| # taz.de -- Fridays und Scientists for Future: Völlig neue Dialogerfahrung | |
| > Unter Wissenschaftlern trifft der Klimaprotest von Fridays for Future auf | |
| > offene Ohren. Viele Forscher sind froh über eine so breite Unterstützung. | |
| Bild: Pressekonferenz der Friday-For-Future-Aktivisten im Berliner Naturkundemu… | |
| Berlin taz | Fridays for Future, die neue Klimaprotestbewegung der | |
| Schülergeneration, hat nicht nur unerwartet große Wirkung auf die Politik. | |
| Auch die Wissenschaft, auf deren Erkenntnisse zum Klimawandel sich die | |
| Demonstranten stützen, wird von dem drängenden Engagement der Jugendlichen | |
| beeinflusst. Eine wichtige Rolle spielt das im Frühjahr entstandene | |
| Netzwerk [1][„Scientists4Future“ (S4F)], dem sich in Deutschland inzwischen | |
| über 26.000 Wissenschaftler*innen angeschlossen haben. Die Gruppe der | |
| klimabesorgten Forscher beliefert nicht nur die Akteure von Fridays for | |
| Future (FFF) mit Fakten zu Ökogefahren und -lösungen, sondern setzt auch | |
| Veränderungsprozesse innerhalb der Wissenschaft in Gang. | |
| Gregor Hagedorn, Biodiversitätsforscher am Berliner Museum für Naturkunde, | |
| hatte im März, nach einem Vorbild in Belgien, den Anstoß zur Gründung der | |
| deutschen S4F-Gruppe gegeben. | |
| Anlass war, dass sich damals die öffentliche Debatte über den FFF-Protest | |
| auf den Aspekt „Schulschwänzen“ konzentrierte. „Wir wollten durch unsere | |
| Initiative die inhaltliche Debatte wieder stärken“, berichtet | |
| Biodiversitätsforscher Hagedorn. „Die jungen Menschen vertrauen der | |
| Wissenschaft, und wir Wissenschaftler*innen haben schlicht eine | |
| Verantwortung, sie fachlich zu unterstützen“, fasst er die Absicht von S4F | |
| zusammen. | |
| In den Tagen, da FDP-Chef Christian Lindner den Schülern empfahl, die | |
| Klimapolitik besser „den Profis“ zu überlassen, meldeten sich die | |
| wissenschaftlichen Experten zu Wort und gaben dem Jugendprotest inhaltliche | |
| Rückendeckung. Eine Brücke zwischen Jugend und Wissenschaft wurde | |
| geschlagen, die es vorher in dieser Weise nicht gegeben hatte. | |
| „Nach meinen Beobachtungen wissen die jungen Leute bereits enorm viel und | |
| sind sehr belesen“, hat Josef Zens, Kommunikationschef am Potsdamer | |
| Geoforschungszentrum (GFZ), festgestellt. Was sie suchten, sei in erster | |
| Linie der persönliche Kontakt, „ein Gegenüber, mit dem sie ihr Wissen und | |
| ihre Sorgen auf Augenhöhe diskutieren können“. Zens: „Sie suchen jemand, | |
| der sie und ihr Anliegen ernst nimmt.“ | |
| ## Nach der Demo zur Vorlesung | |
| In der Bundeshauptstadt Berlin, wo die Freitagsdemos zur Mittagszeit in der | |
| Invalidenstraße zwischen den Bundesministerien für Wirtschaft und für | |
| Verkehr stattfinden, hatte das gleich nebenan liegende Naturkundemuseum | |
| alsbald eine wichtige Mittlerfunktion eingenommen. Forscher der | |
| Humboldt-Universität richteten dort [2][eine Nach-Demo-Vorlesungsreihe] zu | |
| allen Aspekten des Klimawandels ein. | |
| Die TU Berlin bietet eine gleiche Reihe im Wintersemester ab Oktober an. | |
| Die Schulschwänzer bildeten sich als Uni-Gasthörer. Museums-Direktor | |
| Johannes Vogel brachte im Mai Bundeskanzlerin Merkel mit FFF-Vertretern zum | |
| Gespräch im Sauriersaal zusammen, später mit Bundestagsabgeordneten. | |
| „Die jungen Menschen sind sehr an Fakten und dem Stand der Wissenschaft | |
| interessiert“, ist die Erfahrung von Gregor Hagedorn. „Einige können | |
| komplett auf Augenhöhe mit Fachwissenschaftler*innen diskutieren, andere | |
| haben großen Informationshunger.“ Als er kürzlich auf dem | |
| FFF-Sommerkongress in Dortmund war, bot er im Programm zwei | |
| 90-Minuten-Workshops an. „Wegen des großen Interesses wurden daraus dann | |
| fünf Stunden am Stück“. | |
| Im Juni gab es eine Aktionswoche „Lectures for Future“ an deutschen | |
| Hochschulen mit über 100 Lehrveranstaltungen zum Klimaschutz, die sich als | |
| solidarische Unterstützung der globalen Fridays-for-Future-Bewegung | |
