Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album von Bright Eyes: Die Welt zerbricht in Stücke
> Sichere Bank für alle Versehrten: Das US-Trio Bright Eyes ist wieder da –
> mit einem neuen Album namens „Down in the Weeds, Where the World Once
> Was“.
Bild: Wieder da: Connor Oberst (Mitte) und Bright Eyes
Conor Oberst ist unrasiert und wirkt müde. Seine kinnlangen Haare lugen
unter einer Basecap hervor. Erst vor wenigen Monaten hat der Sänger der
US-Band Bright Eyes seinen 40. Geburtstag gefeiert. [1][„Ich habe im Alter
von 14 angefangen], in Bands zu spielen, bin dann durch die ganze Welt
gereist. Jetzt fühle ich mich wie 105. Na ja, vielleicht nicht ganz so alt.
Aber ich schätze mal, dass ich mehr Jahre hinter mir habe als vor mir.“
Conor Oberst sitzt zu Hause in [2][Omaha] und blickt angestrengt in die
Kamera seines Computers. Im Hintergrund kläffen ein Terrier und ein
Schäferhundmischling.
Die Nachrichten der Wiedervereinigung von Obersts Band Bright Eyes klingen
nach einer runden Sache: Drei gute Freunde, die nie den Kontakt zueinander
abgebrochen hatten, entscheiden zu Weihnachten, ihr Bandprojekt
wiederaufzunehmen. Fröhliche Musik hat dabei niemand erwartet, Bright Eyes
standen schon immer für einen pessimistischen Blick auf die Welt. Auch der
Art-Garfunkel-Song, nachdem sich die Band einst benannt hat, handelt ja vom
Tod.
Und so schwingt selbst bei der Geschichte um die Wiedervereinigung von
Bright Eyes auch etwas Bemitleidenswertes mit: Conor Oberst und
Multiinstrumentalist Mike Mogis sind inzwischen beide geschieden. Haben
sie sich einfach nach der alten, vertrauten Kumpelgeborgenheit gesehnt, als
sie an jenem Weihnachtsabend in Omaha zusammensaßen und Nate Walcott in Los
Angeles anriefen, um einen Neustart zu versuchen?
## Unkraut vergeht nicht
Wenigstens ist Walcott inzwischen Vater geworden und bringt so ein bisschen
Aufbruchstimmung in die Band. „Down in the Weeds, Where the World Once Was“
– „Weed“, das titelgebende Unkraut vergeht nicht. Es sei ja das Erste, das
nach einer Zerstörung von einem Ort Besitz ergreife, erklärt Oberst der
taz. Seine spezielle Art, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.
Ansonsten ist der Titel des neuen Bright-Eyes-Albums vor allem: eine schöne
Alliteration.
Obersts Songtexte sind gewohnt kryptisch, vielleicht sogar noch kryptischer
[3][als die Hieroglyphen eines Bob Dylan, mit dessen Reimen] Obersts Lyrics
immer wieder verglichen werden. Beide schildern in ihren Songs ähnlich
bedeutungsschwangere, fiebrige Visionen von fast biblischer Schwere: „I
read God is dead / I shed some tears for him / But I swear on his grave /
I’ll never do it again“, heißt es in „Sing and Dance“ von Bright Eyes.
Auch jetzt wieder wird gefühlt in jedem zweiten ihrer Songs das Ende der
Welt konstatiert. Aber es lässt sich auch Persönliches herauslesen aus den
14 neuen Stücken: In „Tilt-A-Whirl“ begegnet Oberst im Traum seinem vor
wenigen Jahren verstorbenen Bruder. „Forced Convalescence“ handelt von der
Ruhe nach Erschöpfungszuständen und es klingt zynisch, wenn er darin singt:
„Now I’ve recovered completely / Life is easy / Hula-hooping around the
sun.“ In „To Death’s Heart (In Three Parts)“, einem der eindrücklichst…
Songs auf dem Album, besingt Oberst die Bitterkeit am Ende seiner
Beziehung.
