| # taz.de -- Dub von Roísín Murphy und Crooked Man: Gleich noch mal, aber ganz… | |
| > Roísín Murphy veröffentlicht mit dem House-Pionier Richard Barratt | |
| > „Crooked Machine“, einen Discodubmix als eigenständiges Werk. | |
| Bild: Kann auch Dub: Discodiva Roísín Murphy | |
| I feel my story is still untold. But I’ll make my own happy ending“, | |
| hauchte Róisín Murphy mit dramatischem Pathos zum Auftakt ihres | |
| letztjährigen Hitalbums „Róisín Machine“ ins Mikrofon. Seit dem Ende ihr… | |
| in den 1990er Jahren das TripHop-Genre definierenden Band Moloko hat die | |
| gebürtige Irin mehrere Dancefloor-Soloalben und EPs veröffentlicht, die ihr | |
| die Reputation einer Nu-Disco-Diva einbrachten – nicht trotz, sondern | |
| vielleicht gerade wegen der Kompromisslosigkeit, mit der sie zielstrebig | |
| selbstbewusst-schrullige Dancefloor-Produzenten wie den Briten Matthew | |
| Herbert und den genialen US-Expat Maurice Fulton für die Produktion | |
| verpflichtet hatte. | |
| Ging es bei Moloko bisweilen recht gechillt zur Sache, wurden auf Murphys | |
| Soloveröffentlichungen die Beats zwingender und die Inszenierungen | |
| sexueller: Inzwischen verfügt die 47-Jährige über eine beachtliche schwule | |
| Fangemeinde. Mit „Róisín Machine“, [1][ihrem konzeptuell ausbalanciertest… | |
| Werk] bislang, katapultierte sie sich 2020 als Solokünstlerin in absolute | |
| Superstar-Höhen – auch wenn ihre Idee von Stardom, wie ein eloquenter | |
| Kritiker schrieb, eher der Vorstellung entspricht, wie Cosey Fanni Tutti, | |
| die einstige Stripperin, radikal-feministische Perfomance-Künstlerin und | |
| Mitgründerin des britischen Industrial-Quartetts Throbbing Gristle, im | |
| Videoclip „You Make Me Feel (Mighty Real)“ zur Musik der queeren | |
| US-Disco-Ikone Sylvester tanzt. | |
| „Róisín Machine“ wurde vom britischen House-Auteur Richard Barratt alias … | |
| Parrot alias [2][Crooked Man] produziert. Auch der Sheffielder ist mit dem | |
| Spagat zwischen Industrial und Disco ganz gut beschrieben, und auch seine | |
| Geschichte ist [3][bislang außer in der taz] kaum erzählt worden. Das | |
| könnte sich mit der Veröffentlichung von „Crooked Machine“ nun ändern, | |
| einer radikalen Eins-zu-eins-Dekonstruktion des Murphy-Albums, die sich | |
| genauso an den echoverhangenen und cannabisschwangeren Remix-Techniken | |
| jamaikanischer Produzenten orientiert wie an den experimentellen „Disco | |
| Dubs“ eines Larry Levan. | |
| ## Gekrümmt, verwachsen und schief | |
| Anders als traditionelle Remix-Sammlungen oder Instrumental-Alben verhält | |
| sich „Crooked Machine“ zu „Róisín Machine“ wie Burning Spears’ „G… | |
| Ghost“ zum Vocal-Album „Marcus Garvey“. „Crooked“ heißt auf Deutsch | |
| verwachsen, gekrümmt, aber auch schief und betrügerisch – auf sein Original | |
| bezieht sich „Crooked Machine“ als Mutation und Reduktion, als Wurmfortsatz | |
| und geisterhafte „Hauntology“. | |
| Als DJ Parrot oder unter seinem „Bucklicht Männlein“-Alias prägte Richard | |
| Barratt mehr als 30 Jahre Clubmusik in seiner nordenglischen Heimatstadt | |
| Sheffield, der Heimat von Synth- und Industrial-Acts wie Cabaret Voltaire | |
| und Heaven 17, dem „Intelligent Techno“-Label Warp, Elektronikduos wie | |
| Autechre oder Moloko und Wahlheimat von Maurice Fulton und seiner | |
| Partnerin, der japanischen Sängerin Mutsumi Kanamori. | |
| In Sheffields postindustrieller Atmosphäre organisierte Barrat Mitte der | |
| 1980er Jahre Partys im legendären Club „Jive Turkey“. Dort lief Jazz Dance | |
| und Electro, früher HipHop, Soul und Disco – Genres, aus deren Mischung | |
| sich nahezu zeitgleich in New York und Chicago House entwickeln sollte. Und | |
| anders als auf den vorwiegend weißen Northern-Soul-Allnightern war auch das | |
| Publikum im „Jive Turkey“ gemischt. | |
| ## Im Bann der elektronischen Tanzmusik | |
| Durch seine Tätigkeit als DJ lernte Parrot Richard H. Kirk von Cabaret | |
| Voltaire kennen, der zunehmend in den Bann der neuen elektronischen | |
| Tanzmusik geriet, aber anders als die jungen DJs ein eigenes Studio besaß. | |
| Zusammen formten die beiden das Duo Sweet Exorcist – den Namen hatten sie | |
