# taz.de -- Kritik an Wissenschaftskommunikation: Neue Wege gesucht | |
> Kommunikationsexperten der Hoschuleinrichtungen und Forschungsinstitute | |
> sind unzufrieden. Sie erreichen oftmals ihr Publikum nicht. | |
Bild: Nikolaus Kopernikus mit dem Modell einer heliozentrischen Welt: Wissensch… | |
BERLIN taz | Der Wissenschaftsjournalismus als Teil des Mediensystems | |
befindet sich seit Jahren in der Krise. Bei der Wissenschaftskommunikation, | |
die zum Wissenschaftssystem der Hochschulen und Forschungsorganisationen | |
gehört, nehmen die Krisensymptome nun ebenfalls zu. Anlass genug, über | |
gemeinsame Schritte aus der Misere der öffentlichen Vermittlung und | |
kritischen Begleitung von Wissenschaft nachzudenken. Der Königsweg könnte | |
zur Zivilgesellschaft führen. | |
Bei den Kommunikationsverantwortlichen in den öffentlich finanzierten | |
Wissenschaftsinstitutionen, den einstigen „Pressestellen“ mit heute stark | |
erweitertem Aufgabenfeld, wächst vernehmbar der Frust. Auf dem [1][„Forum | |
Wissenschaftskommunikation“ Anfang November in Bonn,] dem Leitevent der | |
Forschungs-PR, verschaffte er sich Luft auf satirische Weise. In Form einer | |
gespielten Gerichtsverhandlung wurden die PR-Stellen angeklagt, mit ihrer | |
Öffentlichkeitsarbeit wenig zu bewirken und dadurch Steuermittel zu | |
verschwenden. | |
„So viel Kritik und Selbstkritik an der Wissenschaftskommunikation“ habe er | |
bisher nicht erlebt, urteilte [2][Reiner Korbmann], einstiger Chefredakteur | |
von Bild der Wissenschaft, einem Flaggschiff des Wissenschaftsjournalismus. | |
Das Problembewusstsein wächst auf beiden Seiten, den Journalisten wie den | |
Kommunikatoren. Auch die Bereitschaft zu neuen Lösungsversuchen. So gibt es | |
unter den Journalisten eine – kleine – Bewegung, die jenseits der | |
konventionellen Presse mit immer weniger Wissenschaftsseiten eigene | |
internetgestützte Medienprodukte aufbaut, die häufig auch solidarisch | |
betrieben und finanziert werden. Die Wissenschaftskommunikatoren ihrerseits | |
versuchen neue Zielgruppen zu erreichen, wie bildungsferne Schichten. | |
Die Crux: Die bisherigen Lösungsansätze sind allesamt auf die | |
professionelle Wissenschaft und ihre Kommunikation konzentriert, beides | |
Nischen in der Gesellschaft und in den Medien. Um breitenwirksamer zu | |
werden, muss diese Pfadabhängigkeit aber durchbrochen werden. Alte | |
Handlungsmuster sind zu überwinden, um zu neuen Kooperationen und | |
Vermittlungsformaten zu gelangen. | |
## Die Wiederentdeckung vergessener Vorschläge | |
Dabei muss nicht in jedem Fall das Rad neu erfunden werden. Die | |
Wiederentdeckung vergessener Lösungsvorschläge ist ebenfalls ein | |
innovativer Akt. Ein Beispiel sind die Empfehlungen, die von der | |
Expertengruppe [3][„Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien“ (WÖM)] der | |
deutschen Wissenschaftsakademien 2017 vorgelegt wurden. Zwei davon wären | |
für die Unterstützung eines unabhängigen Wissenschaftsjournalismus in | |
Deutschland von zentraler Bedeutung. So wurde, in Reaktion auf die | |
Verbreitung von Fake News über die sozialen Medien wie Facebook und | |
Twitter, der „Aufbau einer redaktionell unabhängigen bundesweiten | |
Wissenschaftskommunikations- und Informationsplattform“ vorgeschlagen, | |
„deren Inhalte für ein breites Publikum verständlich sind“. | |
In Anlehnung an die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten sollte die | |
Redaktion der Internet-Plattform „staats- und | |
wissenschaftsorganisationsfern institutionalisiert unter einem | |
Herausgebergremium arbeiten können“. Mit der Prüfung der Machbarkeit sollte | |
vom Gesetzgeber (Bundestag oder Landesparlamente) eine Expertenkommission | |
beauftragt werden. So weit ist es nie gekommen. Ebenfalls in der Versenkung | |
verschwand die Anregung, den „Wissenschaftsjournalismus nach dem Modell der | |
Forschungsförderung zu unterstützen“. Die Gelder dafür könnten „aus Mit… | |
der Rundfunkbeiträge“ kommen und über „staatsunabhängige Stiftungen“ f… | |
Wissenschaftsjournalismus vergeben werden. Auch diese Idee wurde von | |
niemandem aufgegriffen. | |
Wenn Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus schwächeln | |
oder gar bedroht sind, könnte ein neuer Ansatz darin bestehen, dass sich | |
beide synergetisch verbünden. Vor allem freie Wissenschaftsjournalisten | |
sind zunehmend dazu gezwungen, zu Aufträgen aus der Wissenschafts-PR zu | |
greifen, um finanziell überleben zu können. Das verringert den Anteil | |
kritischer Berichterstattung. Ein „Rettungsring“ wäre, wenn etwa das breite | |
Angebot der Hochschulzeitungen und Wissenschaftsmagazine, finanziert aus | |
