# taz.de -- Debütalbum der Familie Hesselbach: Phonetik gegen rechts | |
> Das gleichnamige Debütalbum der Tübinger Band Familie Hesselbach von 1982 | |
> erscheint erneut. Es ist eine Absage an den schwäbischen Autoritarismus. | |
Bild: Das ist die Familie Hesselbach. Damals trug der adoleszente New-Wave-Fan … | |
Coronazeit ist Listenzeit, vor allem für einsame Freunde der Popmusik. Zu | |
was wurde ich auf Facebook in letzter Zeit nicht alles auf- und | |
herausgefordert: Liebste Alben, wichtigste Konzerte, beste Bandnamen etc. | |
sollte ich posten. Eine Aufgabe wurde zum Glück nicht gestellt: „Nenne die | |
Alben, die du mal verkauft hast, aber gerne zurückhättest!“ Es wäre eine | |
allzu schmerzhafte Challenge gewesen, denn ganz oben auf meiner Liste hätte | |
das 1982 veröffentlichte Album „Familie Hesselbach“ der gleichnamigen | |
Tübinger Band gestanden. | |
Mit 15 hatte ich das Werk in einem Stuttgarter Plattenladen erworben und | |
als ich es später fahrlässig auf dem Flohmarkt wieder verkaufte, um | |
flüssige D-Mark für Northern-Soul-Singles zu haben, konnte ich nicht ahnen, | |
dass das damals in 1000er-Auflage mit selbst gesprühter, handgeklebter und | |
gestempelter Hülle erschienene Album zu einer vergriffenen Perle der | |
deutschsprachigen New Wave werden sollte. Dass das Album nun 38 Jahre nach | |
seiner Erstveröffentlichung digital und in Vinyl wieder zugänglich wird, | |
ist immerhin ein kleiner Trost. | |
Als sich die Gründungsmitglieder 1980 zum Brainstorming für einen Bandnamen | |
trafen, lief in der Kneipe klassische Musik, weshalb sie zuerst auf Familie | |
Bach kamen, sie entschieden sich dann aber für Familie Hesselbach, was | |
damals der Titel einer sehr populären hessischen TV-Serie war. Schon die | |
Vorläuferbands ABC, SR/25 und Gäste aus Ungarn waren in der rührigen | |
„Kassettentäter“-Szene Südwestdeutschlands unterwegs. Die meisten Stücke | |
des im Eigenverlag veröffentlichten Familie Hesselbach-Debüts stammten denn | |
auch von dem zuvor erschienenen Tape „Froh zu sein“. | |
Beim (Wieder-)Hören der 17 Stücke erwischt einen umgehend die unbändige | |
Energie der meist ultraknapp gehaltenen Stücke. Wir nannten es damals | |
Funkpunk, wegen des treibenden Basses, den Bläsersätzen und der | |
kategorischen Tanzbarkeit. Die Bands wurden damals größer, die klassische | |
Punkbesetzung erweiterte sich bei britischen Bands wie Pigbag und Rip Pig | |
and Panic zum wimmeligen Kollektiv. Der Einfluss dieser Szene, aber auch | |
von James Chance and the Contortions aus New York, der britischen Gang of | |
Four und den Hamburgern Palais Schaumburg ist bei Familie Hesselbach | |
unüberhörbar. | |
## „Mein Fetisch ist der Teetisch“ | |
Mit zackiger Klangästhetik forderte das Sextett die ausgebeulten | |
(Bummel-)Studenten der Müslihauptstadt Tübingen habituell heraus. Nervös, | |
alert und mechanisch klingt die Musik, sloganhaft verknappt und doch oft | |
rätselhaft die Sprache. Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Text des | |
Ska-Stücks „Blut im Stuhl“ mich als Teenager verstörte und ich auf dem | |
Schulweg mantraartig „Mein Fetisch ist der Teetisch“ vor mich hinsang. | |
Der erklärte Feind des großartigen Auftaktsongs „Warnung vor dem Hunde“ i… | |
aber nicht die lokale Studentenschaft, sondern der schwäbische | |
Alltagsautoritarismus. Wie sprachliche Ready-Mades werden Appelle und | |
Verbote aneinandergereiht: „Unbefugten Zutritt verboten“, „Durchfahrt | |
verboten“, „Einfahrt freihalten“, „Eltern haften für ihre Kinder“, w… | |
das r gerollt überbetont wird: mit rechter Phonetik gegen rechts. Als | |
Schlagwerk kommt unter anderem ein Weißblecheimer zum Einsatz, gegen Ende | |
löst das No-Wave-artige Saxofon die Atmosphäre anarchisch auf. | |
Ungezwungen integrierten Familie Hesselbach Dada, Freejazz, Ska oder selbst | |
Orientalisches („Eia toll ja“) in ihr Funkpunk-Format, so dass die kompakte | |
tightness an den Rändern ausfranst. Zugleich war es damals ratsam, auch | |
elementare Pogogelüste bedienen zu können, wollte man nicht nur den Männern | |
und Frauen mit den spitzen Schuhen gefallen, sondern auch den Punks in | |
Knobelbechern. „Wo bist du zu finden“ zielt auf solche simpleren Reize. | |
Als Familie Hesselbach 2017 im Rahmen der Ausstellung „Wie der Punk nach | |
Stuttgart kam“ im Württembergischen Kunstverein Stuttgart auftraten, | |
spielten sie das Lied mehrfach als Zugabe. Dabei hüpften im Publikum auch | |
viele junge Leute, Familie Hesselbach genießen im schwäbischen Raum Ansehen | |
über Generationengrenzen hinweg. | |
So veröffentlichten Studierende des Fachbereichs Visuelle Kommunikation an | |
der Stuttgarter Merz Akademie 2011 auf einer liebevoll gestalteten Single | |
die Live-Stücke wieder, mit denen Familie Hesselbach auf dem legendären | |
Sampler „Schwabesäkel international“ vertreten waren. Auch den habe ich zum | |
Schnäppchenpreis verscherbelt, aktuell gibt es das Stück für 455 Euro bei | |
Discogs. | |
Zugleich ist „Familie Hesselbach“ auch ein Album des Übergangs von Post | |
Punk zu neuen Formen. In der Psych-Pop-Nummer „Gesichter“ kündigt sich die | |
Neosixties-Bewegung an, die seinerzeit Wavetypen zu Ex-Wavetypen werden | |
ließ, der 2019 verstorbene Keyboarder Handke Hesselbach sorgt hier für | |
einen amtlichen Farfisasound. Und in „Komm mit mir“ ertönt eine klirrende | |
Gitarre, wie man sie von Josef K. und anderen Bands des schottischen | |
Postcard-Labels kennt. | |
Bei aller Griffigkeit liebten Familie Hesselbach es, sich anderen Stilen zu | |
öffnen. Zwar waren Familie Hesselbach 1982 auf der Spex-Kassette „Die | |
Vizeweltmeister“ vertreten und brachten 1984 die Maxi „Süddeutschland“ a… | |
Alfred Hilsbergs ZickZack-Label in Hamburg heraus, hinreichend gewürdigt | |
wurden sie im Zuge der anhaltenden Wiederentdeckung von deutschem Punk und | |
New Wave aber noch längst nicht. | |
Dies kann jetzt dank dem Berliner Label „Play loud!“, das für die | |
Wiederveröffentlichung verantwortlich ist, nachgeholt werden. | |
17 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Aram Lintzel | |
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