## Katholizismus, Liebe und Terror
„Der Titel spielt darauf an“, sagt der 40-jährige US-Künstler, „dass in
jeder Strophe ein nichtenglisches Wort vorkommt. Am Anfang geht es um den
Papst, der die Menge segnet: benedicente. Danach kommt ein Originalzitat
meiner Ex; ich hatte sie gefragt, wie es ist, mit mir zu leben, und sie hat
geantwortet ‚ermüdend‘, auf Spanisch agotante. Und in der letzten Strophe
geht es um den islamistischen Anschlag auf das Bataclan in Paris, und die
Menge singt éphémère, alles ist vergänglich.“ Katholizismus, gescheiterte
Liebe, Terror, vereint in einem düster-schönen Song – das ist groß.
Oder doch einfach nur viel zu dick aufgetragen? Und überhaupt, macht es
sich Oberst nicht etwas arg leicht mit seinem weinerlichen Vortrag, der
immer schon das ganze Gewicht der Welt zu tragen scheint, der kaum Melodien
kennt, und mit seinem immer gleichen Auf und Ab weniger Gesang ist denn
Litanei? Bemerkenswert ist, wie viele Herzen die drei Musiker von Bright
Eyes damit schon berührt haben.
Und die Anerkennung kam von verschiedensten Seiten: Auf dem Album „I’m Wide
Awake It’s Morning“ (2005) hatte Country-Ikone Emmylou Harris mitgesungen,
dann hat ihnen Mac Miller mit zwei Coverversionen die Ehre erwiesen, und
die US-Rapper Lil Peep und Young Thug haben sie gesampelt. Bright Eyes sind
Giganten des zuletzt eher mäßig beleumundeten Indie-Rock. Sie zehren nicht
nur von vergangenem Ruhm, sondern sind – auch nach neun Jahren Kunstpause –
noch verankert in der absoluten Pop-Gegenwart.
## Immer stärkerer Zweifel
Dass das Trio einen Künstler wie [4][Flea von den Red Hot Chili Peppers als
Bassisten] für das neue Album gewinnen konnte, ist da fast schon eine
Randnotiz. Mit ihrem Pessimismus sind Bright Eyes ja eine sichere Bank für
alle Zweifler, für alle Versehrten, von denen es von Jahr zu Jahr mehr zu
geben scheint. Und die sich auch jetzt in Songs wie „Mariana Trench“
wiederfinden können: Von Stonehenge bis zur Gegenwart, vom Gipfel des Mount
Everest bis tief hinunter in den Marianengraben, geschichts- und
weltumgreifend wird da die hoffnungslose Lage des Menschengeschlechts im
Kapitalismus beschworen.
Bombast ist gar kein Ausdruck, aber der Bright-Eyes-Bombast hat ausreichend
musikalisches Feintuning, um auch für die Indie-Connaisseurin interessant
zu wirken. Die Musik klingt wie um Obersts Litaneien herum gemalt, und das
mit großer Lust am Experiment – Schlagzeug, Streicher, Bläser werden mal
getupft, mal breiter ausgegossen, gerne verzerrt, und immer wieder kriegen
sie die Kurve zum Popsong. Dabei klingt kein Stück wie das andere, jeder
Song scheint genau das Arrangement bekommen zu haben, das er braucht: Dies
zu hören ist eine Freude.
Mogis, Walcott und Oberst sind auf „Down in the Weeds …“ auf dem bisherig…
Höhepunkt ihres Schaffens. Nicht zu vergessen Corona: Wie geht es dem
Apokalyptiker Oberst seit Ausbruch der Pandemie, fühlt er sich bestätigt?
„Ich hatte schon immer eine Neigung, die Welt sehr pessimistisch zu
betrachten. Aber ganz ehrlich, was jetzt passiert, diese Pandemie, das habe
nicht mal ich erwartet. In den USA sind bis jetzt schon rund 183.000
Menschen gestorben, mehr als doppelt so viele, wie US-Soldaten im
Vietnamkrieg gefallen sind. Und das in nur sechs Monaten, der Vietnamkrieg
dauerte 20 Jahre. Dieser hohe Verlust von Menschenleben an einen Virus ist
so irre, und wir haben noch nicht einmal angefangen zu verstehen, was da
gerade passiert. Es ist auch keine Verlangsamung in Sicht, nein, die Sache
nimmt weiter an Fahrt auf.“
## Progressive Idee und politischer Wandel
Trotz ihres Pessimismus waren Bright Eyes aber immer auch eine Band, die
ihre Musik für progressive Ideen und politischen Wandel eingesetzt hat,
spätestens seit sie 2004 auf der „Vote for Change“-Tour mit Bruce
Springsteen, R.E.M. und Neil Young für den demokratischen
Präsidentschaftskandidat John Kerry auf die Bühne gegangen sind.
