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# taz.de -- Wissenschaft sucht ihr Publikum: „Raus aus den Echokammern“
> Wen interessiert's? Wissenschaftsinitiativen suchen neue Wege, wie sie
> ihr Anliegen einem möglichst breiten Publikum vermitteln können.
Bild: In Wissenscamps in der UN-Pufferzone auf Zypern blicken Kinder gemeinsam …
Berlin taz | Astronomie für den Frieden: Der Griff nach den Sternen war für
Francesca Fragkoudi und ihre Sterngucker-Gruppe [1][„Columba-Hypatia“] auf
Zypern nicht zu hoch. Bei der „[2][Falling Walls Engange“-Konferenz] für
Wissenschaftskommunikation in Berlin belegte sie souverän den ersten Platz.
Der Ansatz, wissenschaftliche Breitenbildung mit politischer Entspannung zu
verbinden, hatte überzeugt.
„Nikosia ist immer noch die letzte geteilte Stadt in Europa“, bringt
Fragkoudi in Erinnerung. Zwischen Griechen und Türken gibt es im geteilten
Zypern keine Annäherung – bis auf die Kinder. Auf private Initiative
entstand die Gruppe von Amateurastronomen, die die Faszination der
Sternbeobachtung an die Schulkinder beider Landesteile heranträgt.
In Wissenscamps in der entmilitarisierten UN-Pufferzone blicken sie durch
Teleskope in den Himmel; 450 Kinder hat die Aktion #Astro4peace bisher
erreicht, die nun auch den Titel „Science Engagement of the Year 2018“
trägt. „Erstmals treffen sich wieder Menschen aus den getrennten
Landesteilen“, hebt Fragkoudi hervor, die selbst im Hauptberuf Astronomin
ist.
Insgesamt 20 Gruppen aus Europa, aber auch aus Indien, Afrika, USA und
Kanada, stellten auf der Engage-Konferenz erstmals in dieser Form ihre
Projekte zur Vermittlung von Wissenschaft vor. Das aus Griechenland
stammende Projekt [3][„Mind the Lab“] hatte es während der
[4][BerlinScienceWeek] Anfang November sogar zu einer deutschen Adaption
geschafft: In fünf Berliner U-Bahn-Stationen stellten Forscher den
vorbeihuschenden Passagieren an Experimentiertischen ihre Arbeit vor. Laien
konnten die Nanoforschung in einer Minidosis kennenlernen, bis der Zug kam.
Anlass für die neue Konferenz im Reigen der
Falling-Walls-Wissenschaftsevents rund um den Tag des Mauerfalls in Berlin
– mit Vorträgen über wissenschaftliche Durchbrüche, Start-up-Wettbewerbe
und Politikrunden – war eine latente Unzufriedenheit über die ausbleibende
Breitenwirkung der Wissenschaftsvermittlung.
## Ein Umdenken wird gefordert
„Die Art der Wissenschaftskommunikation der letzten 20 Jahre,
beispielsweise die Verbreitung von Hochglanzmagazinen, die Einrichtung von
Kinder-Unis und die Durchführung von Science Slams, hat die Gesellschaft in
all ihren Facetten in nur geringem Umfang erreichen können“, stellte
Uta-Micaela Dürig, stellvertretende Vorsitzende der Geschäftsführung der
[5][Robert Bosch Stiftung], zu Beginn der Konferenz fest. „Menschen, die
mit Wissenschaft nicht oder nur sehr selten in Berührung kommen, blieben
weitgehend außen vor.“ Daher müsse ein Umdenken in der
Wissenschaftskommunikation stattfinden.
Gleichzeitig könne in der Gesellschaft „ein Vertrauensverlust in die
Wissenschaft“ beobachtet werden, dem gegengesteuert werden müsse. Mit dem
neuen Format Falling Walls Engage wolle die Stiftung ein „Netzwerk
innovativer Wissenschaftsvermittlung“ ins Leben rufen.
Und in der Tat gibt es viele Beispiele, wie in anderen Ländern der Zugang
zu wissenschaftsfernen Bevölkerungsgruppen gesucht und erfolgreich
praktiziert wird. Etwa das Projekt „Ekoli“, das der belgische Biotechniker
und Wissenschaftspädagoge Niek D’Hondt gegründet hat. „Wir sind überzeugt
davon, dass Wissenschaft am besten durch spielerische Experimente
verstanden wird, wenn Neugierde zu Erkenntnissen und Wissen führt“, erklärt
er. Im Mittelpunkt stehen zweistündige Workshops mit einfachen, aber
nachhaltigen und verblüffenden Experimenten, die Ekoli in Schulen anbietet,
sowohl für Schüler als auch für Lehrer. Die Effekte in sozialen
Brennpunkten sind für D’Hondt erkennbar: „Gerade aus Schulen in schwierigem
Umfeld hören wir, dass Kinder plötzlich begeistert mitmachen und besser
mitarbeiten.“
## Schulschwänzer und Straßenkids
Mit der gleichen Zielgruppe arbeitet Tamar Levy am Davidson Institute of
Science Education des Weizmann Institute for Science in Reshovot bei Tel
Aviv. Die Umweltwissenschaftlerin vermittelt in Praxiskurse die Arbeit im
Labor und die Grundlagen des Forscherdenkens, allerdings nicht an
Studenten, sondern an Schulschwänzer, straffällige Jugendliche und
Straßenkids. „Wissenschaft dient in unserem Ansatz als Mittel und Werkzeug
zur Persönlichkeitsentwicklung“, erklärt Tamar Levy.
