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# taz.de -- Karl Regensburger im Porträt: Zahlenmensch und Romantiker
> Am 15. Juli startet das Impulstanzfestival Wien. Es ist vielstimmig und
> wirkt in die Stadt – dank des langjährigen Intendanten Karl Regensburger.
Bild: Karl Regensburger betreut Impulstanz Wien seit den Anfängen 1984
Jetzt rollen sie wieder. 240 Leihfahrräder des Impulstanz-Festivals in den
Bonbonfarbtönen Blau und Rosa kreuzen ab dem 15. Juli gut einen Monat lang
durch die innerstädtischen Bezirke Wiens. [1][Impulstanz ist wieder da nach
einem Jahr Lockdown-Pause.]
Der Fuhrpark wird mittlerweile nicht mehr nur als erfreuliches Werbesujet
wahrgenommen. Er steht für das Festival als soziale Praxis im Stadtraum,
deren Interaktion sich über Aufführungen, Kurse, Trainings, Filme,
Diskussionspanels oder einfach auch nur gemeinsames Feiern erstreckt – ein
Programm mit mehr als 50 Produktionen mit Aufführungen an 13 Spielstätten,
200 Workshops im Festivalprogramm und einem internationalen
Mentoringprojekt für über 60 junge Künstler:innen.
Impulstanz war auch im Covid-Sommer 2020 nie wirklich weg. Das Projekt
„Public Moves“ verlegte die Tanzklassen in den öffentlichen Raum. Jetzt
gibt es wieder Aufführungen in geschlossenen Räumen und Karten, die man
kaufen kann. Das Publikum sei trotz aller in Aussicht gestellten
Lockerungen noch sehr zurückhaltend, sagt Impulstanz-Gründer und
Langzeitintendant Karl Regensburger. Das Wechselbad der Coronaregeln, die
der Wissenschaft ebenso zu folgen scheinen wie den Zahlen der Demoskopen,
hat ihn und das Festival in eine paradoxe Lage versetzt.
Das Programm ist durchweg mit einer Auslastung von 50 Prozent kalkuliert:
Die Eröffnung mit Alexandra Bachzetsis’ „Privat Song“, Stücke von Akram
Khan und [2][Jérôme Bel], die lange aufgeschobene Uraufführung „Cascade“
von [3][Meg Stuart] mit einem Bühnenbild von Philippe Quesne im Wiener
Volkstheater, weitere Premieren von Maguy Marin, Alain Platel, Michael Laub
und Raja Feather Kelly, das Programm einer weitreichenden Kooperation mit
Künstler:innen einer vitalen Wiener Tanzszene, die Reihe „[8.tension]“
mit exemplarischen Arbeiten junger Choreograf:innen aus Belgien,
Österreich, dem Kosovo oder Mosambik.
## Drei Ministerien für die Einreise
Zwischenzeitlich kündigte die österreichische Regierung weitere
Öffnungsschritte an. Die 50 Prozent fallen. Das mögliche Kartenkontingent
hat sich mit einem Schlag auf 42.000 Tickets verdoppelt.
Reisebeschränkungen halten die Branche weltweit noch immer in der Schwebe.
Visa, Umbuchungen und fremdenrechtliche Angelegenheiten lassen dem
bekennenden Nachtarbeiter Regensburger derzeit wenig Schlaf. Erfolge gibt
es auch. Die Compagnie der südafrikanischen Choreografin Dada Masilo sollte
in einem gemeinsamen Projekt mit dem Festival d’Avignon zuerst dort
Premiere haben. Die Vorkehrungen für Einreisende aus einem
Virusvariantengebiet waren dort zeitgerecht nicht zu bewältigen. In Wien
bot eine umfangreiche E-Mail-Korrespondenz mit drei Ministerien die Chance,
Kunst, medizinische Erfordernisse und Verwaltungsrecht in Einklang zu
bringen. Impulstanz hat eine Uraufführung mehr.
Freizügigkeit ist für Karl Regensburger kein Organisationsproblem, sondern
eine Frage des Selbstverständnisses. 1984 hat der 1954 geborene Wiener das
Festival mit dem kürzlich in São Paulo an Covid-19 verstorbenen
[4][Choreografen Ismael Ivo] gegründet. Zum Tanz kam der studierte
Betriebswirt als Autodidakt über einen Gelegenheitsjob neben der für die
Kunst letztlich aufgeschobenen Promotion. Erste Aufführungen fanden während
der Sommerpause in George Taboris kleinem Wiener Theater statt, im Anschub
finanziert aus Gagen von Ismael Ivo. Seit 1988 heißt Impulstanz auch so.
Die weitere Expansionsgeschichte atmet den Geist der Jahre nach 1989. Der
Fall der Mauer und die fortschreitende europäische Einigung ließen
kurzfristig die Hoffnung aufkommen, man könne in Zukunft tatsächlich in
einer Welt leben.
In diesen Jahren hat auch Wien sich von einem Ort gemächlicher
Selbstbezüglichkeit im Windschatten des Eisernen Vorhangs zu einem Zentrum
im europäischen Austausch gewandelt. Impulstanz war bei der Durchlüftung
früherer Verhältnisse oft vorne mit dabei.
