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# taz.de -- US-Grenzkontrolle bei El Paso: Der Traum vom besseren Leben
> Die Grenze von Mexiko zu den Vereinigten Staaten ist seit Beginn der
> Coronapandemie geschlossen. Dennoch suchen Zehntausende Menschen in den
> USA eine neue Heimat.
Bild: Die Menschen begeben sich auf die beschwerliche Reise in Richtung USA; El…
El Paso taz | „Es ist oft traurig und herzzerreißend“, sagt
US-Border-Patrol-Agentin Valeria Morales über den nicht abreißenden Strom
von [1][Migrant*innen an der Grenze von Mexiko] zu den USA. „Leider
erleben wir dies fast tagtäglich. Es ist nun einmal Teil unserer Arbeit.
Und dazu gehört nicht nur der Schutz der Grenze, sondern auch jeden
Menschen mit Würde zu behandeln.“
Morales ist eine von mehr als 2.000 Grenzschützer*innen, die im
El-Paso-Sektor tätig sind. Die im Westen von Texas gelegene Stadt liegt
direkt an der Grenze. Zusammen mit dem mexikanischen Ciudad Juárez am
anderen Ufer des Rio Grande bilden beide Städte eine Metropolregion mit
zusammen mehr als 2,7 Millionen Einwohnern.
Die US-Grenzschutzbehörde hat die mehr als 3.000 Kilometer lange Südgrenze
des Landes in neun Abschnitte unterteilt. Der El-Paso-Sektor gehört mit zu
den Abschnitten, in denen besonders viele illegale Grenzübertretungen
registriert werden. Zwischen Oktober 2020 und Mai 2021 waren es dort mehr
als 113.000. Dies entspricht einem Anstieg von mehr als 267 Prozent
gegenüber dem Vorjahr. Entlang der gesamten Grenze stieg die Zahl der
Aufgegriffenen sogar um mehr als 291 Prozent auf über 897.000 an.
Jeden Tag verlassen Hunderte von Menschen aus Mittel- und Südamerika ihre
Heimat und begeben sich auf eine ungewisse Reise. Ihr Ziel sind die USA.
Für die Regierung von US-Präsident Joe Biden ist es eines der größten
innenpolitischen Probleme. Für die Menschen, die sich oft aus schierer
Verzweiflung auf die beschwerliche Reise begeben, ist es der Traum eines
besseren Lebens in den Vereinigten Staaten.
## 20.000 Männer und Frauen überwachen die Grenze
Dieser Traum ist jedoch oft schnell ausgeträumt. Das gilt selbst für
diejenigen, die es tatsächlich bis zur Südgrenze der USA schaffen. Diese
Grenze ist jedoch seit Beginn der Coronapandemie geschlossen. Wer keinen
dringenden Grund für eine Einreise in die USA vorweisen kann, wird
abgewiesen.
Asylbewerber*innen mussten bis Juni in Mexiko ausharren, bis die
US-Behörden eine Entscheidung über ihren Antrag gefällt hatten. Die einzige
Ausnahme zu dieser von Ex-Präsident Donald Trump erlassen Regelung waren
Minderjährige, die ohne Begleitung versuchten, in die USA zu gelangen.
Diese wurden in US-Grenzeinrichtungen oder temporären Auffanglagern
untergebracht.
Für US-Grenzschützer*innen stellt die aktuelle Situation eine große
Herausforderung dar. Die Aufgabe der Behörde ist zwar klar definiert –
Grenzsicherung zum Schutz der US-Bevölkerung. Doch die Einzelschicksale der
Menschen aus Süd- und Mittelamerika lassen auch die mehr als 20.000
uniformierten Männer und Frauen der US-Grenzschutzbehörde CBP (Custom and
Border Protection) nicht immer kalt.
Bereits im März warnte US-Heimatschutzsekretär Alejandro Mayorkas davor,
dass die Zahl von Begegnungen zwischen Migrant*innen und
US-Border-Agenten*innen an der Südgrenze einen Wert erreichen könnte, den
es seit 20 Jahren nicht mehr gegeben hat.
Die Gründe sind vielfältig, doch wie Border Patrol Agent Ricardo Barragan
in El Paso erklärt, tragen die sich verschlechternden Zustände in den
Herkunftsländern der Migrant*innen ihren Teil dazu bei. „Hungersnöte
sowie Verunsicherung und Gewalt sind treibende Kräfte“, sagt er.
