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# taz.de -- Popstar Roísín Murphy im Gespräch: „Man muss Risiken eingehen�…
> Auf Anweisung von Managern Songs verändern? Würde Roísín Murphy nie tun.
> Ein Gespräch mit dem Popstar über das, was sie als Künstlerin braucht.
Bild: „Man kann nicht alles vorausplanen, man sollte es geschehen lassen“: …
taz: Roísín Murphy, zuletzt habe ich Sie mit Ihrer Band im Herbst 2023
gesehen. Was mich bei Ihren Liveshows generell beeindruckt, ist dieses
Gefühl der Freiheit, das Sie auf der Bühne anschaulich machen, obwohl die
Show ja quasi durchchoreografiert ist.
Roísín Murphy: Ich bin definitiv nicht durchchoreografiert. Sogar die
Bühnenoutfits entwickeln sich erst mit der Zeit. Ich werde oft gefragt, wie
ich meine Kostüme zusammenstelle – das ist etwas, das in allerletzter
Minute zu Beginn jeder Tournee entsteht.
An den ersten Tagen probiere ich noch aus, bei welchem Song ich was anziehe
und wann ich es wechsle. Normalerweise ist das Set ziemlich abgesteckt,
dieser Song kommt zuerst, jener Song folgt als nächstes. Aber die
Bewegungen dazu sind nie vorher choreografiert.
Ich meinte nicht, dass alles generalstabsmäßig durchgeplant ist.
Es ist ohnehin ein Wunder, dass wir diese Musik live umgesetzt bekommen.
Ich bin sehr dankbar, dass ich gute Musiker:innen um mich habe,
insbesondere meinen musikalischen Leiter Eddie Stevens. Es gibt nicht viele
Künstler:innen, die hysterische elektronische Studiomusik in etwas umsetzen
können, das auf der Bühne funktioniert.
Heute wird von Künstler:innen stets erwartet, dass sie sich so
verhalten, wie das Publikum denkt, dass sie es tun sollten. Sind Sie an
Erwartungshaltungen interessiert?
Die haben mich noch nie interessiert! Mit meiner ersten Band Moloko hatten
wir ein eigenes Studio in Sheffield und haben unsere Alben von A bis Z
produziert. Ich wurde dabei eher zufällig Sängerin. Nach wie vor warte ich
darauf, dass die richtigen Eingebungen in meinem Leben passieren. Das
geschieht nicht an einem Konferenztisch beim Majorlabel, wo ich mit
Influencern überlege, was Róisín Murphy als Nächstes machen soll, verstehen
Sie? Never ever. Im Fall [1][meines aktuellen Albums „Hit Parade“] lief es
so: Stefan (Anm.: der Hamburger Produzent Stefan Kozalla alias DJ Koze)
tauchte wie von Zauberhand in meinem Leben auf; genau genommen hat die Art
und Weise, wie ich lebe, Stefan zu mir gebracht.
War das ein Zufall?
Niemand würde [2][DJ Koze dazu bringen, ein Album auf Anweisung eines
Managers für mich aufzunehmen], ganz einfach weil man ihn nicht auf Zuruf
engagieren kann. Was jüngere Kolleg:innen oft nicht verstehen: Man kann
nicht alles vorausplanen, man sollte es geschehen lassen. Oft ergeben sich
die besten Sachen aus spontanen Einfällen, die man auch zulassen muss.
Sie denken, das gibt es heute nicht mehr?
Viele jüngere Musiker:innen fühlen sich nicht frei genug, Risiken
einzugehen. Weil man ihnen sagt, sie sollen dies und das tun.
War das nicht immer so?
Zu meinen Anfangstagen gab es auch nicht viele, die den Weg gegangen sind,
den ich eingeschlagen habe. Ich bin generell niemand, der das Schlimmste
von den Menschen erwartet – und ich erwarte auch nicht das Schlimmste von
Strippenziehern in der Musikindustrie. Vielleicht habe ich deswegen immer
volle künstlerische Kontrolle gehabt. Ich habe immer wichtige
Entscheidungen allein getroffen. Das ging los, als ich mit 15 von zu Hause
ausgezogen bin und allein in Manchester gelebt habe. Ich hatte eine Menge
Mut, bevor ich überhaupt im Musikgeschäft gelandet bin.
Sie haben aber auch nie erwartet, dass Sie etwas bekommen, nur weil Ihnen
jemand etwas vorgegaukelt hat, oder?
Ich glaube nicht, dass jemand von außen kommen und eine Karriere planen
kann, wie ich sie hatte. Das ist unmöglich. Ich vertraue nur meinem
Bauchgefühl – und ich hatte nie Probleme damit. Ich habe immer Grenzen
überschritten, wenn es sie gab. Zum Beispiel, als ich mit 19 das erste Mal
das Büro einer Plattenfirma betrat: Die Grenzen waren spürbar, sie hatten
Angst vor mir.
Ganz im Ernst. Wir waren in dieser Hinsicht sehr stark, Mark Brydon (Anm.:
ihr künstlerischer Partner bei Moloko) und ich steckten voller Ideen, wir
hatten Charisma. Mark arbeitete damals schon mit Leuten in der Musikbranche
zusammen. Alle in Sheffield kamen aus einem DiY-Zusammenhang: Gestalte dir
ein Homestudio! Veranstalte deine eigene Party! Gründe eine Plattenfirma!
