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# taz.de -- Debütalbum von Wet Leg: Pläne schmieden auf der Gästecouch
> Kleiner Hype für zwischendurch: Das britische indie-schmindie Frauenduo
> Wet Leg hat Vorschusslorbeeren bekommen. Nun erscheint das Debütalbum
Bild: Mögen's verknäuelt: Rhian Teasdale und Hester Chambers von Wet Leg
Hach, wie schön es wäre, so wie früher mal den Tag auf dem Sofa
herumzulümmeln. Alles vollzukrümeln, Löcher in die Luft zu gucken, dabei
Musik zu hören. Statt dessen starrt man mit schlechter Körperhaltung auf
Bildschirme und versucht, eine Welt im Dauer-Krisenmodus zu verdauen.
Zumindest für gut drei Minuten darf man sich in ein Szenario wie das
eingangs beschriebene entführen lassen: von dem britischen Duo Wet Leg und
seinem Hit „Chaise Longue“. Ihr Angebot wurde offenbar gerne angenommen,
der Song millionenfach gestreamt.
Eingeleitet wird ihre latent laszive Ode ans Sofa-Slackertum von einem
trockenen Beat, der sich hochschraubt zu punkigem Power-Pop, angetrieben
von einer bratzigen Gitarre und trockenem, surrealem und dabei
mitsing-tauglichem Humor („Is your mother worried? Would you like us to
assign someone to worry your mother?“).
Nicht zuletzt, weil die anderen Vorboten ihres Debütalbums, etwa das
schnodderig dahingeleierte „Oh No“ – knackige Social-Media-Kritik: „I w…
home all alone / I checked my phone / And now I’m inside it“ – sich als
ähnlich kurzweilig erwiesen, gab es Vorschusslorbeeren und viel Hype um
Rhian Teasdale and Hester Chambers, das Beste-Freundinnen-Duo von der
südenglischen Isle of Wight.
2019 hatten die beiden Mittzwanziger verabredet, der Legende nach bei einer
betrunkenen Riesenradtour, gemeinsam Songs zu komponieren – obwohl Teasdale
mit Musik da eigentlich durch war. „Ich wollte unter keinen Umständen mehr
traurige Gedanken zu Musik ummünzen, sondern Songs schreiben, die Spaß
machen – beim Hören und beim Spielen.“ Wobei viele der lakonischen Texte
sich durchaus den Momenten im Leben widmen, in denen man sich fragt, was
der ganze Scheiß eigentlich soll.
## Verwundert, aber nicht beeindruckt vom Hype
Das Indie-Label Domino Records war so überzeugt von der Musik, dass es die
Katze im Sack kaufte: Im Interview erzählen Teasdale and Chambers, ein paar
Stücke hätten sie bereits vor der Pandemie fertiggestellt, zunächst einmal,
um auf lokalen Festivals kleine Sets zu spielen und so keinen Eintritt zu
bezahlen. Das Album war bereits in trockenen Tüchern, als „Chaise Longue“
im Juni 2021 erschien; die Versuchung, diese Erfolgsformel zu Tode zu
reiten, bestand also nicht.
Mit „Wet Leg“ ist den beiden Künstlerinnen ein ausbalanciertes, an einigen
Stellen überraschend konventionelles Debüt gelungen: mal sarkastisch,
manchmal melancholisch; gespickt mit sexuellen Anspielungen,
Exfreund-Bashing und Referenzen an Lieblingsfilme, etwa die Teeniekomödie
„Mean Girls“ (dt: „Girls Club – Vorsicht bissig!“) von 2004.
Beim Interview scheinen Teasdale und Chambers zwar verwundert, aber nicht
beeindruckt von dem Hype. Bei der Begrüßung liegen sie ineinander
verknuddelt auf dem Sofa, in überdimensionierten Flausch-Fleecejacken. Auch
als sie dann am Tisch sitzen, wirken sie eher wie die 17-Jährigen, die sie
waren, als sie sich am College kennenlernten – nicht wie die 28-Jährigen,
die sie heute sind.
Die feenhaft wirkende Chambers hat eine hohe, zarte Stimme, ein Kontrast zu
ihrem energischen Gitarrenspiel. Ihr Geld verdiente sie bislang durch
Mitarbeit im Juwelierladen ihrer Eltern. Die unerschrockene Teasdale,
Hauptsängerin, versuchte sich in verschiedenen Jobs und zog oft um: nach
Bristol, London und Brighton, zurück auf die Isle of Wight.
## Kein Karriereplan
Beide wirken so zugänglich wie uneitel, angenehm frei von
Sendungsbewusstsein. Geduldig erklären sie ihre In-Jokes, reminiszieren
über gemeinsame Unternehmungen: Zitierfähiges kommt bei dem so
vergnüglichen wie unergiebigen Interview allerdings kaum heraus – was
erfrischend wirkt, in Zeiten, wo Künstler*innen sich fast schon
verpflichtet zu fühlen scheinen, Abgründe zu beackern: die privaten
(Identitätswirren! Psychische Beschädigungen!) ebenso wie die politischen
(Klimawandel! Konflikte!). Wet Leg blicken lieber nonchalant auf ihre
eigene überschaubare Welt.
Dass sie dabei keinen Karriereplan verfolgen, nimmt man ihnen durchaus ab.
Der Reiz am Musikmachen, so Teasdale, liege schon jetzt darin, die Zeit
heraufzubeschwören, als ihr Titel „Chaise Longue“ entstand – übrigens
tatsächlich auf dem Möbelstück, das Teasdale als Schlafplatz dient, wenn
sie Chambers besucht: „Wir hatten so viel Zeit, obwohl wir alles selbst
gemacht haben. Das Schöne an DIY ist, dass man einfach über den Haufen
wirft, was einem nicht gefällt. Sobald jemand in dich investiert, sieht das
anders aus“.
Bleibt ihnen zu wünschen, dass sie einen Weg finden, diesen Spirit zu
erhalten – auch wenn mittlerweile wohl viele Menschen darauf setzen, dass
diese neueste Indiepop-Hoffnung nun bitte auch liefert.
11 Apr 2022
## AUTOREN
Stephanie Grimm
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