| # taz.de -- Memoiren von Musikmanager Alan McGee: War das wirklich ich? | |
| > Oasis-Entdecker Alan McGee schildert in „Randale, Raves und Ruhm“ die | |
| > Story seines Labels Creation und einer sagenhaften Managerkarriere. | |
| Bild: My Bloody Valentine 1990 vlnr: Kevin Shields, Colm Ó Cíosóig, Bilinda … | |
| Der Schotte Alan McGee gilt neben Malcolm McLaren als der wichtigste | |
| Popmanager Großbritanniens. Um nur einige seiner Großtaten zu nennen: Der | |
| Gründer des Labels Creation hat die Band Oasis aus Manchester per Zufall | |
| entdeckt, hat die Mitte der 1980er als „neue Sex Pistols“ gefeierte Band | |
| Jesus and Mary Chain aus einem Vorort von Glasgow gemanagt, wird gemeinsam | |
| mit [1][der Londoner Band My Bloody Valentine] als Co-Erfinder des Genres | |
| Shoegaze genannt und hat mit der Band Primal Scream Rock-’n’-Roll-Attitüde | |
| mit Rave-Euphorie zusammengedacht. | |
| Der Verlag Matthes und Seitz hat jetzt McGees im Original bereits 2013 | |
| erschienene Autobiografie auf Deutsch veröffentlicht, Titel: „Randale, | |
| Raves und Ruhm. Storys eines Labelmachers“. Parallel läuft seit März in | |
| Großbritannien der auf dem Buch basierende, mit Dokumaterial unterfütterte | |
| Spielfilm „Creation Stories“ von Regisseur Nick Moran, für den der | |
| Schriftsteller Irvine Welsh das Drehbuch geschrieben hat und Danny Boyle | |
| („Trainspotting“) als Produzent verantwortlich zeichnet. | |
| Meine erste persönliche Begegnung mit Alan McGee fand im Sommer 1988 statt, | |
| zu einem Zeitpunkt, an dem er mit Jesus and Mary Chain zwar schon einige | |
| „Randale“ hinter sich hatte, „Raves“ und internationaler „Ruhm“ abe… | |
| vor ihm lagen. Erst in den neunziger Jahren sollte er mit dem | |
| Oasis-Megaerfolg und seiner aktiven Beteiligung an der Modernisierung der | |
| Labour Party („Cool Britannia“) die ganz große Bühne betreten, und Acid | |
| House hat er, wie er in seinem Autobiografie gesteht, leicht verspätet | |
| kapiert. | |
| ## My Bloody Valentine im Squat | |
| Ich verbrachte damals einige Wochen in einem besetzten Haus im Londoner | |
| Stadtteil Kentish Town, in dem unter anderem Kevin Shields und Colm Ó | |
| Cíosóig von My Bloody Valentine wohnten. Eines Tages quartierten sich dort | |
| zwei junge Frauen aus Leeds ein, die unbedingt und so schnell wie möglich | |
| Alan McGee kennen lernen wollten, um ihm ihre Band The Impossibles | |
| schmackhaft zu machen. | |
| McGee galt damals in der Gitarrenpopszene als „Lichtgestalt“, wie der | |
| Journalist Christoph Dallach in seinem Vorwort zum Buch schreibt. Die Band | |
| Pooh Sticks hat das auf ihn zielende Begehren in dem Song „I Know Someone | |
| Who Knows Someone Who Knows Alan McGee Quite Well“ ironisch auf den Punkt | |
| gebracht. | |
| Nach einem Creation-Abend mit The Weather Prophets und House of Love gab es | |
| dann zu Hause beim Schlagzeuger der Weather Prophets die Chance zum | |
| Kennenlernen. Jedoch lag McGee als teilnahmsloser Beobachter in Lederhose, | |
| Stiefeln und seiner notorischen Sonnenbrille auf dem Sofa. Die Impossibles | |
| waren von der unnahbaren Aura verschreckt, ihre Debüt-Single sollte dann | |
| doch nicht bei Creation erscheinen. Immerhin brachte mir dieser Abend eine | |
| Erkenntnis, mit der sich eine offene Frage aus „Randale, Raves und Ruhm“ | |
| beantworten lässt. | |
| ## Rätselhafte Kevinitis | |