Steuergeldern, einen Teil ihres Platzes und Honorarbudgets an externe | |
Wissenschaftsjournalisten vergibt. In Australien gibt es diese Kombination | |
von Journalismus und Hochschulkommunikation bereits seit Längerem. | |
Noch interessanter wäre – neben der Angebotsseite, die Wissenschaft an die | |
Bevölkerung vermittelt – die Entwicklung der Nachfrageseite, bei der der | |
gesellschaftliche Bedarf an wissenschaftlichen Lösungen wie auch die | |
Mitwirkungskompetenz der Zivilgesellschaft im Mittelpunkt stehen. Alte | |
Modelle waren die „Wissenschaftsläden“ (Science Shops), die in Deutschland | |
heute nur ein Schattendasein führen. Ein neuer Trend der Bürgerbeteiligung | |
an der Wissenschaft sind „Citizen Science“-Projekte, die zwar in der | |
Forschungskooperation funktionieren, aber medial wenig Ausstrahlung haben. | |
Die Kommunikationsagenda, die vor drei Jahren ein „Grünbuch“ der deutschen | |
Bürgerforschung aufstellte, ist bislang ohne Umsetzung. | |
## Die dritte Mission | |
Ein neuer Hebel, um die Kombination aus Wissenschaftsjournalismus und | |
Wissenschaftskommunikation zu unterstützen, ist die Orientierung der | |
Hochschulwelt auf die sogenannte Dritte Mission. Darunter wird nach den | |
beiden ersten Missionen Lehre und Forschung als weitere Aufgabe der | |
Transfer des wissenschaftlichen Wissens in die Wirtschaft und die | |
Gesellschaft verstanden. | |
Ein großes Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung | |
(BMBF) mit dem Titel [4][„Innovative Hochschule“] stellt dafür in den | |
nächsten zehn Jahren 550 Millionen Euro bereit. Die Hochschule | |
Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) will mit ihren neun Millionen Euro, die sie im | |
Wettbewerb des BMBF und der Bundesländer gewann, in ihrem Konzept | |
[5][„Campus to world“] in den kommenden fünf Jahren eine „Innovation-Mal… | |
für ihre Forschungs- und Transferaktivitäten aufbauen. | |
Die Innovation-Mall stehe „gleichermaßen für einen physischen wie | |
virtuellen Ort des Netzwerkens und Austauschs, der den Transfer aus der | |
Hochschule hinaus wie in sie hinein ermöglicht“, beschreibt die Bonner | |
Fachhochschule das Projekt. In Südhessen ist an der Hochschule Darmstadt | |
das mit 10 Millionen Euro ausgestattete Projekt [6][„S:NE Systeminnovation | |
für Nachhaltige Entwicklung“] auf Ökothemen ausgerichtet. Die ersten | |
inhaltlichen Schwerpunkte sind nachhaltige Städte und Siedlungen sowie | |
nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen. Themen, die in Zeiten des | |
Klimawandels nach mehr Publizität und öffentlichen Diskurs benötigen. | |
## Unabhängige Umweltinstitute | |
Auch eine andere Forschungsvorhut könnte wissenschaftliche Leistung, | |
journalistische Verbreitung und gesellschaftliches Engagement in neuer | |
Weise zusammenbringen: die unabhängigen Umweltinstitute, die sich der | |
„sozialökologischen Forschung“ zugehörig fühlen. Da sie historisch aus | |
einer gesellschaftlichen Bewegung entstammen – den Umwelt-Bürgerinitiativen | |
und dem Anti-AKW-Protest –, hätte eine stärker gesellschaftsgerichtete | |
Wissenschaftskommunikation ihre Logik. | |
So lud das auf Transformationsforschung spezialisierte [7][Wuppertal | |
Institut für Klima Umwelt Energie] im Herbst erstmals einen | |
[8][„Journalist-in-Residence“] ein [den Autor dieses Textes, Anm. d. Red.], | |
um die Entwicklung des „transformativen Journalismus“ zu stärken. Weitere | |
Kooperationschancen ergeben sich über die Transitions-Town-Bewegung, die | |
„Zukunftsstädte“, das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement oder | |
eine Neubelebung der „Forschungswende“, die eine andere Forschungspolitik | |
aus Sicht der Umweltverbände artikulierte. | |
Digitale Plattformen, neue Finanzierungen und erweiterte Kooperationen in | |
die Zivilgesellschaft hinein – das können die Bestandteile für eine neue | |
gemeinsame Entwicklung von Wissenschaftsjournalismus und | |
Wissenschaftskommunikation sein. Und mit ihr ein neues Narrativ für die | |
Wissenschaft. | |
5 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wissenschaft-im-dialog.de/forum-wissenschaftskommunikation/foru… | |
[2] https://wissenschaftkommuniziert.wordpress.com/about/ | |
[3] https://www.leopoldina.org/politikberatung/arbeitsgruppen/abgeschlossene-ar… | |
[4] https://www.innovative-hochschule.de/ | |
[5] https://www.h-brs.de/de/ctw | |
[6] https://sne.h-da.de/ | |
[7] https://wupperinst.org/ | |
[8] https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/4465/ | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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