| verstand. Die Aktion wurde vom „Stifterverband für die Deutsche | |
| Wissenschaft“ als „Hochschulperle des Monats“ für innovative, beispielha… | |
| Projekte ausgezeichnet. | |
| ## Forscher organisieren Mahnwachen | |
| Verstärkt entwickeln die Wissenschaftler aber auch Aktivitäten in ihrer | |
| „Home-Base“, den Hochschulen und Forschungsinstituten. Inzwischen gibt es �… | |
| immer mittwochs – eigene Kundgebungen, eher Mahnwachen, nach holländischem | |
| Vorbild „Researchstreijk“ genannt. Am 7. August gab es Aktionen vor der TU | |
| Berlin, der HU Berlin, dem Wissenschaftscampus Adlershof und den | |
| Forschungsinstituten in Potsdam-Golm. | |
| Parallel wächst unter den Wissenschaftlern, die durch ihre | |
| Internationalität ein reiseliebendes Völkchen sind, das schlechte | |
| Klima-Gewissen der „Flugscham“. An der TU Berlin hat Soziologie-Professorin | |
| Martina Schäfer eine Initiative für Selbstverpflichtungen gestartet, nach | |
| der in Zukunft auf dienstliche Kurzstreckenflüge bis 1.000 km verzichtet | |
| werden soll. „Bis 20. 9. sollen möglichst 500 Selbstverpflichtungen | |
| eingesammelt und der Uni-Leitung übergeben werden, auch um weitere | |
| Maßnahmen der dienstlichen Mobilität zu besprechen“, berichtet Schäfer auf | |
| Anfrage der taz. Dazu zählt ein vermehrter Einsatz von Videokonferenzen. | |
| Über 100 Unterschriften liegen bereits vor. | |
| Die Bereitschaft zur Bündelung der Kräfte zeigt sich am Beispiel der | |
| Ad-hoc-Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina | |
| „Klimaziele 2030: Wege zu einer nachhaltigen Reduktion der CO2-Emissionen“, | |
| die im Juli vorgelegt wurde. Darin fordern alle Fachrichtungen mit Blick | |
| auf die für September angekündigten Entscheidungen der Politik einen | |
| „unmittelbaren Transformationsschub und Sofortmaßnahmen zum Schutz des | |
| Klimas“. Auch die Rolle der FFF-Schüler wird erwähnt: „Die Protestbewegung | |
| Fridays for Future zeigt, dass inzwischen eine ganze Generation mehr und | |
| mehr von Ungeduld und Unverständnis über das Versagen von Politik und | |
| Gesellschaft erfasst wird.“ | |
| ## Völlig neue Dialogerfahrung | |
| Jürgen Renn, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut (MPI) für | |
| Wissenschaftsgeschichte, hat an der Leopoldina-Schrift mitgewirkt. Er ist | |
| fasziniert von der aktuellen – wie er es nennt – „Brückenbildung“ zwis… | |
| Teilen der Gesellschaft und der Wissenschaft. „Wir haben plötzlich eine | |
| Unmittelbarkeit des gesellschaftlichen Diskurses, die wir lange nicht | |
| erlebt haben“. | |
| Die Wissenschaft werde von den jugendlichen Klimaprotestlern in ihrem | |
| Verantwortungshorizont für die Zukunft angesprochen. Das sei eine völlig | |
| neue Dialogerfahrung, da bei den Wissenschaftler das Gefühl verbreitet sei: | |
| „Wir haben das schon so lange gesagt und immer wieder hat man von Seiten | |
| der Politik unsere Warnungen überhört, verschleppt und abgelegt.“ Nun aber | |
| gebe es auf einmal „einen gesellschaftlichen Resonanzboden dafür“. | |
| MPI-Direktor Jürgen Renn: „Das halte ich für eine ganz starke Brücke, die | |
| da entstanden ist.“ | |
| Veränderungen sieht der Historiker sowohl im Umgang der Disziplinen | |
| untereinander wie auch in der Kommunikation nach außen. „Es bedarf neuer | |
| Formen der Artikulation von Wissen“, sagt Professor Renn. „Denn es reicht | |
| nicht mehr aus, wenn man als Forscher nur rein spezialistisch | |
| veröffentlicht.“ | |
| Eine besondere Wirksamkeit wird der Wissenschaftskommunikation auch an | |
| anderer Stelle zugeschrieben. Kürzlich stellte Bundesforschungsministerin | |
| Anja Karliczek die Bandbreite der Klimaprojekte ihres Hauses vor. Viel | |
| Wissen, aber zu wenig bekannt. Wäre es früher und anders kommuniziert | |
| worden, dann wäre nach ihrer Überzeugung, so die Ministerin, die Bewegung | |
| Fridays for Future erst gar nicht entstanden. | |
| 17 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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