| McGee rätselt nämlich, warum für das zweite My-Bloody-Valentine-Album so | |
| unendlich viele Studiotage und -nächte nötig waren, der obsessive | |
| Perfektionismus von Songwriter Kevin Shields – McGee spricht von [2][einer | |
| rätselhaften „Kevinitis“] – habe ihn fast in den Ruin gestürzt. Welche | |
| Drogen, fragt er sich, waren da denn nur im Spiel? Der Grund, so weiß ich | |
| seit jenem Abend, war, dass Kevin Shields gerne Rotwein mit LSD kombinierte | |
| und dadurch in einen Zustand passiv-aggressiver Beratungsresistenz geriet. | |
| Ich musste ihn an jenem Abend nach Hause eskortieren. Es dürfte gute Gründe | |
| gehabt haben, warum McGee, wie er sich leicht eingeschnappt erinnert, nie | |
| zu My Bloody Valentine nach Hause eingeladen wurde. | |
| Drogen sind in „Randale, Raves und Ruhm“ ein zentrales Sujet. „Was immer | |
| gerade zu haben war, ich war dabei“, schreibt McGee und analysiert seinen | |
| exzessiven Konsum von Ecstasy, Speed, Acid, Koks und Jack Daniels | |
| rückblickend als unbewusste Selbstmedikation unerkannter Depressionen. 1994 | |
| kam es nach einer MDMA-Überdosis zum lebensgefährlichen und läuternden | |
| Zusammenbruch, just, als Oasis mit „Definitely Maybe“ auf Platz Eins der | |
| britischen Charts landeten, was der Manager in der Klinik teilnahmslos zur | |
| Kenntnis nahm. | |
| ## Okkultes im Trainingsanzug | |
| Im Film zum Buch werden die Drogentrips ähnlich wie in „Trainspotting“ | |
| bedrohlich farbenfroh bebildert. Nach zahlreichen Therapien ist McGee heute | |
| clean und lebt auf dem Land in Wales, wo er sich mit okkulter Literatur | |
| beschäftigt und Immobiliengeschäfte abwickelt. Nebenbei reist er, mit Bart | |
| und stets in Adidas-Trainingsanzug gekleidet, als DJ um die Welt. | |
| Als Creation-Chef war McGee ein exzentrischer Hallodri, ein Aufschneider | |
| von entwaffnender Unseriosität, Poser und Genie in Personalunion. Das Label | |
| managte er wie ein „Diktator“ (O-Ton), disruptiv und nach dem | |
| Malcolm-McLaren-Motto „cash from chaos“, Verträge schloss er nie ab. Leider | |
| wird seine Überspanntheit im Film von Ewen Bremner allzu klamaukig, | |
| mitunter unsympathisch performt. Nachdem er mit seiner meines Erachtens | |
| sogar von ihm selbst unterschätzten Band Biff Bang Pow! erfolglos blieb, | |
| habe McGee irgendwann seine Kernkompetenz erkannt: „To make things | |
| happen!“. | |
| ## Feedbackorgien und Saalschlachten | |
| Legendär waren sein 1983 in einem Londoner Pub gegründeter „Living Room | |
| Club“ und die bewusst geschürten Ausschreitungen bei den | |
| Jesus-and-Mary-Chain-Konzerten, die oft in Feedbackorgien und | |
| Saalschlachten endeten, lustig die lebensgroßen McGee-Pappfiguren, die er | |
| zur Promotion für House of Love an Plattenläden verschickte. Natürlich war | |
| McGee kein unbewegter Beweger, er war angetrieben von dem, was um ihn herum | |
| passierte. | |
| Seine popkulturellen Epiphanien schildert er maximal lakonisch. Die Sex | |
| Pistols veränderten „alles“, die TV Personalities „mein Leben“ und Acid | |
| House war „etwas Neues, etwas Unglaubliches“. Bei dem für ihn | |
| richtungsweisenden TV-Personalities-Gig 1982 standen mit Ed Ball und Joe | |
| Foster übrigens die zwei wichtigsten späteren Creation-Weggefährten auf der | |
| Bühne. | |
| Es ist interessant zu erfahren, dass der Jesus-and-Mary-Chain-Sound | |
| ungewollt durch ein von Joe Foster falsch bedientes Mischpult entstanden | |
