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# taz.de -- GFZ-Chef fristlos entlassen: Erdbeben in der Forschungspolitik
> Wegen Betrugsverdacht wurde dem langjährigen Chef des
> Geoforschungszentrums in Potsdam fristlos gekündigt. Die Ermittlungen
> laufen noch.
Bild: Fristlos gekündigt: Reinhard Hüttl, langjähriger Leiter des Geoforschu…
Berlin taz | Auf dem Potsdamer Telegrafenberg sind Deutschlands führende
Erdbebenexperten versammelt: im Geoforschungszentrum (GFZ), einer
Großforschungseinrichtung der überwiegend aus dem
Bundesforschungsministerium finanzierten Helmholtz-Gemeinschaft. Kürzlich
wurde dort ein ganz besonderes Beben registriert – nämlich eines mit
forschungspolitischem Ursprung und dann noch im eigenen Hause.
Dem langjährigen Leiter des GFZ, [1][Reinhard Hüttl,] wurde im Januar vom
Kuratorium des Instituts per fristloser Kündigung der Stuhl vor die Tür
gestellt. Anlass dafür waren staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen
Vorwürfen der Veruntreuung, die allerdings noch nicht abgeschlossen sind.
Der Sturz Hüttls ist in der jüngeren deutschen Wissenschaftspolitik
beispiellos.
Hüttl ist vom Fach her Forst- und Bodenkundler und bekleidete auch eine
entsprechende Professur an der Brandenburgischen Technischen Universität
Cottbus-Senftenberg (BTU). Daneben häufte er viele Ämter an, zuletzt als
[2][Vizepräsident der Technikakademie Acatech] oder der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW). Diese
Funktionen ruhen derzeit.
Die Affäre begann, als Mitte letzten Jahres ein anonymer Hinweisgeber der
Institutsaufsicht meldete, bei Hüttl gebe es Verstöße gegen die
Vorschriften zur Verwendung öffentlicher Finanzmittel, die
„Compliance-Regeln“. Dazu zählt auch die Offenlegung von bezahlten
Nebentätigkeiten. Das Kuratorium des GFZ entschied im Oktober, dass Hüttl
zunächst von seinen Tätigkeiten entbunden werde – bis hin zu dem Verbot,
das Institut zu betreten – und übergab den Fall an die Staatsanwaltschaft
im brandenburgischen Neuruppin.
## Unzulässige Abrechnungen
Als diese im Januar 2021 die Durchsuchung von Hüttls Geschäfts- und
Privaträumen anordnete, war das Fass übergelaufen. Die GFZ-Spitze
beschloss, ihrem einstigen Chef fristlos zu kündigen; das zuständige
Bundesforschungsministerium (BMBF) unterzeichnete den Trennungsvertrag.
Wie das Wissenschaftsmagazin Science, das Einblick in den
Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft erhalten hatte, in seiner
Ausgabe vom 19. Februar berichtete, werden Hüttl drei Tatkomplexe zur Last
gelegt. Der Wissenschaftler soll einerseits private Reisen und
Restaurantessen beim GFZ und dem Zentrum für Energietechnologie Brandenburg
(CEBra) unzulässigerweise abgerechnet haben.
Weiterhin soll er von der Braunkohlefirma Novihum Technologies Aktien für
bestimmte Gegenleistungen erhalten haben. Am diffizilsten ist der
„China-Komplex“, bei dem seit 2018 Geldbeträge von chinesischen staatlichen
Stromnetzbetreibern an das Brandenburger Forschungsinstitut CeBra geflossen
sein sollen.
Hüttl hat die Vorwürfe bisher zurückgewiesen. „Ich habe keine Vorteile
gezogen“, erklärte er gegenüber Science. Ansonsten sei der Verlauf und das
Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abzuwarten. Ob es zu
einer strafrechtlichen Anklage kommt, hat die Neuruppiner Behörde noch
nicht entschieden.
## Erste Konsequenzen
Unterdessen hat der Fall Hüttl in der Scientific Community, wie es sich für
ein Erdbeben gehört, für erhebliche Erschütterung gesorgt. In den
Forschungsorganisationen wird geprüft, ob die internen
Compliance-Vorschriften ausreichen, um Überschreitungen zu verhindern. Die
BBAW etwa hat sich dazu entschlossen, „ein geregeltes Verfahren für die
Anzeige und Veröffentlichung von Interessenkonflikten einzuführen“,
erklärte Akademiepräsident Christoph Markschies der taz.
Man habe „die wenigen Verträge, die mit dem GFZ geschlossen worden sind,
alle sehr gründlich überprüft, und prüft ebenso die unter maßgeblicher
Beteiligung oder Leitung von Herrn Hüttl entstandenen Veröffentlichungen“.
Das neue Verfahren orientiere sich am Fragebogen der National Academy of
Sciences der USA. „Wir wollten in keinem Fall hinter die hier üblichen
internationalen Standards zurückfallen“, betont der BBAW-Chef, und ergänzt
auf die Frage nach seinem Urteil: „Ich persönlich werde das Geschehene erst
dann bewerten, wenn die juristische Aufarbeitung des Falls abgeschlossen
ist.“
4 Mar 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Potsdam
Betrugsverdacht
Forschung
acatech
Schwerpunkt Fridays For Future
Nachhaltigkeit
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