# taz.de -- Zwischen Postpunk und Krautrock: Große Erwartungen an die Welt | |
> Das Label bureau b hat das Album „A Night in Cairo“ des Duos Die Fische | |
> wiederveröffentlicht. Es wirft Schlaglichter auf eine vergessene Zeit. | |
Bild: Stets zu Schabernack aufgelegt: Das Duo Die Fische | |
Ehemalige Berliner Geniale Dilletanten oder Hamburger Avantgardepopper | |
werden das anders sehen, schon klar. Schlicht objektiv betrachtet aber war | |
Düsseldorf das historische Powerhouse des deutschen Punk und New Wave. Wer | |
von dort nicht alles herkam: Mittagspause, DAF, Fehlfarben, Der Plan, KFC, | |
Östro 430, S.Y.P.H und so weiter. | |
Dank des Hamburger Labels bureau b kommt jetzt ein Name dazu, den bisher | |
niemand auf dem Zettel hatte. Bureau b ist ein konzeptuell anspruchsvoller | |
Digging-Dienstleister, der neben bekannteren Alben etwa von Palais | |
Schaumburg und Der Plan immer mal wieder ein krummes Ding abseits des | |
Kanons wiederveröffentlicht. | |
Die neueste Entdeckung ist das Album „A Night in Cairo“ von Die Fische, das | |
nicht nur das Ergebnis der archäologischen Grabungsarbeiten des Labels ist, | |
sondern stilistisch zu der zwischen Postpunk und Krautrock verorteten | |
Neuveröffentlichungspolitik des Labels passt. Die bekannteste aktuelle Band | |
auf bureau b sind Ja, Panik. | |
Die Fische wurden 1982 in Ratingen nahe Düsseldorf von Bernd Oprach und | |
Peter Walgenbach gegründet, selbstredend verbrachten sie jede freie Minute | |
im legendären „Ratinger Hof“ und inhalierten dort das coole Wissen. 1983 | |
veröffentlichten sie ihr erstes Tape im Eigenvertrieb, spielten dann vier | |
Jahre lang viele Konzerte im Düsseldorfer Raum, um 1986 „Eine Nacht in | |
Cairo“ als Privatpressung zu veröffentlichen. | |
Schrullig und freakig | |
Die Musik klingt wesentlich professioneller und strukturierter als die des | |
Vorgängers auf Kassette, der DIY-Charme fehlt. Gleichwohl ist die Grundidee | |
erhalten geblieben, nämlich New Wave, Postpunk und Dark-Wave-Texturen durch | |
Improvisation seitlich auszufransen. Das Ergebnis ist eine schrullige, oft | |
durchaus krautrockhafte Freakigkeit, die mit dem für experimentelle Bands | |
dieser Zeit gerne bemühten Dadaismus-Klischee nicht wirklich zu fassen ist. | |
Auf alten Bandfotos sieht man die beiden Künstler mit halbem Globus als | |
Helm auf dem Kopf oder FAZ-lesend, zwischen Schabernack und Ernsthaftigkeit | |
bewegt sich denn auch das Stimmungsspektrum der Songs. | |
Der Anti-Gesang klingt stellenweise hysterisch und aufgekratzt, in | |
Kombination mit dem kargen Synth Pop und dem nach Postpunk-Kriterien | |
ungewohnt muskulös klingenden Schlagzeugspiel sorgt das für interessante | |
Kontrasteffekte. Als ideelle Zulieferer und Inspiratoren sind auszumachen: | |
Pop Group, Gang of Four, Chris & Cosey, Talking Heads, frühe Simple Minds. | |
Mehrmals fühlt man sich an die Sprödigkeit von Eyeless in Gaza erinnert und | |
das letzte Lied des Albums „Ein Freitag im März“ klingt wie eine Hommage an | |
Mick Karn, den legendären Bassisten der britischen Wave-Band Japan. Doch | |
Die Fische waren keine epigonalen Streber, lässig baumeln sie an den | |
Schultern der Riesen. | |
Schon der Auftaktsong des Albums beweist, dass Die Fische frei von Dogmen | |
sind, „Eine Nacht in Cairo“ gleitet zunächst balearisch dahin, um sich dann | |
in ansteigender Unruhe in einen hektischen Pogofunkrock hineinzusteigern. | |
Das Equipment für die Aufnahmen von „A Night in Cairo“ war vielfältig, | |
neben viel Elektronik – auch die schneidigen Gitarrensounds wurden mit | |
Synthesizern bearbeitet – kam ein Walkman mit Aufnahmefunktion zum Einsatz. | |
Und das kann dann auch überraschend zeitgenössisch klingen; die lakonischen | |
Wiederholungen in „Bell Heim Bah“ erinnern an die ebenfalls aus Düsseldorf | |
stammende Band Kreidler. | |
Die Arbeitsweise der Fische war zeitaufwändig und wenn man so will | |
unzeitgemäß hippiesk. In ausgiebigen Sessions in Lagerhallen, die zugleich | |
als Wohngemeinschaften dienten, wurden immer neue Sounds erprobt. Durch | |
diese Work-Life-Symbiose haben im Laufe der Zeit weitere (Gast-)Musiker zu | |
Die Fische gefunden, so dass sich das ursprüngliche Duo zum offenen | |
Kollektiv erweiterte. Während ein paar Jahre vorher privat und öffentlich | |
noch kategorisch getrennt blieben – man traf sich im „Ratinger Hof“ und | |
nicht zu Hause –, haben Die Fische eine Lebenswelt entworfen, die schon | |
wieder an die in der Punkszene angefeindeten Spät-Hippies erinnerte. | |
Anklänge an Ethno-Rhythmen | |
Ihre Musik klingt entsprechend freier – befreit von alten Feindbildern, | |
frei für alternative Versuchsanordnungen. In „Conversation of | |
Everyday-Lovers“ sind einst verpönte Ethno-Rhythmen zu hören, und wenn der | |
Gesang sich zu einem erratischen Schrei exaltiert, dann ist das nicht mehr | |
die nihilistische Deklamation des (Post-)Punk, sondern der Sehnsuchtsschrei | |
desjenigen, der noch etwas erwartet von der Welt da draußen. | |
Man kann sich gut vorstellen, dass Die Fische in der kontrollwütigen | |
Düsseldorfer Szene beäugt wurden und unter Uncool-Verdacht standen (ähnlich | |
wie auf der anderen Rheinseite die auch gerade bei bureau b | |
wiedererschienenen Kölner Band Dunkelziffer). Aber ist nicht gerade dies | |
das Wundersame an den Reissue-Exzessen der letzten Jahre: Dass Geschichte | |
nicht einfach nur dokumentiert, sondern neu geschrieben wird und dabei | |
Bands und Stile, die einem sonst nicht in den Sinn gekommen wären, späte | |
Würdigung erfahren? | |
„A Night in Cairo“ ist zweifellos ein historisches Dokument aus den | |
popkulturell eher trägen Jahren zwischen New Wave und Techno, das die neue | |
Aufmerksamkeit verdient. | |
1 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Aram Lintzel | |
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