Auch kriminelle Organisationen, Drogenkartelle und Schmugglernetzwerke
tragen laut Grenzschutzbehörde maßgeblich zur akuten Situation bei. „Für
die ist es nicht mehr als eine weitere Einnahmequelle“, sagt Barragen, der
wie Morales bei sengender Hitze in der für Grenzschutzbeamte üblichen
grünen Uniform erscheint. „Kriminelle Organisationen wie Drogenkartelle
haben begriffen, wie lukrativ der Menschenschmuggel sein kann. Bei manchen
stellt sich mittlerweile die Frage, ob sie mehr Geld mit Drogen- oder
Menschenschmuggel verdienen.“
Ein Fall, der in diesem Jahr für Aufsehen sorgte, ereignete sich in der
Nähe des Grenzübergangs Santa Teresa im US-Bundesstaat New Mexico. Die
etwas mehr als 20 Kilometer nordöstlich von El Paso gelegene Kleinstadt
befindet sich in einem kargen Wüstengebiet.
Genau dort wurden zwei junge ecuadorianische Mädchen im Alter von drei und
fünf Jahren mitten in der Nacht von Schmuggler*innen über die mehr als
vier Meter hohe Grenzbefestigung gehoben und dann einfach fallen gelassen.
In der Nacht wimmelt es dort von Kojoten und Klapperschlangen. Auch wenn
die nächste Ortschaft Sunland Park nur etwas mehr als einen Kilometer
entfernt liegt, kann dies für zwei kleine Kinder in der Dunkelheit ein
todbringendes Hindernis darstellen. Glücklicherweise wurden die beiden
Mädchen wenig später unverletzt von US-Grenzschützer*innen aufgefunden.
„Die meisten unserer Agenten sind selbst Eltern“, sagt Morales. „Ich habe
mit eigenen Augen gesehen, wie meine Kollegen weinende Babys versorgen und
ihnen sogar die Windeln gewechselt haben. Wir versuchen alles, um
sicherzustellen, dass diese Kinder bestmöglich versorgt werden“.
## Kinder und Jugendliche in Auffanglagern
Dass das Wohl der Kinder allerdings nicht immer oberste Priorität genießt,
zeigte sich vor vier Jahren. „Kinder und Jugendliche in Käfigen“ lauteten
damals die Schlagzeilen, nach dem Bilder veröffentlicht wurden, die die
teils desaströsen Zustände in den Grenzeinrichtungen und Auffanglagern
zeigten. Ex-Präsident Trump verschlimmerte mit seiner „Null
Toleranz“-Migrationspolitik eine Situation, die sich schon vor dessen
Regierungszeit zugespitzt hatte.
Unter Joe Biden hat sich die Lage für minderjährige [2][Migrant*innen
zwar verbessert], doch noch immer müssen viele von ihnen Tage und Wochen in
schlecht ausgestatteten Unterkünften verbringen, bevor die US-Behörden
einen Beschluss über Verbleib oder Abschiebung fällen.
„Wir haben in den letzten fünf Monaten Fortschritte gemacht, doch es gibt
noch immer viel Arbeit“, sagte US-Vizepräsidentin Kamala Harris am Rande
eines Besuchs von Grenzeinrichtungen in El Paso im vergangenen Monat. Die
ehemalige kalifornische Senatorin wurde von Joe Biden damit beauftragt, die
Grenzsituation zu verbessern und die Ursachen für den nicht abreißenden
Strom von Migrant*innen zu bekämpfen.
Die Zahl der Aufgriffe von Minderjährigen ohne Begleitung hat sich zwischen
Oktober und Mai um mehr als 297 Prozent auf mehr als 78.500 erhöht. Im
El-Paso-Sektor waren es im gleichen Zeitraum mehr als 13.600 und damit fast
so viele wie im gesamten Haushaltsjahr 2019.
