# taz.de -- Vermittlung von Wissenschaft: „Es wird zu wenig kommuniziert“ | |
> Die Ankündigung der Forschungsministerin war deutlich: | |
> Wissenschaftskommunikation soll gestärkt werden. Die Bilanz sieht mager | |
> aus. | |
Bild: Der Podcast des Virologen Christian Drosten erzielte in der Pandemie grö… | |
Es hatte der krönende Abschluss für die Amtszeit der | |
CDU-Bundestagsabgeordneten Anja Karliczek als Bundesministerin für Bildung | |
und Forschung werden sollen. Aber die finale Präsentation ihrer Leitlinien | |
für eine bessere Wissenschaftskommunikation geriet in der vorigen Woche | |
nicht sonderlich kommunikativ. Aus einem zum TV-Studio umfunktionierten | |
Sauriersaal des Berliner Naturkundemuseums wurde die Abschlussdiskussion an | |
eine minimale Web-Communitity von 250 Zuschauern gesendet. Das Echo in | |
Wissenschafts- wie Medienwelt war weithin Schweigen. | |
Als Anja Karliczek im März 2018 für alle überraschend zur obersten | |
Bundespolitikerin für den Wissenschaftsbereich ernannt wurde, da hatte die | |
CDU-Abgeordnete aus dem nordrhein-westfalischen Ibbenbüren nur beschränkte | |
Kenntnis von den großen Entwicklungslinien in deutschen Hochschulen und | |
Forschungseinrichtungen. „Es wird zu wenig über Wissenschaft kommuniziert“, | |
lautete ihr Schluss, den sie von der persönlichen Erfahrung zur | |
ministeriellen Leitlinie entwickelte. | |
[1][Wissenschaftskommunikation wurde künftig Chefinnensache im BMBF], eine | |
neue Struktur im Leitungsstab wurde gebildet und ein Umsetzungsprogramm – | |
die sogenannte #factorywisskomm – auf den Weg gebracht. Rückenwind erhielt | |
der Prozess durch eine Passage im Koalitionsvertrag, neue Formate zur | |
Kommunikation von Wissenschaft voranzubringen, was auch die Fraktionen des | |
Bundestages mit eigenen parlamentarischen Initiativen ins Spiel brachte. | |
Faktisch überlagert wurde dieser innerwissenschaftliche Diskurs durch die | |
Coronapandemie, die im gesellschaftlichen Raum die Nachfrage nach | |
wissenschaftlichen Informationen, speziell medizinischer Natur, stark | |
ansteigen ließ. Neue Formate, wie der NDR-Podcast des Berliner Virologen | |
Christian Drosten mit Corona-Informationen aus erster Hand oder die | |
Youtube-Erklärvideos der Wissenschaftsjourmalistin Mai Thi Nguyen-Kim | |
(MaiLab), erzielten binnen Kurzem größte, weil medien-virale Verbreitung. | |
Auch die allgemeine Wertschätzung der Wissenschaft bewegte sich nach der | |
erfolgreichen Impfstoffentwicklung auf Rekordhöhen. Beste Zeiten für die | |
Wissenschaftskommunikation? | |
Aber ohne einen ordentlichen wissenschaftsleitenden Prozess sollte es dann | |
doch nicht gehen. Im vergangenen September startete in einem | |
Konferenzzentrum im Berliner Westhafen – damals noch im Präsenzformat – die | |
[2][vom BMBF geleitete virtuelle Denkfabrik #factorywisskomm.] Rund 150 | |
Akteure, Forscher wie Medienpraktiker, sollten in sechs Arbeitsgruppen | |
„Handlungsperspektiven für die Wissenschaftskommunikation“ entwickeln. | |
Themen waren der Kompetenzaufbau für die Kommunikation von | |
Wissenschaftsthemen und eine erhöhte Reputation für diese Leistung | |
innerhalb des Wissenschaftssystems. | |
## Verbesserung der Qualität und Partizipation | |
Ein eigenes Forschungsfeld „Wissenschaftskommunikation“ sollte etabliert | |
werden, was auch von einer Verbesserung der Qualität und der Partizipation | |
– etwa durch [3][Formate der „Citizen Science“] – begleitet würde. Auc… | |
Wissenschaftsjournalismus wurde mit einer Arbeitsgruppe bedacht, wenngleich | |
die latenten Spannungen zwischen Wissenschaftspolitik und Medien bis zum | |
Schluss greifbar blieben. Die Vorschläge dieser Gruppe, an der auch | |
Mitglieder der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) beteiligt waren, waren | |
unter anderem der Aufbau eines „Science Center for Computational | |
Journalism“ als An-Institut an einer Hochschule, das datenjournalistische | |