Diese Ansprache und Anerkennung von inzwischen 10.000 Jugendlichen führt
zum Aufbau von Selbstvertrauen, Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein,
berichtet die Bosch-Stiftung über den israelischen Ansatz des „Active
Science“-Projekts: „Das Angebot ist erfolgreich, denn knapp 95 Prozent der
Teilnehmer dieses Programms für Alltagsfähigkeiten machen einen
Schulabschluss.“ Vielen Projekten gelingt es, wie die Konferenz zeigte,
Wissenschaft oder zumindest wissenschaftsbezogene Aufmerksamkeitsschnipsel
in das Alltagsleben der Menschen zu integrieren, mit Kunst und mit Folklore
zu kombinieren.
„Raus aus den Echokammern“ ist das Ziel des britischen Projekts
[6][„Science Ceilidh“], das Wissenschaft auf Volksfeste, wie den Manchester
Day in Schottland, trägt. Das schwedische Projekt [7][„Radical Oceans
Futures“] visualisiert die Schönheit und die bedrohte Zukunft der Weltmeere
in beeindruckenden Bildern. Die Gruppe um den Künstler Andrew Merrie
verfolgt dabei den Ansatz des „emotional impact“, um die Meeres-Science
Fiction voll zur Wirkung zu bringen.
## Kleine Forscher
Aus Deutschland war das [8][„Haus der kleinen Forscher“] vertreten, das in
den letzten 12 Jahren die Wissenschaft in den vorschulischen
Bildungsbereich hineingetragen hat. 2,5 Millionen Kinder wurden bisher
erreicht, 75.000 Erzieher und Lehrer sind im Netzwerk – eine
Bildungsinnovation, die von privater Seite durch die Telekom-Stiftung
angestoßen wurde und inzwischen Wurzeln geschlagen hat. Im nächsten Jahr
kann das kleine Haus mit der großen Summe von 15 Millionen Euro arbeiten.
Der neue Trend in der Wissenschaftskommunikation hat nicht mehr nur den
Bildungsaspekt und berufliche Karriere im Blick, sondern verstärkt auch
das Problemthema Demokratie-Sicherung. „Die Wissenschaft hat eine
gesellschaftliche Verantwortung dafür, dass gerade Menschen, die mit
Wissenschaft nicht oder nur sehr selten in Berührung kommen, sich nicht von
einer rationalen und faktengestützten Weltsicht abwenden“, betont
Uta-Micaela Dürig von der Robert Bosch Stiftung. „Denn faktenbasierte
Argumentationen sind das Fundament eines öffentlichen, demokratischen
Diskurses.“
Aus diesem Grund unterstützt die Bosch Stiftung neben dem neuen
Falling-Walls-Format Engage auch das Forschungsprojekt „Wissenschaft für
alle“, das am [9][Karlsruher Institut für Technologie (KIT)] angesiedelt
ist. Untersucht wird, wie Auszubildende, sozial Benachteiligte oder Muslime
von der Wissenschaftskommunikation besser erreicht werden können. „Dabei
geht es erst einmal ums Zuhören“, erklärt Ricarda Ziegler, Projektleiterin
bei [10][Wissenschaft im Dialog], der Kommunikationsintitaive der deutschen
Wissenschaftseinrichtungen. Gefragt wird unter anderem: „Wie sieht deren
Alltag aus und welche Rolle spielt Wissenschaft, welchen Platz kann sie
darin in der Zukunft finden?“
30 Nov 2018
## LINKS
[1] https://www.columbahypatia-project.org/
[2] https://www.falling-walls.com/engage
[3] http://www.mindthelab.org/
[4] https://berlinscienceweek.com/
[5] https://www.bosch-stiftung.de/de
[6] http://www.scienceceilidh.com/
[7] https://radicaloceanfutures.earth/
[8] https://www.haus-der-kleinen-forscher.de/
[9] http://www.kit.edu/index.php
[10] https://www.wissenschaft-im-dialog.de/
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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