| sich von einem Curtis-Mayfield-Album ausgeborgt. | |
| Die Sounds, die sie sampelten, bestanden zum Teil aus echolotartigen, | |
| synthetischen Studio-Testtönen, wie sie auch jamaikainische Dub-Produzenten | |
| gerne am Anfang von Tracks verwendeten, nur um sie dann in analogen | |
| Tape-Echos zu ertränken. „Testone“ von Sweet Exorcist wurde zu einem groß… | |
| Rave-Hit; ihre „CC EP“ auf Warp prägte das Bleep-Techno-Genre und klingt in | |
| seiner primitive Loop- und Layering-Ästhetik auch 30 Jahre später noch | |
| erstaunlich visionär und psychedelisch, hat man die richtigen Drogen zur | |
| Hand. Sweet Exorcist veröffentlichten auch das erste Album bei Warp. | |
| Im Laufe der Jahre verschwanden ihre Bleeps zugunsten von | |
| retrofuturistischen Disco- und House-Elementen und Barrat hat inzwischen | |
| ein neues Zuhause bei DFA, dem New Yorker Label des seelenverwandten | |
| LCD-Soundsystem-Frontmanns und Disco-Archäologen James Murphy gefunden. | |
| ## Ihr Gesang kehrt als Echo zurück | |
| Auf „Crooked Machine“ gibt Barratt seinen Tracks reichlich Luft zum Atmen; | |
| [4][Róisín Murphys] Gesangslinien sind bis auf einen gelegentlich aus der | |
| Echokammer kurz auftauchenden Chorus abwesend. „Less is more“ heißt der | |
| Remix von „Something More“ und das ist durchaus programmatisch zu | |
| verstehen. Wo „Narcissus“ im Original sich etwa mit symphonischen | |
| Disco-Streichern aufbaut, um dann nach etwa einer Minute Stimme und einen | |
| zwingenden Bass zu droppen, mixt „Echo Returns“ ein Element auf Tracklänge | |
| in den Vordergrund, das man im Original gar nicht bemerkte: das Klöppeln | |
| einer alten Rhythmus-Box, wie man sie von Shuggie Otis und Sly Stone kennt. | |
| „We Are the Law“, die version von „Murphy’s Law“, beginnt nun mit ein… | |
| A-cappella-Chorus, der nach ein paar Wiederholungen im Hall verschwindet, | |
| um dann Schlagzeug und Bass die Bühne zu überlassen. Diese Interpretation | |
| von Dub erinnert an King Tubby und Lee Scratch Perry. Zugleich kehrt | |
| Barratt damit in die kreative Zwischenzeit der frühen 1980er Jahre zurück, | |
| in der Disco wieder Underground-Musik und House noch nicht geboren war. | |
| Anders als die ersten Remixer der 1970er Jahre, deren Job es war, Songs von | |
| Radiolänge auf das neue Format der 12“- Maxi-Single zu dehnen und einen | |
| durchgehenden Beat zu etablieren, wagten Remixer auf den B-Seiten von New | |
| Yorker Disco-Labels wie Prelude oder West End einen experimentelleren, | |
| dekonstruktiveren Zugang. Sie versuchten Tänzer in Rage zu treiben, indem | |
| sie Tonspuren mit Sound-Effekten belegten oder ganz herausnahmen, nur um | |
| sie mit umso größerem Wumms wieder zurückbringen. | |
| ## Reggae und Disco im wechselseitigen Austausch | |
| Der Austausch von Reggae und Disco war keine Einbahnstraße: Reggae-Größen | |
| wie Sly & Robbie produzierten zusammen mit dem aus Benin stammenden | |
| Synthesizerpionier Wally Baadarou in den Compass Point Studios in Nassau | |
| auf den Bahamas nicht nur wegweisende Alben von Grace Jones und Tom Tom | |
| Club, in denen sich Dub-Feel und modernste Studiotechniken zu einem | |
| elektronischeren Discoverständnis verbanden, sondern auch Gwen Guthries | |
| legendäre „Padlock“-EP, deren Mixdown vom Paradise-Garage-Maestro Larry | |
| Levan besorgt wurde. | |
| Anders als beim Reggae blieben Dub-Versionen ganzer Dancefloor-Vokal-Alben | |
| gleichwohl eine Seltenheit (man denke etwa an „Night Dubbing“ von | |
| Imagination und Massive Attacks „No Protection“). „Crooked Machine“ ist | |
| somit nicht nur ein Happy End für Richard Barratts lange, aber oft | |
| unbeachtet gebliebene Produzentenkarriere, sondern auch ein großer Beitrag | |
| zum vielleicht kleinsten Genre der Welt. Und Róisín-Murphy-Fans können sich | |
| beim Hören des Albums mit Bob Marley sagen: „Baby, you so nice – I’d like | |
| to do the same thing twice!“ Dass Marley kein großer Dub-Freund war, steht | |
| auf einem anderen Blatt. | |
| 25 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Nagl | |
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