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# taz.de -- BMBF und Wissenschaftskommunikation: Raus aus dem Elfenbeinturm
> Wissenschaftskommunikation soll Chefsache werden. Und um ihre Arbeiten
> vorzustellen, sollen Wissenschaftler vermehrt in die Öffentlichkeit
> gehen.
Bild: Nicht nur während der Science Week gehen Wissenschaftler an die die Öff…
Berlin taz | Die Mücke und der Elefant: Das Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) gibt jährlich rund 18 Milliarden Euro zur Förderung
der Wissenschaften in Deutschland aus; in der kommenden Woche wird im
Bundestag der neue Haushalt für 2020 beschlossen. Doch nur knapp 12
Millionen Euro davon werden in die Kommunikation von Wissenschaft
investiert, mit dem Ziel, den Nutzen der Forschung in der Gesellschaft und
damit dem Steuerzahler besser bekannt zu machen.
Bundesforschungsministerin [1][Anja Karliczek (CDU)] will das ändern und
hat dafür ein „Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation“ erarbeiten
lassen, das nach langer Anlaufzeit in der Mitte November vorgestellt wurde.
Das Interesse bei den Bürgern ist durchaus gegeben. Wie das jüngste
[2][Wissenschaftsbarometer] ergab, bekunden 59 Prozent der Deutschen „ein
großes Interesse an Themen aus Wissenschaft und Forschung“. Damit schneiden
diese besser ab als beispielsweise Politik (53 Prozent) und Kultur (49
Prozent), berichtet der Auftraggeber der Umfrage, die von den deutschen
Forschungsorganisationen getragene Kommunikationsplattform Wissenschaft im
Dialog (WID).
Das politische Mandat wird von einer Mehrheit akzeptiert: Drei von vier
Deutschen wünschen sich von der Wissenschaft eine Einmischung in
öffentliche Debatten, wenn Politiker Forschungsergebnisse nicht
berücksichtigen – beispielsweise zum Klimawandel. Eine Vorlage für die
Scientists for Future, die den Klimaprotest der Greta Thunberg-Generation
aktiv unterstützen.
Der Ball wird sogar, erstaunlich genug, vom Karliczek-Ministerium
aufgenommen. Die Diskussion um den Klimawandel, wie sie Fridays for Future
voranbringe, verdeutliche „pars pro toto die Relevanz von
wissenschaftlichen Fragen und Erkenntnissen für die Zukunft unserer
Gesellschaft“, heißt es im BMBF-Papier. Es sei „daher notwendig, dass sich
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den öffentlichen Diskurs
einbringen, über ihre Forschungsarbeit allgemeinverständlich kommunizieren
und Zusammenhänge einordnen“, so die Argumentation.
## Mittendrin im Kulturwandel
„Gerade junge Forscherinnen und Forscher“ seien zunehmend bereit, „ihre
Arbeit, ihre Erkenntnisse und ihre offenen Fragen mit der Gesellschaft zu
diskutieren“. Dies sei Teil eines „[3][bereits begonnenen Kulturwandels]
hin zu einer kommunizierenden Wissenschaft“, sieht es das Karliczek-Papier.
Insgesamt werden auf lediglich drei Seiten Leitbild, Maßnahmen und Ausblick
formuliert, in denen vor allem die schon bestehenden Aktivitäten – wie die
thematisch wechselnden Wissenschaftsjahre oder das Ausstellungsschiff „MS
Wissenschaft“ – dargestellt werden. Höhepunkt ist die Ankündigung, eine
Denkwerkstatt FactoryWisskomm einzuführen, besetzt mit den Oberen der
deutschen Forschungsorganisationen, damit „Wissenschaftskommunikation zur
Chefsache“ werde. Selbst der vermeintliche neue Ansatz, die Förderung von
Forschungsprojekten mit Aktivitäten zur Öffentlichkeitsarbeit zu koppeln,
wird sowohl auf Ebene der EU-Forschungspolitik wie auch bei Projekten der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit Jahren praktiziert.
Gleichwohl war die FAZ alarmiert: „Karliczek will Wissenschaftler zur
Kommunikation zwingen“, titelte das konservative Blatt. Auch die
Süddeutsche Zeitung (SZ) witterte: „Jeder Forscher soll ein bisschen
Hirschhausen sein, sonst gibt es kein Geld aus Berlin.“ Das Papier, mit
Spannung erwartet, sei „eine Enttäuschung“, urteilte die SZ. Kritik kam
auch von der Forschungssprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Anna
Christmann, die von einem „völlig ambitionslosen Vorschlag“ nach
zweijähriger Arbeit sprach. Oder fehlender Arbeit: Das von Karliczek im
letzten Jahr eingerichtete Referat LS23 Wissenschaftskommunikation ist bis
heute nicht besetzt, was dem Papier anzumerken ist.