Das Label Warp wurde nicht zufällig in Sheffield gegründet.
Hatten Sie nie Zweifel?
Es gab keinen Moment, in dem ich gedacht hätte, dass es einen anderen Weg
für mich geben könnte. Das war bei meinem Soloalbumdebüt ähnlich. Ich ging
mit Matthew Herbert ins Studio, ohne vorherige Absprache mit dem Label. Es
dauerte nicht lange, und wir hatten die Musik komponiert. Als ich dann zum
Label ging und sagte: Lasst uns das rausbringen!, antworteten sie, es sei
die falsche Musik! Ich war schockiert, das hätten sie nie gewagt, als ich
noch Teil von Moloko war.
Woran lag das?
Vielleicht lag es daran, dass ich nicht mehr diesen ziemlich unheimlichen
Künstler neben mir hatte, vielleicht dachten sie in dem Moment, dass sie
mich als Frau verarschen können. Meine Antwort: Sorry, es gibt kein anderes
Album, basta, die Musik wird genauso veröffentlicht! Das taten sie dann
auch, aber danach ließen sie mich fallen.
Wie lief das bei Ihrem aktuellen Werk „Hit Parade“? Es gibt ja den Glauben,
dass Magie nur unter bestimmten Bedingungen und im Zusammenspiel von
besonderen Charakteren entsteht. Aber Stefan Kozalla und Sie haben in
unterschiedlichen Städten, Ibiza und Hamburg, getrennten Studios und mit
unterschiedlichen Zeitplänen gearbeitet. Wie liefen die Fäden zusammen?
Mir hat diese Arbeitsweise großen Spaß bereitet. Es ist losgegangen mit der
Zusammenarbeit für Kozes Album „Knock Knock“, Stefan gab mir damals all
diese erstaunliche Musik (Anm.: Murphy sang auf Kozes Songs „Illumination“
und „Scratch it“), die sonst niemand produziert. Ich bin für die
Gesangsarbeit mit einem Tontechniker in ein kleines Studio gegangen. Da
waren aber noch all die anderen Tracks. Also sagte ich danach zu Stefan, ob
daraus vielleicht ein Roísín-Album werden könne. Und er bejahte!
Aber es wird so lange dauern, wie es nötig ist, denn wir werden es in
unserer eigenen Zeit machen. Und auf unsere eigene Weise. Er bat mich,
genau dieselbe Musiksoftware zu verwenden, damit wir leichter Dateien
austauschen können.
Zeit ist ein relativer Begriff.
Ich dachte mir: Okay, es ist DJ Koze, was immer er sagt, ist mir recht,
solange wir damit weitermachen. Am Ende dauerte es fünf Jahre. Wenn ich das
Gefühl habe, dass ich den richtigen Produzenten habe, behandle ich ihn
anständig, bleibe geduldig und lasse mich auf den künstlerischen Prozess
ein.
Sind Sie in der Zusammenarbeit unkompliziert? Können Ihnen die anderen
Beteiligten vertrauen?
Ich bin nur zu Produzenten nett, zu allen anderen bin ich eine Zicke
(lacht).
Wie muss ich mir die Finalisierung vorstellen? Gab es harte Verhandlungen
über Songauswahl und Reihenfolge?
Es gab zähe Verhandlungen, ja. Und es gab viele Momente, in denen Koze
davon überzeugt war, dass ein Stück nicht mehr zu retten ist. Und dann habe
ich gesagt: Halt! – und habe die Tracks wieder aus dem Mülleimer gefischt
und weiterverhandelt.
Sind Sie eine gute Motivatorin?
Wenn mir etwas am Herzen liegt, bin ich wie ein Hund mit einem Knochen, ich
kaue weiter und sage: Können wir noch mal über den Song reden?
Mich interessiert, wie Sie Songs komponieren. Sie arbeiten eher spontan,
wenn die Ideen kommen. Haben Sie einen Masterplan?
Doch, genau so gehe ich vor: Heute werde ich einen Song schreiben. Dabei
helfen mir oft Dinge, die ich in meinem Alltag notiere. (Anm.: Murphy liest
aus ihren Notizen vor): Kontroll-Heuschrecken, nebulöser Körper, fünfte
Kolonne, antike Kultur, radikale Erschütterung, schlechte Optik …
Ist das nicht Fitzelarbeit?
Früher, als ich noch nicht alles im Internet gelesen habe, notierte ich
Ideen auf Papier. Ich habe große Skizzenbücher mit Fundstücken, Ausrissen
und Notizen angelegt, die ich aus Zeitungen und Zeitschriften
ausgeschnitten habe. Diese Collagen aus Bildern, Wörtern, Sätzen und
anderen Dingen habe ich überall im Studio verteilt.
Wenn ich nicht weiterkomme, habe ich mich umgeschaut und beispielsweise
„Oxytoxin“ gesehen – was war das nochmal? Dann wurde daraus ein Song, er
heißt „Overpowered“. Ich habe ein Radar, weil ich auf meine gesammelten
Ideen zurückgreifen kann.
3 Feb 2024
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## AUTOREN
Thomas Venker
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