Auch jetzt würde Oberst sich gern wieder aktiv einbringen, wirkt aber etwas
ratlos: „Na klar, ich werde Joe Biden und Kamala Harris unterstützen. Ich
wäre glücklich, wenn ich irgendwie daran mitwirken könnte, demokratische
Wähler:innen zu mobilisieren. Ich weiß nur im Moment nicht, wie das
aussehen soll, während der Pandemie. Aber ich würde mir einen Arm abhacken,
wenn es helfen würde, dass Trump keine zweite Amtszeit bekommt.“
Den Anfang des Lockdowns hat Conor Oberst zurückgezogen mit seiner Freundin
in Los Angeles verbracht. Jetzt sitzt er mit den beiden Hunden in seinem
Haus in Omaha, Nebraska, und schimpft, wie es seine Art ist, auf die
Gegenwart: „Verflucht noch mal: Man lebt und ist unglücklich. Aber wenn ich
zurückschaue, erinnere ich mich nur an die schönen Dinge. Die ersten Wochen
im Lockdown war ich total verzweifelt, weil ich dachte, die Welt zerbricht
in Stücke. Und jetzt sitze ich alleine in Omaha und denke: Damals, das war
super, ich hatte es wirklich gut, eingeschlossen mit meiner Freundin.“ Und
da lacht er kurz auf, der alte Indie-Held, der so müde aussieht.
Wie geht es nun weiter? „Wir wollten eigentlich auf zweijährige Welttournee
gehen. Im Moment weiß ich nicht, warum ich überhaupt morgens aufstehen
soll. Also, um die Frage zu beantworten: Ich habe keine Ahnung! Wenn sich
etwas an der Situation ändert, haben wir nächsten Sommer zehn Auftritte.
Und ansonsten … versuche ich, bei Verstand zu bleiben und angesichts der
Umstände so glücklich wie möglich zu sein.“
2 Sep 2020
## LINKS
[1] https://blogs.taz.de/popblog/2012/09/25/never-get-old-ein-interview-mit-con…
[2] /Omaha-Ausstellung-im-Humboldt-Forum/!5596872/
[3] /Bob-Dylans-Album-Tempest/!5083949/
[4] /Der-verlorene-Sohn-von-Joel-Edgerson/!5572092/
## AUTOREN
Dirk Schneider
## TAGS
Indierock
Los Angeles
Neues Album
Musik
Pop
US-Wahl 2024
Folk
Ty Segall
Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mountain-Goats-Album „Dark in Here“: Lo-Fi an der Grenze zur Eruption
Der rastlose Musiker und Autor John Darnielle und seine Band Mountain Goats
sind wieder da. „Dark in Here“ heißt ihr neues, düster fiebriges Album.
Neues Album von Future Islands: Flennen mit den Profis
Große Gefühle sind bierzeltkompatibel: Die US-Band Future Islands lässt es
auf ihrem neuen Album „As Long As You Are“ wieder menscheln.
Bob Mould über Protestsongs: „Musik kann die Welt verändern“
Der US-Sänger hat ein wütendes Protestalbum herausgebracht. Ein Gespräch
über Amerikas Krise, Trumps Wiederwahl und politisches Engagement.
Neues Album der Fleet Foxes: Höchste Zeit für den Hund
Robin Pecknold haut mit seiner Band Fleet Foxes ein lebensbejahendes Album
namens „Shore“ raus. Es ist alles andere als modisch geworden.
US-Garagenrock von Mikal Cronin: Vorwärts, weitermachen
Musikgeschichtlich bestens informiert: Mikal Cronin aus der kalifornischen
Garagenrockszene spielte mitsamt Band in Berlin.
Hamburger Konzert von Yo La Tengo: Unprätentiöses Schrubben
Das US-Indierock-Trio Yo La Tengo spielte im Hamburger „Zirkuszelt am
Nobistor“. Neue Songs, Coverversionen und alte Hits standen auf dem
Programm.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.