| ist und Oasis sich bei jenem Konzert in Glasgow, auf dem McGee sie | |
| entdeckte, gegen massive Widerstände als Vorband reingemogelt hatten. Die | |
| zahllosen Drogenanekdoten und die im Verlauf des Buches zunehmende | |
| Fixierung auf Erfolgsstorys und big names lassen aber leider die | |
| Frühgeschichte von Creation und die Bedeutung des Labels für die | |
| Indiepop-Szene der frühen und mittleren Achtziger in den Hintergrund | |
| treten. | |
| „Der Geist des Punk und die Melodien des psychedelischen Pop der 1960er | |
| Jahre – darin bestand das Konzept“, schreibt McGee, der das Label nach | |
| seiner Lieblingsband der Sechziger und seine Gruppe Biff Bang Pow! nach | |
| einem Song derselben benannt hatte. Mit diesem Ansatz entstand aber weit | |
| mehr als nur bezaubernder Gitarrenpop, nämlich die neue, postmaskuline | |
| Subjektivität des Anorak tragenden, schwächlichen „Wimps“, der glücklich | |
| ist, wenn er traurig ist. | |
| ## Vom Wimp zum Star | |
| Schon bald blickte McGee nur noch verächtlich auf die in seinen Augen | |
| dogmatische Indieszene. „Uns interessierte Rock and Roll“, schreibt er mit | |
| großmäuliger Koketterie. Immer wieder betont er, wie wichtig ihm Geld und | |
| Erfolg waren und erklärt dies mit seinem Klassenhintergrund und den | |
| ärmlichen Verhältnissen, in denen er in Glasgow aufgewachsen ist. So | |
| erfahren wir zu wenig über die Indie-Ursuppe in Glasgow und London und viel | |
| über die Eskapaden seines Schulkameraden und lebenslangen Gefährten Bobbie | |
| Gillespie von Primal Scream, der vom Indie-Wimp zum Ravestar mutierte. | |
| Auch der Größenwahn der Gallagher-Brüder kommt nicht zu kurz. Deren Erfolg | |
| sollte, so McGee, der „Sargnagel“ für das Label werden. Oasis, die das | |
| Label mit Ladkultur aufmischten, waren schlicht too much für das fragile | |
| Gebilde Creation. 1992 hatte McGee die Hälfte der Creation-Anteile an das | |
| Majorlabel Sony verkauft, nicht zuletzt wegen der durch die endlose | |
| Produktion des zweiten My-Bloody-Valentine-Albums angehäuften Schulden. | |
| Wenn McGee von diesem und anderen Deals mit multinationalen Konzernen | |
| erzählt, dann ist „Randale, Raves und Ruhm“ auch ein Bericht aus den | |
| goldenen Zeiten des Musikbiz, in denen die Scheine noch locker saßen. 2000 | |
| sollte Creation dann geschlossen werden und McGee machte wenig später mit | |
| dem Label Poptones weiter. | |
| Mit dem weltweiten Oasis-Erfolg war der ruhmsüchtige McGee zur allseits | |
| umschmeichelten Celebrity geworden. Mitunter schaut er in seinen | |
| lehrreichen und amüsanten, von Michael Kellner schwungvoll übersetzten | |
| Memoiren wie ein staunendes Kind auf sein vergangenes Selbst und scheint | |
| sich verblüfft zu fragen: War das wirklich ich, dessen Anrufbeantworter von | |
| der Boulevard-Zeitung News of the World gehackt wurde, weil ich mit | |
| Courtney Love befreundet war? Kann es wirklich sein, dass ich mit dem | |
| Kinderschänder Jimmy Savile bei Tony und Cherie Blair zu Tisch im Landsitz | |
| Checkers saß? Wurde mir wirklich das Management von Hall & Oates angeboten? | |
| Man spürt gewisses Fremdeln mit der eigenen Persona, eine Einladung der | |
| königlichen Familie schlug er wegen seines Royalistenhasses denn auch aus. | |
| 12 Aug 2021 | |
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| Aram Lintzel | |
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