## Drogenschmuggel über die Grenze
Neben den rein monetären Aspekten – Migrant*innen zahlen Schmugglern
oftmals mehrere tausend US-Dollar – ziehen Drogenkartelle auch andere
Vorteile aus dem Ansturm von Migrant*innen. „Kriminelle Organisationen
nutzen vor allem Minderjährige als taktisches Manöver“, sagt
Grenzschutzbeamtin Morales. „Sie wissen, dass die Rettung von Kindern und
auch Erwachsenen absolute Priorität für uns hat. Aus diesem Grund versuchen
sie unsere Agenten mit humanitären Notfällen in einem Bereich zu binden, um
gleichzeitig an einem anderen Ort Drogen und andere Betäubungsmittel ins
Land zu schmuggeln. Es ist eine sehr finstere Taktik.“
Die Menge an sichergestellten Drogen war über die vergangene Zeit hinweg
ziemlich stabil und beläuft sich auf mehr als 400.000 Kilogramm pro Jahr.
Auch in diesem Jahr scheint sich dieser Trend fortzusetzen. Laut
Border-Protection-Pressesprecher Landon Hutchens geschieht es auch, dass
Minderjährige als Drogenkuriere missbraucht werden, da das Strafmaß für
diese weitaus geringer ist als für Erwachsene.
Und dann sind da noch die vielen Rettungsaktionen und die Todesfällen, die
den Alltag an der Grenze prägen. Allein im Mai verzeichnete die
Grenzschutzbehörde mehr 7.000 Rettungsaktionen. Im El-Paso-Sektor gehören
Rettungen aus dem Grenzfluss Rio Grande oder Notsituationen in der Wüste
zum Berufsalltag der CBP-Agenten. Schmuggler*innen versuchen mit selbst
gebauten Leitern aus Draht und Holz oder mithilfe einfacher Seile, die bis
zu acht Meter hohe Grenzbefestigung zu überwinden. Verletzungen durch
Stürze kommen dabei immer wieder vor.
Für andere endet der Traum vom Leben in den USA mit dem Tod. Im Juni fanden
US-Border-Agenten*innen im El-Paso-Sektor die Leiche eines Migranten. Die
Person starb nur knapp eine Meile von der Grenze entfernt vermutlich an
einem Hitzschlag. Im Jahr 2019 starben insgesamt 300 Menschen entlang der
Grenze. Diese Zahl beinhaltet allerdings nur die von
Grenzschützern*innen aufgefundenen Opfer. Die Dunkelziffer dürfte
weitaus höher liegen.
Gemeinnützige Organisationen und Aktivist*innen setzten sich entlang
der Grenze für die Belange von Migrant*innen ein. Die meisten dieser
Organisationen sind auf finanzielle sowie Sachspenden angewiesen.
Am Ende bedarf es jedoch eines überarbeiteten Einwanderungsgesetzes, um die
menschlichen Tragödien im Grenzgebiet zu verhindern, sagt Juan Ortiz, ein
in El Paso geborener Aktivist, der sich besonders für minderjährige
Migrant*innen aus der Schwulen-, Lesben- und Trans-Szene einsetzt.
„Unsere Regierung hat Einwanderung kriminalisiert“, so Ortiz. „Ohne eine
drakonische Einwanderungsreform wird sich an der aktuellen Situation leider
nichts ändern.“ Die Regierung Biden plant eine Überarbeitung der
US-Einwanderungsgesetze, doch ohne republikanische Unterstützung im
Kongress stehen die Erfolgsaussichten schlecht.
„Ich glaube, die meisten Politiker in Washington habe keine Ahnung über die
Situation hier an der Grenze“, sagt Melissa Lopez, die Direktorin einer
religiösen Flüchtlingshilfe in El Paso.
Und dann sagt sie: „Ich höre immer dieselbe Frage: ‚Wie können Eltern ihr…
Kindern das antun?‘ Doch ich glaube, die eigentliche Frage sollte lauten,
‚Wie können sie es nicht tun?‘ Ein Kind, das nicht regelmäßig zu essen
bekommt, welches das Haus nicht verlassen kann, weil es vielleicht entführt
oder umgebracht werden könnte. Ein Kind, das aufgrund der hohen Gewalt im
Land sein 18. Lebensjahr wahrscheinlich nicht erreichen wird. Unter diesen
Umständen ist die Entscheidung, dass Kind alleine in die USA zu schicken,
viel leichter, als sich die meisten das vorstellen können“.
14 Jul 2021
## LINKS
[1] /Migrationspolitik-in-den-USA/!5759741
[2] /Migrationspolitik-der-USA/!5759761
## AUTOREN
Hansjürgen Mai
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