## Die Utopie der einen Welt
Als künstlerische Utopie hat Regensburger die eine Welt nie aufgegeben. Das
Bestreben, Künstler:innen ein fairer Partner über längere Strecken einer
Zusammenarbeit zu sein, endet nicht an europäischen Außengrenzen. Groß
geworden ist Impulstanz in und mit Europa. Eine neue Beweglichkeit der
Kulturpolitik im flämischen Landesteil Belgiens hatte seit den 1980er
Jahren dort neue Tendenzen und Institutionen hervorgebracht, vor allem aber
den Tanz befördert.
Wim Vandekeybus war einer der Ersten, mit denen Regensburger seit den
1990ern zusammenarbeitet, Jan Fabre, Alan Platel und viele andere folgten.
Nach 31 Produktionen mit Impulstanz sieht Regensburger die Arbeiten von
[5][Anne Teresa De Keersmaeker] nun bei den Wiener Festwochen. Das schmerzt
den, der künstlerische Kollaborationen in der Dimension von
Lebensleistungen versteht und praktiziert. Auch wenn der bekennende
Fußballfan letztlich weiß, dass im Profisport irgendwann finanzstärkere
Clubs mehr bieten. Lokale Medien haben versucht, den Konflikt zur
persönlichen Rivalität hochzukochen, zwischen ihm und Christophe
Slagmuylder von den Festwochen.
Einen Operettenkrieg gibt die Sache trotzdem nicht her. Aber es bleibt die
Frage nach strukturellen Disparitäten. Warum unterscheiden sich Festivals,
die Ähnliches leisten, ungefähr um den Faktor fünf im Budget? 2,5 Millionen
Euro städtischer Förderung für Impulstanz standen über Jahre 11 Millionen
für die Festwochen gegenüber. Regensburger hat Impulstanz über Jahrzehnte
von der kleinen Basisinitiative zum mittelgroßen Player ausgebaut,
scheitert aber immer wieder an den subtilen Wertehierarchien der
Kulturpolitik. Zum erlesenen Kreis einer Repräsentationskultur, die ihren
Stammbaum bis zur Kaiserzeit oder auf spätere politische Gründungsakte
zurückrechnet, konnte das Festival nie aufschließen.
Impulstanz-Programme bleiben vielstimmig, setzen vielfach auf Positionen,
die einander dezidiert widersprechen, damit aber einer künstlerischen
Entwicklung den Horizont spannen. Ambivalenzen auszuhalten gehört zum gutem
Erbe des postmodernen Denkens seiner Gründerzeit. Das geht vor allem auf
Ismael Ivo zurück, der dafür eintrat, auch jene Choreograf:innen
förderte, die seine künstlerischen Visionen als Reibebaum ansahen, den es
zu überwinden galt.
## Tanz verbreiten und verbreitern
Vieles delegiert Regensburger an ein über die Jahre in Zahl und Kompetenz
gewachsenes Team. Er zieht sich auf strategische Positionen zurück, die
Impulstanz als künstlerische wie politische Inszenierung auf der Metaebene
ausmachen. Was er verweigert: Dass Kunst den Blick auf die Gesellschaft als
Ganzes verliert und sich in ein komfortables Subsystem zurückzieht. Tanz
bleibt ihm immer etwas zu Verbreitendes über irgendwelche „Szenen“ hinaus.
Der Expansionsdrang in Territorien, die andere zwar behaupten, aber nicht
wirklich ausfüllen, schafft nicht nur Freunde, vor allem in einer
Kulturszene, die selbst etablierte Player gerne kokett als Schlangengrube
beschreiben. Anfangs lag die Gefahr vor allem darin, zugunsten
etablierterer Interessen „odraht“ (abgedreht) zu werden, wie es im Wiener
Beamtenjargon heißt.
Als wieder einmal Subventionsentzug drohte, ergatterte der verzweifelte
junge Regensburger einen Termin beim damaligen Bürgermeister Helmut Zilk.
Dessen monologisches Kommunikationsverhalten war schon zu dessen Lebzeiten
Legende. Regensburger kam kaum zu Wort. Zwischen zwei Telefonaten versah
das Stadtoberhaupt die Akte mit der handschriftlichen Notiz „fördern!“ und
verabschiedete seinen Gast mit der Anweisung: „Bringen’s des zurück ins
Kulturamt!“ – verbunden mit dem Rat an den jungen Mann, künftig lauter zu
sprechen.
Das hat Regensburger beherzigt und gelernt, im Metatheater des Wiener
Kulturlebens jeweils die für das Festival passenden Rollen zu spielen: den
gerissenen Impresario, den seriösen Zahlenmenschen oder den Romantiker,
dem es nur um die Kunst geht.
Abzudrehen ist Impulstanz nun nicht mehr, aber die Kämpfe ums Budget
blieben. Vor wenigen Jahren drohte Regensburger sogar mal mit Abwanderung.
Venedig war Gerücht, aber Festivalprojekte in São Paulo oder Schanghai
hatten er und sein Team ernstlich erwogen, im Hinblick auf die vorgefundene
Kulturpolitik aber verworfen. Die kennt Regensburger in Wien mittlerweile
einfach besser.
14 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.impulstanz.com/
[2] /Festival-Tanz-im-August/!5616200
[3] /Choreografin-Stuart-ueber-Stuart/!5514264
[4] /Archiv-Suche/!697077&s=Ismael+Ivo&SuchRahmen=Print/
[5] /Tanztheater-an-der-Berliner-Volksbuehne/!5533465
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
## TAGS
Porträt
Intendant
Tanz
Zeitgenössischer Tanz
Festival
Wien
Theater
Zeitgenössischer Tanz
Performance
Theater Bremen
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