Services entwickeln soll, oder eine neue Weiterbildungakademie mit der | |
Aufgabe, „digitale Innovation für | |
Wissenschaftsjournalistinnen/-journalisten zugänglicher“ zu machen. | |
In der Summe erbrachte der Factory-Prozess keine epochalen Ergebnisse, so | |
wie es 1999 das „PUSH-Memorandum“ (Public Understanding of Science and | |
Humanities) der deutschen Wissenschaftsorganisationen auf Initiative des | |
Stifterverbandes dargestellt hatte. Im Gegenteil: Argwöhnisch achteten die | |
„Lordsiegelbewahrer“ der Wissenschaftsfreiheit darauf, dass ihnen das | |
Ministerium keine Vorgaben machte, wie sie ihre Kommunikation zu gestalten | |
hätten. So wurde die Formulierung des Eingangskapitels der | |
Handlungsperspektiven, die das BMBF ursprünglich als „Selbstverpflichtung“ | |
überschreiben wollte, zu einer redaktionellen Hängepartie, die letztlich | |
die Verschiebung der Publikation vom zunächst geplanten 20. April auf den | |
23. Juni notwendig machte – der letzten politischen Voll-Woche im | |
Regierungs-Berlin vor der parlamentarischen Sommerpause. | |
Auffallend auch, dass zur Präsentation – die Max-Planck-Gesellschaft hielt | |
zeitgleich ihre virtuelle Jahresversammlung ab – mit Ausnahme von | |
Leopoldina-Präsident Gerald Haug kein Spitzenrepräsentant der deutschen | |
Wissenschaftsorganisationen zugegen war. Auch nennenswerte Stellungnahmen | |
wurden nicht abgegeben. | |
„Mir liegt sehr daran, dass Wissenschaftskommunikation selbstverständlicher | |
Teil wissenschaftlicher Arbeit ist“, erklärte die Ministerin zum Abschluss. | |
Davon würden alle Seiten profitieren, vor allem die Wissenschaft selbst. | |
Denn durch Kommunikation und Interaktion „wird Vertrauen gestärkt“, so | |
Karliczek. „Und die eigene Forschung kann durch kommunikative Rückbindung | |
an Gesellschaft, Politik und Wirtschaft an Wirksamkeit gewinnen“. | |
Wichtigste Message aus dem Forschungsministerium mit seinem | |
20-Milliarden-Euro-Etat: Wissenschaftskommunikation werde „ab jetzt | |
integraler Bestandteil der Förderung“ des BMBF und werde in der | |
Förderrichtlinien fortan „als Förderkriterium berücksichtigt“ werden. Wie | |
hoch der Kommunikationsanteil an der Fördersumme ausfallen wird, blieb | |
offen. Die Neuheit aus dem BMBF ist für andere dagegen keine: Die | |
Förderbewilligungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der | |
EU-Kommission in Brüssel enthalten seit Jahren eine derartige | |
Kommunikationsklausel. | |
Für den Wissenschaftsjournalismus zeichnen sich gewisse Perspektiven ab. So | |
will die Joachim Herz Stiftung in Hamburg einen Innovationsfonds für den | |
Wissenschaftsjournalismus ins Leben rufen, der sich auf 300.000 Euro | |
jährlich belaufen soll, zunächst für drei Jahre. Andere reduzieren hingegen | |
ihre Unterstützung des Wissenschaftsjournalismus, obwohl es nichts kosten | |
würde. | |
So hat das BMBF zum Abschlussevent des Factory-Prozesses – anders als beim | |
Start – zu keiner Pressekonferenz eingeladen, einem essentiellen | |
Medieninstrument, weil es auch kritische Nachfragen zulässt. | |
Medienvertreter – limitiert auf fünf – wurden in einen Nebenraum geleitet | |
und konnten die Diskussion am Bildschirm verfolgen. Fragen allenfalls per | |
Onlinechat – was für ein kommunikativer Qualitätsverlust! Die gelenkte, | |
antidialogische Kommunikation des BMBF haben die Wissenschaftsjournalisten | |
in der Konsequenz denn auch ignoriert: Es erschien in den deutschen Medien | |
– mit Ausnahme der FAZ – kein Bericht über die Neuformierung der | |
Wissenschaftskommunikation in Deutschland. | |
4 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /BMBF-und-Wissenschaftskommunikation/!5640262 | |
[2] /Programme-fuer-die-Zukunft/!5729159 | |
[3] /Buergerwissenschaft-wird-Forschungsobjekt/!5746339 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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