum.
## Er komponiert Songs fast so schnell wie er spricht
Nach einer Woche fahren sie zweieinhalb Stunden ostwärts zum ähnlich
legendären Fame Studio in Muscle Shoals, Alabama. Aretha Franklin, Wilson
Picket und die Rolling Stones schworen in den 1960ern auf den Sound der zum
Studio umgebauten Tabaklagerhalle. Vor ein paar Jahren wurde all das in
einem prämierten Film gewürdigt.
Während die USA sich zügig Richtung Lockdown bewegen, isolieren sich die
Mountain Goats eine Woche im Fame Studio und nehmen „Dark In Here“ auf, den
zweiten Schwung Songs, den Darnielle mitgebracht hat. John Darnielle
komponiert Songs fast so schnell wie er spricht. Inzwischen sind es
Hunderte, verstreut über knapp 20 Alben, ungezählte Singles und EPs.
Er tut dies konzentriert und mit beachtlicher Qualität. Zuletzt waren es
thematisch geschlossene Alben über Pro-Wrestler, Goth-Fans oder „Dungeons &
Dragons“. Mit dem Talent, Charaktere zu entwerfen, sie über starke
Situationen zu entwickeln und in größeren Zusammenhängen zu verbinden, ist
der Schritt vom Konzeptalbum zum Roman ein kleiner. So wächst neben dem
Berg Mountain-Goats-Alben inzwischen auch ein Stapel [2][gefeierter
Darnielle-Romane].
Zeit also für etwas Neues, den nächsten Haken. Schon „Getting Into Knifes“
war kein Konzeptalbum über Messerfreaks, sondern eine Sammlung kompakter
Kurzgeschichten, zusammengehalten von einem intensiven Studiosound. Daran
knüpft „Dark in Here“ mit seinem erdigen räumlichen Südstaaten-Sound an.…
ist keine düstere Musik, aber doch weniger offen als der Vorgänger, im
Ambiente rauchiger, jazziger, bockiger.
## Nichts ist Dekor
Regie am Mischpult führt das Memphis-Produzenten-Wunderkind Matt
Ross-Spang, der dem Sun Studio seine Seele zurückgegeben hat. Im Studio
aber webt Spooner Washington, seit Jahrzehnten Teil der Fame-Hausband und
Sidekick von Bob Dylan bis Neil Young, feine Klavier- und Keyboardfiguren
ein wie Goldfäden. Nichts hier ist Dekor. Bläser, Akkordeon, E-Piano… all
das ist exakt gesetzt und trägt die Songs, verziert sie nicht bloß. Und
lässt sie oft genug ausschlagen.
Das fantastisch düstere Titelstück baut zwei Minuten lang Spannung auf und
führt sie gekonnt an der Grenze zur Eruption entlang. „Lizard Suit“
steigert sich mit dem gleichen dynamischen Prinzip in einen fast
freejazzigen Höhepunkt.
In vielen der zwölf Songs lauert etwas Ungezähmtes, Wildes, wie man es in
Alabamas Sümpfen vermutet. Nach zwei Wochen in legendären Studios und zwei
aufgenommenen Alben kehrt John Darnielle zurück in einen heruntergefahrenen
Alltag. Und was tut er nach diesen intensiven 14 Tagen am Anfang einer
langen Pandemie? Ja, er nimmt sich ein dickes Buch („Moby Dick“) und seine
Akustikgitarren.
Jeden Tag schreibt er einen Song über einen dicken Ziegel des französischen
Gräzisten Pierre Chuvin. Und er holt die alte Panasonic Boombox aus dem
Keller und spielt ihm diese Songs vor, drückt auf „record“ – und nimmt d…
dritte Album binnen dreier Wochen auf, ganz so wie einst in den
Lo-Fi-Jahren. Ganz so wie „John Darnielle“.
26 Jul 2021
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## AUTOREN
Gregor Kessler
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