Die Oppositionspolitikerin spricht auch die Leerstellen des Konzepts an,
wie der Zugang zu bildungsfernen Schichten. „Die Frage, wie wir auch
Menschen erreichen können, die nicht jede Woche Die Zeit lesen, bleibt
völlig unbeantwortet“, bemängelt Christmann. „Statt selbst Vorschläge zu
machen, schiebt die Ministerin alle Verantwortung auf die Forschenden.“
Keine Aussage auch zur Unterstützung des kriselnden
Wissenschaftsjournalismus. Dies sei aus verfassungsrechtlichen Gründen
nicht möglich, behauptete Karliczek in der Pressekonferenz zur Vorstellung
des Grundsatzpapiers. Die Wissenschaftspressekonferenz (WPK), der
Berufsverband der Wissenschaftsjournalisten, befürchtet in einer
Stellungnahme, „dass eine bloße Ausweitung der Wissenschafts-PR ohne
flankierende Ideen, wie man dem Erosionsprozess des
Wissenschaftsjournalismus begegnen will, am Ende alle genannten Probleme
eher verschärft und nicht löst“. Und diese Entwicklung sei „nicht nur zum
Nachteil des Wissenschaftsjournalismus, sondern auch und gerade zum
Nachteil für die Reputation der Wissenschaft selbst.“
## Zu viel ist auch nicht gut
Auffallend schweigsam war bisher die Wissenschaft selbst zum
Karliczek-Vorstoß. Intern wächst nämlich die Skepsis, ob eine weitere
Verstärkung der bisherigen Wissenschaftskommunikation wirklich zum Besseren
führe. Eine Sprecherin der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) erklärte auf
Anfrage der taz: „Wir haben einen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und je mehr
wir kommunizieren, umso mehr verschärfen wir diesen Wettbewerb.“ Aus diesem
Grund reduziere die MPG seit drei Jahren ihre Forschungsmeldungen von einem
Höchstwert von über 300 Meldungen im Jahr auf inzwischen etwa die Hälfte.
„Alle Auswertungen über die Jahre hinweg zeigen, dass etwa 30–40 Meldungen
wirklich von den Medien aufgegriffen werden“, so die Sprecherin der
MPG-Generalverwaltung in München, Christina Beck. „An die 100 Meldungen
bleiben ohne jede Resonanz, und dabei haben wir ja schon selektiert unter
dem Aspekt, was für die Öffentlichkeit überhaupt von Interesse sein
könnte.“
Im Hause Karliczek wird die Welt anders wahrgenommen. „Namens des BMBF
freuen wir uns darüber, dass die Resonanz auf dieses Konzept weitgehend
positiv war“, wurde der taz mitgeteilt. In der Pressekonferenz hatte die
Ozeanforscherin Antje Boetius als Leiterin der WID-Lenkungsgremiuns die
Vorschläge kommentiert und von den Schwierigkeiten des „Kulturwandels“ zur
Anerkennung von Wissenschaftskommunikation im Forschungssystem berichtet.
Dem Thema steht als Nächstes die parlamentarische Verhandlung bevor. Die
beiden Regierungsfraktionen von Union und SPD wollen in Kürze einen Antrag
in den Bundestag zur Förderung von Wissenschaftskommunikation und
Wissenschaftsjournalismus einbringen, der in wesentlichen Punkten von den
Vorstellungen des BMBF abweicht. So soll etwa die Einrichtung einer
Stiftung für Wissenschaftsjournalismus und einer Fortbildungsakademie
geprüft werden. Der SPD-Parlamentarier Ernst-Dieter Rossmann, Vorsitzender
des Bundestagsforschungsausschusses, will 2020 generell zum „Jahr der
Wissenschaftskommunikation“ ausrufen. Die Mücke soll die Chance bekommen,
doch ein wenig größer zu werden.
* Transparenzhinweis: Der Autor ist Mitglied der
Wissenschaftspressekonferenz (WPK).
22 Nov 2019
## LINKS
[1] /Karliczeks-Batteriezentrum/!5633370
[2] /Umfrage-zur-Akzeptanz-von-Forschung/!5538888
[3] /Berlin-Science-Week/!5634010
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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